Symbiose von Würmern und Mikroorganismen 11.09.2024, 11:20 Uhr

Fadenwürmer und Egel als kleine Helfer im Kampf gegen Mikroplastik

Ein Forschungsteam der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HWST) hat Mikroplastik den Kampf angesagt. Unterstützung holt es sich aus der Natur: Fadenwürmer und Egel sollen helfen, das Abwasser in der bayerischen Gemeinde Petershausen von Kunststoffpartikeln zu klären.

Lavastein mit Biofilm

Wurm auf einem Lavastein mit Biofilm unter dem Mikroskop.

Foto: Julian Eckert

Ob uns die mikroskopisch kleinen Teilchen langfristig krank machen, können Wissenschaftler noch nicht sagen. Was bekannt ist: Mikroplastik ist inzwischen überall – in der Luft, im Boden oder im menschlichen Körper. Ein großer Teil der Mikroplastikfracht etwa entsteht durch Reifenabrieb – über den ablaufenden Niederschlag gelangen die Partikel ins Abwasser und somit in den Wasserkreislauf. Moderne Kläranlagen sind zwar in der Lage, einen Großteil des Mikroplastiks zurückzuhalten. Ein Teil entgeht der Abwasserbehandlung jedoch und reichert sich in der Umwelt an.

An diesem Punkt setzt das Projekt „PlasticWorms“ an, mit dem Forschende der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf im Herbst 2024 in den Feldversuch gehen. Im Mittelpunkt steht ein Biorieselbettreaktor, oder kurz: Bioreaktor, der Mikroplastik mithilfe von Würmern und Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilzen filtern und biologisch abbauen soll. Die Testanlage wird an die zentrale Kläranlage der oberbayerischen Gemeinde Petershausen angeschlossen – als zusätzliche vierte Reinigungsstufe.

Über die Entwicklung des Verfahrens sprechen Dr. Sabine Grüner-Lempart, Professorin für Verfahrenstechnik an der Fakultät Bioingenieurwissenschaften, und Julian Eckert, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand, im Interview.

Fadenwürmer und Egel zerkleinern die Kunststoffpartikel

Frau Professor Dr. Sabine Grüner-Lempart, ein Teil des Abwassers der Gemeinde Petershausen fließt demnächst durch ihren Bioreaktor. Was passiert darin?

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Professor Dr. Sabine Grüner-Lempart (SGL): Genauer gesagt behandeln wir einen Ablauf der Kläranlage. Dieses Abwasser ist also schon gereinigt, kann aber Mikroplastik enthalten, das nicht über die konventionelle Reinigungsstufen abgetrennt wird. Dieses Wasser fließt durch eine Schicht aus Lavasteinen, auf denen wir einen Biofilm aus Mikroorganismen kultiviert haben. Auf ihm bleibt das Mikroplastik haften. Innerhalb dieses Biofilms leben Fadenwürmer und Egel, die die Kunststoffpartikel fressen und dadurch zerkleinern. Die zerkleinerten Polymerpartikel werden wiederum von Mikroorganismen in molekulare Bestandteile zerlegt. Die Technologie hat dabei das Potenzial, Mikroplastik auf biologischem Wege vollständig abzubauen.

Egel auf Lavastein

Egel auf Lavastein mit Biofilm.

Foto: Julian Eckert

Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

SGL: Es ist bekannt, dass Mikroorganismen in der Lage sind, Kunststoffe mithilfe von speziellen Enzymen abzubauen. Man weiß, dass sich manche Würmer etwa durch Styropor fressen. Und dass einige Würmer Mikroplastik in tiefere Erdschichten tragen, indem sie es „weiterverarbeiten“. Auf diesen Erkenntnissen beruht unsere Projektidee.

Wie lief die „Besetzung“ des Biofilms? Haben Sie ein Wurm-Casting veranstaltet?

Julian Eckert (JE): (lacht) Tatsächlich sind wir mit einem Wettbewerb gestartet: Wer ist der beste Wurm für unser Projekt? Wir mussten radikal aussortieren. Darunter Kandidaten, die laut Literatur sehr gut für den biologischen Abbau von Polymeren geeignet gewesen wären …

Wie hart waren die Auswahlkriterien?

JE: In unserem Bioreaktor herrscht ein sehr feuchtes Milieu, die Würmer müssen mit einer ‚Dauerdusche‘ klarkommen. Deswegen sind Mehlwürmer früh ausgeschieden. Aber auch unser gemeiner Regenwurm ist nicht in der Lage, diese Bedingungen dauerhaft zu überstehen. Am Ende haben sich Fadenwürmer und Egel durchgesetzt.

Julian Eckert und Prof. Dr. Sabine Grüner-Lempart (von links) von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HWST) vor einer Tafel, die Interessierte über das Projekt „PlasticWorms“ informiert. Die Pilotanlage in der Gemeinde Petershausen soll im Herbst an den Start gehen. Das Bild außerdem (weiter von links) Markus Mostegel und Christian Männl von der ausführenden Partnerfirma ZWT, Franz Resner von den Eigenbetrieben der Gemeinde Petershausen (EGP) sowie Samuel Schmucker (HSWT). Foto: EGP

Julian Eckert und Prof. Dr. Sabine Grüner-Lempart (von links) von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HWST) vor einer Tafel, die Interessierte über das Projekt „PlasticWorms“ informiert. Die Pilotanlage in der Gemeinde Petershausen soll im Herbst an den Start gehen. Das Bild außerdem (weiter von links) Markus Mostegel und Christian Männl von der ausführenden Partnerfirma ZWT, Franz Resner von den Eigenbetrieben der Gemeinde Petershausen (EGP) sowie Samuel Schmucker (HSWT).

