Hochwasserschutz: Die Stadt muss zum Schwamm werden
Wie lassen sich Flüsse aufhalten, wenn sie über die Ufer treten? Diese Frage treibt aktuell ganz Deutschland um. Forschende an der Ruhr Universität Bochum haben dazu ein Konzept entwickelt. Höhere Deiche sind nach ihrer Meinung genau der falsche Weg.
Was einst ein unauffälliger Bach war, wird innerhalb weniger Stunden zum unberechenbaren Strom, der Häuser und Autos mit sich reißt und ganze Städte überwemmt und unterspült. Nicht nur die Anwohnerinnen und Anwohner in den betroffenen Hochwassergebieten sind fassungslos davon, wie schnell die gewaltigen Wassermassen in den vergangenen Tagen ganze Dörfer und Stadtteile zerstört haben. Die Zahl der Todesopfer steigt noch immer. Es reicht aber nicht, aufzuräumen und wieder aufzubauen. Denn über der Hochwasserkatastrophe schwebt eine entscheidende Frage: Wie lässt sich so etwas in Zukunft verhindern? Ein Team an der Ruhr Universität Bochum (RUB) schlägt Kommunen einen neuen Weg vor.
Hochwasser: Welche technischen Maßnahmen helfen?
Herkömmlicher Hochwasserschutz verlagert das Problem auf andere Orte
Für die aktuelle Hochwasserkatastrophe ist zu einem großen Teil der Mensch selbst verantwortlich – und damit ist nicht der Klimawandel gemeint, der nach Ansicht der Meteorologen zu diesen außergewöhnlichen Wettereignissen geführt hat. Für die Bewohnerinnen und Bewohner in Hochwassergebieten ist es noch problematischer, dass die Flüsse über Jahrzehnte verändert worden sind. Vielfach wurden sie begradigt. Uferzonen und Versickerungsbereiche mussten Straßen und Häusern weichen, Flächen wurden also versiegelt. An vielen Orten wurde Deiche errichtet, um Flüsse in ihre Schranken zu weisen. In den letzten Tagen hat sich sehr deutlich gezeigt, dass dieses Konzept nicht ausreicht.
„Der erste Reflex ist dann oft: Wir erhöhen den Deich“, sagt Christian Albert, Professor für Umweltanalyse und -planung in metropolitanen Räumen und Leiter der interdisziplinären Arbeitsgruppe Planning Metropolitan Landscapes (PLACES). Technisch ist das kein Problem. Gerade in den Großstädten haben sich neben Deichen auch Einrichtungen wie Hochwasserschutztore bewährt. Sie zwingen den Fluss dazu, in seinem Bett zu bleiben – er fließt weiter und rast immer schneller ins Tal. Weiter unten sind die Wassermengen, die dort eintreffen, also umso größer und gefährlicher. Albert fordert daher ein Umdenken beim Thema Hochwasserschutz: „Wir müssen zum beidseitigen Vorteil mit der Natur arbeiten. Nur dann funktionieren Lösungen auch langfristig.“
Hochwasserschutz heißt: Platz schaffen für den Fluss
Was genau ist damit gemeint? Das erklärt sich durch einen Blick in die Vergangenheit. Früher war es selbstverständlich, dass Flüsse von Auen gesäumt wurden, die bei Hochwasser regelmäßig geflutet wurden. Ohne Bebauung richtet der Fluss kaum Schäden an und breitet sich in die Landschaft aus. Das führt zur Entlastung.
Albert fordert daher naturbasierte Lösungen für den Hochwasserschutz. In ländlichen Regionen wäre es zum Beispiel möglich, Flussufer wieder abzusenken, um Altarme der Flüsse anzubinden und Flussauen wiederherzustellen. An den Seiten landwirtschaftlich genutzter Flächen könnten breitere Randstreifen angelegt werden, die bewusst rauer gestaltet werden. Das verringere die Bodenerosion und erleichtere es dem Wasser, dort zu versickern.
Das klingt sinnvoll, dürfte sich in städtischen Gebieten aber kaum umsetzen lassen. Für bewohnte Regionen hat Albert daher andere Vorschläge parat. Er hält eine grüne Infrastruktur für sinnvoll, die sich aus vielen Einzelmaßnahmen zusammensetzt. Hochwasserschutz müsse in den betreffenden Orten bei der Stadtplanung grundsätzlich mitgedacht werden: „In Kopenhagen hat man zum Beispiel den Lindevang-Park so gestaltet, dass er bei Starkregenereignissen überschüssiges Regenwasser aufnehmen kann. Der Park ist somit nicht nur eine hochattraktive Spiel- und Liegewiese – er dient zudem als Regenauffangbecken.“ Ein anderes Beispiel sei der Phönixsee in Dortmund. Eventuell überlaufendes Wasser aus der Emscher könne der See in einem gewissen Rahmen aufnehmen. Anders gesagt: Eine Stadt muss so gestaltet sein, dass sie das Wasser wie ein Schwamm aufnimmt.
Podcast-Tipp: Wie bauen wir nach dem Hochwasser?
In dieser Folge von „Technik aufs Ohr“ nehmen wir die Hochwasserkatastrophe Mitte Juli in Rheinland-Pfalz und in NRW in den Blick. Die Schäden sind immens und die Aufräumarbeiten dauern nach wie vor an. Was haben wir aus der Katastrophe gelernt? Was müssen wir künftig beim Häuser-, Straßen- und Landschaftsbau anders machen? Darüber sprechen Sarah Janczura und Marco Dadomo mit Dr. Ulrich Klotz. Er ist Bauingenieur und Vorstandsmitglied des Bauunternehmens Züblin AG.
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Forschende bieten praktische Beratung an
Dass eine grüne Infrastruktur viele positive Begleiteffekte hätte, versteht sich von selbst. Artenvielfalt und eine höhere Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner sind die wichtigsten. Doch Albert gibt auch zu: Naturbasierte Lösungen brauchen viel Platz und lassen sich, anders als Schutzmauern, nicht in kurzer Zeit umsetzen. Außerdem sieht er Hürden in den Köpfen der Verantwortlichen, die bei diesem Thema grundsätzlich umdenken müssten. Zweifel daran, dass es sich lohnen könnte, hat er keine. Mit seinem Team bietet er daher auch praktische Beratung an. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können mit ihrer Software zum Beispiel identifizieren, die sich für den naturbasierten Hochwasserschutz anbieten. „Wir wollen verstehen, wie urbane Ökosysteme funktionieren. So können wir Defizite aufzeigen, Herausforderungen finden, die sich angesichts des Klimawandels ergeben werden, und Strategien für lebenswerte Städte für Mensch und Natur entwickeln“, fasst Albert den Ansatz zusammen.
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