Ist Feinstaub noch viel schädlicher als bisher gedacht?
Neue Messungen zeigen: Feinstaub ist womöglich deutlich schädlicher als bislang vermutet. Besonders Sauerstoffradikale stehen im Fokus.

Autoabgase sind nur eine Quelle für Feinstaub. Durch neue Messmethoden wurde nun festgestellt, dass er gefährlicher ist als bislang angenommen.
Foto: PantherMedia / egubisch
Feinstaub begleitet uns täglich. Wir atmen ihn ein, oft ohne es zu merken. Doch eine neue Studie legt nahe: Diese winzigen Partikel in der Luft könnten deutlich gefährlicher sein als bislang angenommen. Besonders die sogenannten Sauerstoffradikale – hochreaktive Substanzen im Feinstaub – stehen im Verdacht, unsere Gesundheit stärker zu beeinträchtigen, als früher vermutet.
Inhaltsverzeichnis
Was genau ist Feinstaub?
Feinstaub ist ein Teil des sogenannten Schwebstaubs. Dabei handelt es sich um winzige Partikel in der Luft, die klein genug sind, um in unsere Atemwege zu gelangen. Gemessen wird Feinstaub unter anderem als PM10 und PM2,5. Diese Abkürzungen bezeichnen Partikel mit einem Durchmesser von maximal 10 bzw. 2,5 Mikrometern. Besonders kleine Partikel wie PM2,5 oder gar Ultrafeinstaub (kleiner als 0,1 Mikrometer) dringen tief in die Lunge ein, teilweise bis in die Blutbahn.
Die Zusammensetzung dieser Partikel ist äußerst komplex. Sie stammen aus verschiedensten Quellen: Verkehr, Industrie, Hausbrand, aber auch aus der Natur, etwa durch Vulkanausbrüche oder Waldbrände. Ihre Wirkung hängt nicht nur von der Größe, sondern auch von der chemischen Zusammensetzung ab. Rund 20 % des Feinstaubs gelten als hoch toxisch, etwa durch Bestandteile aus unvollständiger Verbrennung.
Die unsichtbare Gefahr: Sauerstoffradikale im Feinstaub
Seit Langem ist bekannt, dass Feinstaub zahlreiche Erkrankungen begünstigen kann. Dazu zählen chronische Atemwegserkrankungen wie Asthma, Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und sogar Demenz. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass weltweit jedes Jahr mehr als sechs Millionen Menschen an den Folgen von Feinstaub sterben. Besonders brisant: Viele dieser Menschen leben in Regionen, in denen die Grenzwerte der WHO dauerhaft überschritten werden.
Doch eine neue Untersuchung zeigt: Der eigentliche Schadstoffanteil im Feinstaub könnte bisher massiv unterschätzt worden sein. Forschende um Markus Kalberer von der Universität Basel haben eine neue Methode entwickelt, um die besonders gefährlichen Sauerstoffradikale – sogenannte Reactive Oxygen Species (ROS) – in Echtzeit zu messen.
Diese Radikale sind extrem kurzlebig und reagieren sehr schnell mit anderen Molekülen. Genau das macht sie so gefährlich – und bislang schwer messbar. In herkömmlichen Analysen wurden Partikel auf Filtern gesammelt und erst Tage später untersucht. Die reaktiven Radikale waren dann längst verflüchtigt oder bereits chemisch gebunden.
Neue Messmethode liefert beunruhigende Ergebnisse
Mit dem neuen Verfahren können Partikel direkt aus der Luft in eine Flüssigkeit überführt und dort analysiert werden. Die Radikale reagieren mit speziellen Chemikalien und erzeugen ein Fluoreszenzsignal, das sich messen lässt. Diese Echtzeitmessung zeigt: Zwischen 60 und 99 % der Sauerstoffradikale gehen bei bisherigen Methoden verloren. Die Luft enthält also deutlich mehr dieser gesundheitsgefährdenden Stoffe, als bisher angenommen wurde.
Die Erkenntnis: „Der echte Anteil schädlicher Substanzen im Feinstaub liegt deutlich höher als bisher angenommen“, so Kalberer. Der Messfehler lässt sich nicht einfach herausrechnen, da er stark schwankt. Es braucht also neue, standardisierte Messungen an vielen Orten.
Entzündungsreaktionen im Körper: Stärker als gedacht
Noch beunruhigender sind die Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Im Laborversuch wurden Lungenepithelzellen – also Zellen aus der Oberfläche der Atemwege – mit den neu gemessenen Feinstaubproben konfrontiert. Dabei zeigte sich: Die kurzlebigen Sauerstoffradikale lösten andere und deutlich stärkere Entzündungsreaktionen aus als die bisher untersuchten Bestandteile.
Das bedeutet: Diese Radikale sind nicht nur zahlreicher als gedacht, sondern könnten auch wesentlich gesundheitsschädlicher sein. Die Prozesse, die sie im Körper auslösen, betreffen nicht nur die Atemwege, sondern können auch systemisch wirken, etwa auf das Herz-Kreislauf-System oder das Gehirn.
Was heißt das für den Gesundheitsschutz?
Die neuen Erkenntnisse stellen bisherige Bewertungsgrundlagen infrage. Wenn ein großer Teil der gefährlichen Stoffe im Feinstaub bislang gar nicht erfasst wurde, dann greifen auch bestehende Grenzwerte zu kurz. Auch das Risiko für Erkrankungen könnte bislang unterschätzt worden sein.
Markus Kalberer erklärt: „Wenn wir den Anteil hochreaktiver, schädlicher Komponenten genauer und zuverlässig messen, lassen sich auch besser Schutzmaßnahmen ergreifen.“ Die Weiterentwicklung mobiler Messgeräte könnte dabei helfen, die Luftqualität realistischer zu bewerten.
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