Industrie soll sofort auf Umwelthormone verzichten
Umweltschützer fordern von der EU, unter Reach auch hormonell wirkende Schadstoffe zu regulieren. Die EU tut sich schwer damit. Deutschland jedoch will im Sommer erstmals einen solchen Stoff als Kandidaten für das Zulassungsverfahren vorschlagen.
Über Umwelthormone wird wieder gestritten. Das französische Parlament stimmte am 3. Mai in erster Lesung einem Gesetzesvorschlag zu, der einen einzigen Artikel enthielt: „Herstellung, Einfuhr, Verkauf und Vertrieb von Produkten, die Phthalate, Parabene oder Alkylphenole enthalten, sind untersagt.“ Das knappe Votum für dieses Gesetz war jedoch ein politisches Missverständnis und es wird erwartet, dass der Gesetzesvorschlag über diese hormonell wirksamen Schadstoffe nicht weiter verfolgt wird.
Am selben Tag veranstaltete der schwedische Umweltverband Chemikaliensekretariat (ChemSec) in Brüssel die Anhörung „From Ambition to Action“. Der Verband stellte 22 Substanzen vor, die nachweislich das Hormonsystem von Tieren schädigen und deren Einsatz die EU mithilfe der Chemikalienverordnung Reach streng begrenzen sollte. Zu ihnen zählen neben Butyl- und Propylparaben, die als Konservierungsmittel in kosmetischen Mitteln zugesetzt werden, auch Benzophenone, die als UV-Filter in Sonnenschutzmittel eingesetzt werden, und auch das Vergällungsmittel Diethylphthalat (DEP) etwa für Alkohol in Parfüm (www.chemsec.org/list).
Die 22 Umwelthormone ergänzen ChemSecs SIN-Liste von 2008. Diese Liste enthält jetzt 378 Stoffe, die der Umweltverband für besonders besorgniserregend hält. SIN steht für „substitute it now“, also für Stoffe, auf die die Industrie verzichten sollte, sagte Per Rosander vom ChemSec.
Vor allem Unternehmen mit direktem Kontakt zu Endkunden wie Ikea oder Boots Ltd, einer britischen Ladenkette für Gesundheitsprodukte, schauen regelmäßig auf die SIN-Liste. „Die Liste ist hilfreich“, erklärte Iain Brunning von Boots. „Wir können uns früh Gedanken machen, diese Stoffe zu ersetzen, bevor eventuell der Gesetzgeber den Einsatz dieser Stoffe beschränkt.“
Ein Blick zurück: Die EU hat 1999 die „Gemeinschaftsstrategie für Umwelthormone“ beschlossen: Endokrine Stoffe, also solche, die wie Hormone wirken, sollten erforscht und bei Bedarf verboten werden. 2003 war es so weit. Die EU sprach erste Verbote aus: Mit zinnorganischen Bioziden wie Tributylzinnoxid (TBTO) sollten Schiffsrümpfe künftig nicht mehr angestrichen werden. Und die Industrie muss auf Nonylphenole und auf Tenside aus der Gruppe der Nonylphenolethoxylate, die zu Nonylphenolen abgebaut werden, größtenteils verzichten.
„Doch seitdem tut die EU zu wenig“, sagen Umweltschützer wie Ninja Reineke von WWF. Dabei zeigen viele teils auch von der EU finanzierte Studien aus Universitäten und wissenschaftlichen Instituten, dass synthetisch hergestellte Stoffe wie Alkylphenole, Parabene oder Bisphenol A das Hormonsystem von Tieren stören können. „Wir sollten nicht jahrelang Beweise sammeln, dass eventuell die Fruchtbarkeit, die Gehirnentwicklung oder die Anfälligkeit für Krebserkrankungen oder Diabetes steigt“, so die Umweltschützerin – ohne dass dann Konsequenzen folgten.
Doch die EU tut sich schwer. „Wir haben unter Reach noch keine Substanz als hormonell wirksam eingestuft“, gesteht Patrick Murphy von der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission, da weltweit Erkennungskriterien für hormonell wirksame Stoffe fehlten. Zudem würden mit den unter der Chemikalienverordnung Reach vorgeschriebenen Tests nicht alle möglichen hormonellen Wirkungen erfasst.
„Reach erlaubt aber bereits jetzt, diese Stoffe zu bewerten und ihren Einsatz zu beschränken oder zu verbieten“ , betonte Reineke. Jeder EU-Staat kann einen Stoff, der das Hormonsystem stört, wie auch eine krebserregende Substanz als Kandidatenstoff benennen – der Status „Kandidatenstoff“ ist Voraussetzung für ein späteres Zulassungsverfahren und bedingt zugleich Informationspflichten innerhalb der Lieferkette und gegenüber dem Endverbraucher.
Deutschland will den Anfang machen. Das Umweltbundesamt (UBA) bereitet das Dossier vor, um Oktylphenol als Kandidatenstoff wegen seiner nachgewiesenen Wirkungen auf Fische vorzuschlagen (s. Kasten). Das UBA ging bedächtig zu Werke: Es hatte alle verfügbaren Daten bewertet sowie Forscher und Vertreter aller EU-Staaten zu zwei Workshops eingeladen. Ende 2010 wurde diskutiert, wann ein Stoff derart dramatisch auf das Hormonsystem von Tieren wirkt, dass er als besonders besorgniserregend unter Reach gilt. Im April 2011 ging es darum, diese vorläufigen Kriterien auf Oktylphenol anzuwenden.
„Wir sind uns jetzt sicher, dass Oktylphenol aufgrund seiner hormonähnlichen Eigenschaften in Fischen die Voraussetzung erfüllt, in die Liste der Kandidatenstoffe aufgenommen zu werden“, so Frauke Stock, UBA-Fachfrau für Reach.
Im August will das UBA das Dossier einreichen. Die EU-Chemikalienagentur Echa wird es dann nach einer Überprüfung ins Internet stellen, wo es 45 Tage lang kommentiert werden kann, bevor der Ausschuss der Mitgliedsstaaten Ende des Jahres über Deutschlands Vorschlag entscheiden wird. RALPH AHRENS
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