Gewässer in EU stärker belastet als angenommen
Vor allem Pestizide belasten viele Gewässer in der EU erheblich stärker als erwartet. Weil in einigen Ländern die Überwachung schlecht ist, sind die Gefahren vermutlich noch größer als jetzt festgestellt.
Jedes Jahr vor der Feriensaison veröffentlicht die Europäische Umweltagentur einen Bericht über den Zustand der Gewässer in der EU. Und seit Jahren vermitteln diese Berichte den Eindruck: Er ist gut, und er wird immer besser. In mehr als 90 Prozent der Gewässer soll das Baden völlig unbedenklich sein.
Trügerische Ruhe: Meist werden nur Badegewässer untersucht
In der breiten Öffentlichkeit wird die chemische Belastung von Flüssen, Seen und Küstenregionen kaum noch diskutiert, zumal extreme und für jeden offensichtliche Probleme wie Schaumberge sehr selten geworden sind. Allerdings bezieht sich die Behörde immer nur auf die Situation in Badegewässern und untersucht vor allem Substanzen, die direkt negative Folgen für den Menschen haben können, beispielsweise Bakterien.
Auch die Risiken für Wasserorganismen werden seit Jahren als gering eingestuft. Falsch, sagen nun Forscher aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Die chemische Belastung stelle für rund die Hälfte der europäischen Gewässer ein ökologisches Risiko dar. Bei rund 15 Prozent könnten sogar akut toxische Effekte auf Gewässerorganismen auftreten. So lautet das Fazit ihrer Studie, die die Daten der behördlichen Überwachung in zahlreichen Ländern untersucht hat. Vermutlich sei die Lage aber tatsächlich noch schlechter.
„Generell haben wir in unserer Analyse das Risiko eher unter- als überschätzt“, so Studienleiter Ralf B. Schäfer vom Institut für Umweltwissenschaften Landau. Grund für diese Vermutung ist, dass etwa Spanien nur wenige und teils auch noch unbrauchbare Daten ermittle. Dagegen stehe Frankreich wahrscheinlich deshalb so schlecht da, weil es hier ein besonders engmaschiges Netz an Messstellen gebe.
Viele Pestizide aus der Landwirtschaft
Hauptursache für die Belastung seien Pestizide aus der Landwirtschaft. Auch kommunale Kläranlagen trügen erheblich zum Schadstoffeintrag bei. Neben Rückständen von Pflanzenschutzmitteln fanden die Forscher häufig auch Organozinnverbindungen, bromierte Flammschutzmittel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die aus Verbrennungsprozessen stammen, und dies in teils „bedenklichen Konzentrationen“.
Die Forscher haben für die Studie Daten aus rund 4000 Flüssen in Europa zu 223 Chemikalien ausgewertet und dabei 35 Chemikalien in Konzentrationen gefunden, die Fischarten, Algen und wirbellose Tiere schädigen können. In mehreren Flüssen in Nordfrankreich, Nordengland und dem Baltikum ist die Belastung durch Chemikalien so hoch, dass auf Dauer von Schädigungen der Wasserlebewesen auszugehen ist.
Ein Mangel der Überwachung ist, dass sich die EU-Vorgaben auf rund 40 Stoffe konzentrieren, die als besonders gefährlich eingestuft sind. Viele davon seien aber ohnehin gar nicht mehr zugelassen und ihre Konzentration gehe zurück. „Das Problem ist aber, dass viele aktuell verwendete Chemikalien bei der Überwachung der Gewässer gar nicht berücksichtigt werden“, sagt Werner Brack vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Zudem zeigten neuere Erkenntnisse, dass die Grenzwerte für einige Stoffe zu hoch angesetzt sein könnten.
„Etwa die Hälfte aller Fließgewässer ist tatsächlich mit Chemikalien-Konzentrationen belastet, die zu einer chronischen Toxizität gegenüber Organismen führen“, sagte Brack der Deutschen Welle. „Das heißt, das ist also mitnichten ein lokales Problem hinter irgendwelchen Industrieanlagen oder Kläranlagen, sondern das ist wirklich ein Europäisches Problem.“
Ziele der EU-Wasserrichtlinie in Gefahr
Die Studie hat nach Angaben der Forscher zum ersten Mal die Situation in großem Maßstab auf europäischer Ebene in den Blick genommen. Ihr Fazit: Langfristig könne die hohe Belastung mit Chemikalien die Funktion der Ökosysteme stören und damit auch Folgen für den Menschen haben, weil etwa die Selbstreinigungskraft des Wassers reduziert werde. Sie fordern deshalb, weitere Substanzen in die Kontrollen einzubeziehen, problematische Stoffe zu ersetzen und die Koordination in der EU zu verbessern. Geschehe dies nicht, würden die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie wahrscheinlich verfehlt. Diese schon im Jahr 2000 vereinbarte Vorgabe hatte zum Ziel, bis zum Jahr 2015 in restlos allen Gewässern einen „guten chemischen und ökologischen Zustand“ zu erreichen.
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