Hitzewelle in Sibirien hat dramatische Folgen – Klimaforscher in Sorge
Sibirien wird aktuell von einer Hitzewelle heimgesucht. Zudem brennen in Teilen Russlands Wälder. Klimaforscher schlagen Alarm.
„Wir verstehen nicht, was in Sibirien gerade passiert. Das ist ein neues Phänomen“, erklärte Anfang Juli der deutsche Klimaforscher Anders Levermann vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung
Sibirien erlebt eine Hitzewelle, die auch zahlreiche Waldbrände zur Folge hat. Höhere Sommertemperaturen in diesem Teil Russlands sind nichts Ungewöhnliches. Was genau besorgt die Klimaforscher?
Werchojansk meldet „völlig verrücktes“ Wetter
Im nordasiatischen Russland herrschen Temperaturen wie im Süden. In der Stadt Werchojansk wird ein Hitzerekord erwartet. Werchojansk ist eine Kleinstadt in der sibirischen Republik Sacha. Werchojansk stolz auf seine knackigen Wintermonate um die minus 60 Grad Celsius. Nun meldete die russische Kleinstadt am Wochenende 38 Grad. Als „völlig verrückt“ bezeichnete der finnische Meteorologe Mika Rantanen den Wert für die Kleinstadt auf Twitter. Die Stadt befindet sich am 67. Breitengrad und liegt damit nördlicher als Island. Damit würde die höchste jemals gemessene Temperatur nördlich des Polarkreises vorliegen. Im Juni liegt die durchschnittliche Temperatur in der Region bei 20 Grad Celsius.
Sibirien: Extremwetter im Mai
Im Monat Mai lagen die Oberflächentemperaturen in Teilen der russischen Region nach Angaben des EU-Copernicus-Klimadienstes bis zu 10 Grad über dem Durchschnitt. Selbst am Polarkreis wurden nie zuvor gemessene Temperaturen registriert. Im Ort Chatanga, für den zu dieser Jahreszeit Tagestemperaturen um null Grad normal sind, waren es am 25. Mai 25 Grad.
Martin Stendel vom Dänischen Meteorologischen Institut sagte der britischen Zeitung “The Guardian”, die im Mai in Nordwestsibirien gemessenen Temperaturen seien Berechnungen zufolge nur einmal in 100.000 Jahren normal. Die Erderwärmung erhöhe die Wahrscheinlichkeit für solche außergewöhnlichen Wetterereignisse allerdings.
Anomale Hitze: Wetterabweichungen seit sechs Monaten beobachtet
Wetterexperte Anders Levermann gibt währenddessen an: „Uns ist natürlich bekannt, dass es im Sommer in Sibirien sehr warm werden kann. Und wir wissen auch, dass die globale Erwärmung in arktischen Breiten besonders schnell verläuft. Aber wir beobachten nun seit mehr als sechs Monaten Temperaturen, die im Durchschnitt um sieben Grad höher sind, als es in der jeweiligen Jahreszeit sein sollte. Das ist es, was wir nicht verstehen: Warum hält diese anomale Hitze so lange an? Es ist ein neues Klimaphänomen, das jetzt erforscht werden muss.“
Der Grund für die Hitze hängt mit der Luftströmung in der Atmosphäre zusammen, mit dem sogenannten Jetstream. Vorstellen kann man sich das wie eine Art Band, das sich einmal um die Erde in mittleren Breiten schlingt – und zwar auf der Höhe von Moskau und Berlin. Durch die Erderwärmung schwankt dieses Band nach Norden und Süden immer mehr, was wiederum Wetterextreme auslöst.
Die Hitze 2020 führt nicht nur zu zahlreichen Waldbränden, sondern auch zu einem weiteren Abschmelzen des Permafrostes in Sibirien. Infrastrukturschäden sind die Folge.
Sibirien: Permafrostboden taut auf
Durch das ungewöhnlich warme Wetter taut der Permafrostboden in Sibirien auf. Das hat Schäden für die Umwelt und Infrastruktur zu Folge. Im Permafrostboden sind große Mengen an Treibhausgasen gespeichert. Immer mehr Gase werden freigesetzt, da der Frostboden taut. Ein Teufelskreis entsteht. “Derzeit beobachten wir vor allem einen sehr schnellen Ablauf bestimmter Tauprozesse“, sagt Mathias Ulrich, Geograf an der Universität Leipzig. Das könnte sich nicht nur auf die Menschen in Sibirien auswirken, sondern zu einer weltweiten Umweltbelastung führen.
