Grönländischer Eisschild schmilzt jährlich um zehn Gigatonnen
Bislang galten die Gletscher im Nordosten Grönlands als stabiles Eisreservoir. Eine neue Studie kommt nun zu dem Schluss, dass dieser Eisschild seit 2003 jährlich um zehn Milliarden Tonnen abnimmt. Die Forscher sehen darin eine wesentliche Gefahr für das Ansteigen des Meeresspiegels.
Der bisher kälteste und stabilste Teil des grönländischen Eisschildes ist laut einer neuen Studie in Gefahr. „Es ist zwar bekannt, dass das Eis in Grönland in den letzten Jahrzehnten mit immer größer werdendem Tempo schmilzt. Aber es hat uns überrascht, dass auch der nordöstliche Teil Grönlands in den letzten sieben bis acht Jahren zu dieser Entwicklung erheblich beigetragen hat“, sagt Shfaqat Abbas Khan. Der Geodäsie-Professor von der Technischen Universität Dänemark in Lyngby und ein internationales Wissenschaftlerteam haben herausgefunden, dass sich der Eisschild im Nordosten Grönlands allein in den letzten sechs Jahren um 20 Kilometer zurückgezogen hat.
Das ist enorm, wenn man bedenkt, dass einer der schnellsten Gletscher Grönlands, der Jakobshavn Isbrae im Südwesten der Insel, für 35 Kilometer 150 Jahre benötigte. Ihre Ergebnisse hat das Forscherteam jetzt im Fachmagazin „Nature Climate Change“ veröffentlicht.
Bisherige Klimamodelle rechneten mit stabilen Eismassen im Nordosten Grönlands
Im Gegensatz zu den anderen großen Gletschern in Grönland führt der Zachariae-Eisstrom im Nordosten ungefähr 700 Kilometer weit direkt ins Landesinnere. Das Becken, in dem er fließt, repräsentiert 16 Prozent des gesamten grönländischen Eisschilds. Für ihre Studie hatten die Forscher Daten von Eisdickenmessungen per Flugzeug und von Satelliten der Jahre 2003 bis 2012 sowie frühere Messungen bis zurück ins Jahr 1978 ausgewertet. Zusätzlich bezogen sie Daten des GPS-Netzwerks GNET mit ein, dessen Stationen registrieren, wie stark sich der Untergrund aufgrund der abnehmenden Eislast hebt.
Durch die enorme Masse des Eisstromes hätten Veränderungen des Gletschers große Auswirkungen auf die Masse des Eises im Inneren des Landes, so die Wissenschaftler. Die gängigen Klimamodelle hätten dies bislang nicht einkalkuliert. „Die meisten Modelle, die ein zukünftiges Ansteigen des Meeresspiegels schätzen, gehen davon aus, dass das Eis im Nordosten Grönlands stabil bleibt“, sagt Khan. „Wir sind aber nun zu dem Ergebnis gekommen, dass jetzt ein Punkt erreicht ist, an dem der Verlust der Eismasse im Nordosten eine besonders große Bedeutung hat. Die bisherigen Modelle haben das völlig unterschätzt.“
Die Schmelze in Grönland könnte Ansteigen des Meeresspiegels beschleunigen
Das Ausmaß der Veränderungen in den letzten zehn Jahren erstaunte selbst die Forscher. Bis zum Jahr 2003 blieb der nordöstliche Eisschild relativ stabil. Dann aber, besonders ab 2006, begann eine rapide Schmelze. Von April 2003 bis 2012 verlor er im Durchschnitt zehn Milliarden Tonnen Eis pro Jahr.
Nach Angaben der Forscher begann das Tauen im Nordosten, als eine Reihe besonders warmer Sommer in den Jahren 2002 bis 2004 das Meereis der dortigen Küsten dezimierte und so die schützende Barriere wegfiel. Ein Einstrom wärmeren Wassers, kombiniert mit den höheren Lufttemperaturen, löste quasi die Bremse der Gletscherzungen und ließ sie schneller ins Meer fließen. Das warme Meerwasser verstärkte dann das submarine Abschmelzen und trug weiter zur Instabilität der Gletscher bei. Nun könne ein sich selbst verstärkender Prozess in Gang gekommen sein, dessen Konsequenzen bisher noch nicht abzusehen seien, befürchten die Forscher.
Nordosten Grönlands erwärmt sich besonders stark
Verschärfend komme hinzu, dass die Klimaprognosen ausgerechnet für den Nordosten Grönlands in den kommenden Jahrzehnten die stärksten Erwärmungen voraussagen. Grönland könnte damit in Zukunft noch stärker zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen als bisher angenommen. Bereits jetzt gilt das grönländische Eisschild als einer der größten Beiträge für die steigenden Pegel. In den letzten 20 Jahren gingen 0,5 Millimeter der insgesamt 3,2 Millimeter Anstieg pro Jahr auf das tauende Eis der Rieseninsel zurück.
Doch auch in anderen Regionen beschleunigt sich die Eisschmelze. So hatten zum Jahresbeginn Forscher berichtet, dass auch einer der größten Gletscher der Welt, der Pine-Island-Gletscher in der Antarktis, durch warmes Wasser von unten schneller schmilzt als bislang bekann. Allein sein Schmelzen wird den Meeresspiegel in den nächsten 20 Jahren um bis zu einem Zentimeter ansteigen lassen.
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