Foto: EGP

Konzentration an Würmern im System kultivieren

Sie sind dann mit ihrem Team in den Wald gegangen, um genügend Bewohner für ihren Bioreaktor zu sammeln?

JE: So läuft das zum Glück nicht ab (lacht). Es gibt entsprechende Lieferanten. Fadenwürmer etwa werden als biologischer Insektenschutz vertrieben. Die Würmer kommen dann in Pulverform zu uns. Wir müssen dann nichts anderes machen als dieses Pulver in Wasser zu lösen, um eine definierte Konzentration an Würmern im System zu kultivieren.

Woher wissen Sie, welche Wurmkonzentration die richtige ist? Nicht, dass die Würmer irgendwann pappsatt sind und mit dem Zerkleinern nicht mehr hinterherkommen …

SGL: In unserem Labor haben wir den Prozess sowohl im 5-Liter- als auch im 100-Liter-Maßstab erfolgreich erprobt. Wichtig ist, dass sich ein natürlicher Kreislauf entwickelt und der Biofilm erhalten bleibt. Die Pilotanlage hat einen Maßstab von 5 m³. Sollten wir nach einigen Tagen feststellen, dass das Wasser nicht vollständig von Mikroplastik geklärt ist, würden wir eher über die Verweildauer im Reaktor nachdenken, weniger über die Menge der Organismen.

Es klingt, als sei so ein Bioreaktor pflegeleicht …

SGL: Natürlich ist es denkbar, dass es durch irgendeinen Stoff zu einem vermehrten Absterben der Würmer oder der Mikroorganismen kommt. In so einem Fall müssten wir neue Organismen ansiedeln. Ansonsten setzen wir auf die Selbstregulierung des Systems. Der Aufwand ist nicht höher als in den vorherigen Reinigungsstufen einer Kläranlage.

Das Mikroplastik an sich schadet den Organismen nicht?

SGL: Unseren Beobachtungen nach nicht. Im Labor haben sie es gut überstanden. Und die Belastung, die wir in der Praxis erwarten, wird voraussichtlich deutlich geringer sein.

Wie macht sich das selbstregulierende System in den Betriebskosten bemerkbar?

Probenahme von Mikroplastik

Probenahme von Mikroplastik im Ablauf der Kläranlage Petershausen mithilfe eines rotierenden Siebfilters durch Samuel Schmucker, Bachelorand im Studiengang Biotechnologie.

Foto: Julian Eckert

JE: Wir gehen von Kosten, etwa für Strom und Wasser, von unter 100 Euro im Monat aus. Ich denke, das ist für eine Pilotanlage in diesem Maßstab auf jeden Fall tolerierbar. Unser Dank gilt der Gemeinde Petershausen, die dem Projekt von Anfang an sehr offen gegenüberstand und die Kosten für den Betrieb der Pilotanlage im Rahmen unserer Forschung übernimmt.

Welche weiteren Vorzüge sehen Sie?

SGL: Dadurch, dass wir rein biologische Abbauprozesse nutzen, ist der Prozess nachhaltig. Wir verwenden nur natürliche Materialien, die Basis unseres Reaktors bilden Lavasteine aus der Vulkaneifel. Als Nebenprodukt wird tote, aber mikroplastikfreie Biomasse abgeschwemmt. Die lässt sich kompostieren – oder aber als Dünger oder Tierfutter einsetzen. Entsprechende Nährstoffanalysen haben wir vornehmen lassen.

Wie geht es nun weiter?

Wie sieht es mit der Skalierbarkeit aus?

SGL: Sehr gut. Denn die Anlage lässt sich modular erweitern. Wir starten in Petershausen mit einem Teilstrom. Wenn wir den Erfolg der Pilotanlage belegt haben, wollen wir schnellstmöglich in den Dauerbetrieb übergehen und den kompletten Abwasserstrom der Gemeinde von Mikroplastik befreien.

Und die Technologie in die gewerbliche Nutzung überführen?

SGL: Als Hochschule für angewandte Wissenschaften ist es unser Anspruch, praxisnah zu forschen. Daher arbeiten wir im Rahmen des Projektes mit einer Partnerfirma (ZWT Wasser- und Abwassertechnik GmbH) zusammen, die Kläranlagen baut. Sie würde im Erfolgsfall den Vertrieb der Technologie übernehmen.

Ließe sich das Verfahren nutzen, um weitere Stoffe zu klären?

JE: Tatsächlich machen wir uns bereits Gedanken darüber, inwieweit sich kritische, im Abwasser enthaltene Substanzen wie Arzneimittel oder Weichmacher mikrobiologisch entfernen lassen. Im Idealfall kann die Pilotanlage schrittweise durch Mikroorganismen erweitert werden, die ein großes Spektrum an kritischen Verbindungen verstoffwechseln.

Ein Beitrag von:

  • Patrick Torma

    Patrick Torma ist freier Journalist und Autor aus dem Ruhrgebiet. Sein Herz schlägt für Texte mit Aha-Effekt. Für ingenieur.de schreibt er über Technik-, Infrastruktur- und Karrierethemen.

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