Fast zwei Drittel der Bodenfläche in Russland sind dauerhaft gefroren. In der riesigen gefrosteten Fläche lagern Überbleibsel von Pflanzen und Tieren, die noch nicht von Mikroben zersetzt wurden. Solche Dauerfrostböden gibt es auch in Alaska, Kanada sowie im Osten und Norden Sibiriens. Permafrostböden reichen vom Nordpolarmeer bis teilweise zum Ural und Süden Kasachstan. Der Frost reicht bis in eine Tiefe von einem Kilometer. Da die arktischen Winter aber immer wärmer und die Sommer länger werden, tauen tiefere Erdschichten auf. „Wir wissen heute, dass im dauergefrorenen Boden große Mengen an Kohlenstoff gebunden sind, wahrscheinlich etwa doppelt so viel wie derzeit in der Atmosphäre vorhanden sind“, sagt Permafrost-Experte Ulrich.
Russlands Wälder brennen
Parallel brennen die Wälder Russlands. In den letzten Wochen habe es mehr als 6.000 Waldbrände gegeben, so die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau. Circa 9.900 Quadratkilometer sind schon abgebrannt. Das entspricht einer Fläche, die mehr als zehnmal so groß ist wie die Ostsee-Insel Rügen. Gebiete am Baikalsee, der äußere Osten und Westen des Landes sind von Waldbränden betroffen.
Für europäische Wälder haben Forscher kürzlich auch eine Prognose geliefert. Die beiden Hitzesommer 2018 und 2019 haben Mitteleuropas Wäldern nämlich massiv zugesetzt. Mehr als 200.000 Hektar, was in etwa der Fläche des Saarlandes entspricht, sind in diesem Zeitraum abgestorben.
Menschen verursachten die Feuer
Laut dem Umweltministerium sind rund 60 % der Brände entstanden, weil Menschen unachtsam mit Feuer umgegangen sind. Einige Lagerfeuer seien außer Kontrolle geraten. Nach Angaben der russischen Forstverwaltung sind 1.000 Feuerwehrleute im Einsatz, um die Brände zu löschen. 2019 sollen nach Schätzungen von Greenpeace 150.000 Quadratkilometer den Flammern zum Opfer gefallen sein.
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Internationale Wissenschaftler sind darüber hinaus überzeugt, dass die Hitzewelle in Sibirien ein Beleg für den menschengemachten Klimawandel ist.
In ihrer Studie schreiben die Forscher, dass der Treibhauseffekt die Wahrscheinlichkeit einer anhaltenden Hitze in der russischen Region um mindestens das 600-fache verstärke.
Die Wissenschaftler verwendeten 70 Klimamodelle und erstellten Tausende komplexe Simulationen, um die aktuellen Bedingungen mit einer Welt zu vergleichen, in der es keine vom Menschen verursachte Erwärmung gibt. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass ohne den Klimawandel die Art der anhaltenden Hitze in Sibirien, einmal in 80.000 Jahren auftreten würde.
„Ohne menschlichen Einfluss ist das praktisch unmöglich“, erläuterte der Studienleiter Ciavarella.
Schädliche Gase wie Methan werden freigesetzt
Durch das Auftauen des Permafrostbodens werden Gase wie Methan und Co2 freigesetzt. Die Hitze trocknet die Böden aus und Waldbrände entstehen. Die Feuer setzen weitere Treibhausgase frei. Sibirien liegt zwar weit weg von uns, aber Klimaforscher schlagen Alarm und warnen vor den Folgen für das Ökosystem der Erde.
Warum Sibirien so stark von der Erderwärmung betroffen ist
Im Rahmen des Klimawandels gilt Sibirien als äußerst gefährdete Region. Deutliche Temperaturschwankungen und eine starke Erderwärmung werden prognostiziert. Der Sommer 2020 bestätigt diese Prognose. Doch warum steigen die Temperaturen rund um die Pole am schnellsten?
Die Meeresströmungen transportiert die Wärme an die Pole. Reflektierendes Eis und Schnee schmelzen dann ab. „Obwohl sich der Planet als Ganzes erwärmt, geschieht dies nicht gleichmäßig“, erklärt die Forscherin Freja Vamborg vom Copernicus-Klimadienst. „Daher sind große Temperaturanomalien in Sibirien bis zu einem gewissen Grad nicht überraschend. Ungewöhnlich ist jedoch, wie lange die überdurchschnittlich starken Erwärmungsanomalien schon bestehen.“
Die Ölkatastrophe in Norilsk wird ebenfalls im Zusammenhang mit der Erwärmung in Sibirien gesehen. Ende Mai ist dort ein Tank in einem Heizkraftwerk wegen des auftauenden Permafrostbodens kollabiert. 20.000 Tonnen Diesel liefen aus und verseuchten die umliegenden Gewässer. Permaforscher Guido Grosse aus Potsdam verwies allerdings auch auf das Alter und die Konstruktion des Tanks, obwohl er den Einfluss tauender Böden für plausibel hielt.
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