Feuchte Böden verhinderndie Verwesung
Auf deutschen Friedhöfen staut sich die Nässe. Die Toten unter der Erde verwesen nicht mehr, sondern verseifen und bleiben jahrzehntelang erhalten. Ein Trauma für Totengräber und Angehörige und ein Kostenfaktor für die Kommunen. Ausgefeilte Grabkammersysteme sollen Abhilfe schaffen.
Emma liegt in einem Betongrab. Emma ist ein Hausschwein und verwest. Jeden Morgen um sieben misst Günter Ackermann den Sauerstoffgehalt und die Luftfeuchtigkeit in Emmas Gruft. Daran kann er ablesen, wie der Abbauprozess, dem er nachhelfen will, fortschreitet. Der Unternehmer aus dem schwäbischen Möglingen testet mit der Universität Stuttgart die Tauglichkeit oberirdischer Betongräber. Denn viele Böden verhindern die Verwesung.
33 000 Friedhöfe gibt es in Deutschland. Rund ein Viertel davon hat Probleme mit zu viel Wasser. Denn früher wurden Friedhöfe oft dort angelegt, wo der Boden weder als Acker noch als Bauland taugte. Viele Grabstätten liegen in wasserundurchlässigem Lehm oder in Gebieten mit hohem Grundwasserspiegel.
Die Kommunen sorgen sich nun um die Wiederbelegung der Friedhöfe, die daran scheitert, dass die alten Toten noch nicht weg sind, wenn die neuen Toten kommen. Doch mittlerweile hat sich eine milliardenschwere Industrie für Friedhofstechnik entwickelt. Ackermann zum Beispiel verkauft seine Grabkammern und Gewölbebausätze in der ganzen Republik. Unter der Erde, vorwiegend der baden-württembergischen, befinden sich schon über 2500 seiner Kammern.
Forscher versuchen herauszufinden, warum Leichname über Jahrzehnte hinweg erhalten bleiben – und zwar auf ganz natürliche Weise. „Unter günstigen Bedingungen ist ein Mensch in drei bis sechs Jahren verwest“, schreibt Dirk Schoenen vom Hygiene-Institut der Uni-Klinik Bonn in einem Gutachten. Nur die großen Becken-, Schädel- und Oberschenkelknochen bleiben übrig. Nach dem Tod beginnt der Abbauprozess mit Bakterien aus dem Darm, die die Fäulnis einleiten. Hierbei werden Ammoniak und Schwefelwasserstoff freigesetzt. Es entstehen die berüchtigten üblen Gerüche. Maden und Larven verschleppen die Fäulnisbakterien im Körper. Etwa fünf Monate später setzt die Verwesung ein: Schimmelpilze bilden sich auf der Haut.
Emma in der Kammer ist seit knapp drei Jahren tot. Ihr Körper ist mit Pilzen überzogen. Ackermann ist zufrieden. Doch in vielen Gräbern sieht es anders aus. Gerade in lehmigen Böden staut sich die Nässe, Luft dringt kaum durch. Ohne Sauerstoff kommt die Verwesung nicht in Gang. Das Körperfett wandelt sich in so genanntes Leichenwachs. Es setzt sich unter der Haut fest, ist nicht Wasser löslich und kann von Mikroorganismen im Boden nicht abtransportiert werden. Die Körperform bleibt bis zu Jahrzehnten erhalten.
Ackermann hat schon Fettwachsleichen ausgegraben: „Ein schrecklicher Anblick. Ich konnte nächtelang nicht schlafen.“ Trotzdem hat er das Problem zu seiner Profession gemacht und über Jahre an immer besseren Systemen getüftelt: Vor Emma haben schon Elsa und Elisa der Wissenschaft gedient – allerdings in unterirdischen Kammern.
Auch die Firma BayWa aus München baut Grabkammern. Sie sind nach unten offen und aus Beton gegossen. Eine Folie aus Polyethylen soll verhindern, dass Wasser in die Kammer dringt. Auf der Folie liegt eine 3,5 cm dicke Vegetationsmatte. Sie speichert Wasser, ist mit Kunstdünger durchsetzt, damit auf dem Grab die Pflanzen gut wachsen. „Ähnlich wie eine Dachbegrünung“, erläutert Roland Braun von der Grabkammer-Vertriebs-GmbH. Für die Be- und Entlüftung sorgt ein patentiertes System aus Röhren mit Aktiv-Kohle-Filter. Unter den Kammern führen Drainagen das Wasser ab. Durch die offene Grabsohle hat der Sarg Kontakt mit dem Boden. Die Temperaturen in der Kammer liegen zwischen 7 und 9 Grad, die Luftfeuchtigkeit beträgt 100 %. „Im Sarg findet die Verwesung als Verdunstungsprozess statt“, erklärt Braun.
Die Kammern der Firma cemstra aus Ennigerloh in Nordrhein-Westfalen funktionieren im Grunde wie die bayerischen. Nach zwölf Jahren sind die Leichname verwest – bis auf die groben Knochen, die in die Gebeinegrube unter der Grabkammer kommen. „Unsere Kammern können spätestens nach 15 Jahren wieder belegt werden“, sagt Marcel Junker. Die verkürzten Ruhezeiten bieten also geldwerte Vorteile.
Ackermanns Grabkammern sind ringsum geschlossen. Sie sind aus Leichtbeton und bestehen aus der Sargkammer mit einem Pflanztrog darüber. Trog und Kammer sind durch Belüftungsrohre verbunden. In der Sargkammer soll eine „Bodenmatrix“, auf die Mikroorganismen aufgebracht sind, die Abbauvorgänge beschleunigen. Für Frischluft sorgen Verbindungsrohre in die Erde über dem Grab.
Die Matrix nimmt auch Grünschnitt auf, der bei Gartenarbeiten auf dem Friedhof anfällt. Sie bindet die Abbauprodukte, wie Amalgamplomben, künstliche Hüftgelenke oder Silikonkissen, die die Umwelt belasten könnten. Herzschrittmacher werden vor der Beerdigung entfernt. Nach 100 Jahren muss die Matrix entsorgt werden.
Die Firma RW Bestattungssysteme aus dem schwäbischen Mundelsheim hat eine Geotextilfolie entwickelt. Mit ihr wird das Erdgrab ausgeschlagen. Der Sarg wird auf Erde bestattet und mit Erde überschüttet. Darüber schließt sich dann die Folie mit einem wasserundurchlässigen Reißverschluss. Rohre sorgen für Belüftung. Der Friedhof in Jettenburg verwendet seit drei Jahren solche Grabhüllen. Jetzt sollen sie durch eine Tiefendrainage ersetzt werden, berichtet die örtliche Zeitung. Die Leute seien mit dieser Art der Bestattung nicht glücklich. Auch die Grabkammern sorgen nicht nur für Zufriedenheit: Auf dem Friedhof Horsthausen mussten 23 Leichname umgebettet werden, weil die Kammern voll Wasser liefen.
In Grabkammern sind auch schon Mumien gefunden worden. Sie entstehen in trockener Umgebung. Es fehlt nicht der Sauerstoff, sondern das Wasser für die Vermehrung der Mikroorganismen. Die Verwesung bricht dann ab.
Die einzig wirklich sichere Methode Leichen los zu werden, ist die Feuerbestattung. Doch die ist für viele kleine süddeutsche Gemeinden undenkbar. In Ostdeutschland dagegen hat die Kremation Tradition. KARIN BAUR
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