Ist die weltweite Fleisch- und Milchindustrie der wahre Klimasünder?
Die Heinrich-Böll-Stiftung klagt an: Die globale Fleisch- und Milchindustrie zerstöre mit ihren „XXL“-Emissionen das Weltklima. Daran drohe letztlich das Pariser Klimaabkommen zu scheitern.
Fleisch und Milch stehen bei vielen Menschen regelmäßig auf dem Speiseplan. So wundert es nicht, dass die Tierhaltung nicht immer ökologisch und kleinbäuerlich, sondern vor allem im Gigamaßstab betrieben wird. Und laut Prognosen wird der weltweite Bedarf an tierischen Produkten in den nächsten Jahren noch steigen. Dabei ist die Fleisch- und Milchindustrie schon heute für einen beachtlichen Treibhausgas-Ausstoß verantwortlich. Darauf weist die Heinrich-Böll-Stiftung hin.
Die Kläger und ihre Fakten
Die Heinrich-Böll-Stiftung – politisch der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahestehend – machte kürzlich darauf aufmerksam, wie klimaschädlich die weltweite Fleisch- und Milchindustrie gegenwärtig sei. In ihrer Mitteilung verglich sie die Emissionen von CO2-Äquivalenten der Branchengrößen aus der Fleisch- und Milchindustrie mit denen der Bundesrepublik Deutschland sowie mit Energie- und Ölkonzernen. Das Ergebnis: Deutschland, eines der größten Industrieländer der Welt, stößt knapp 30 Millionen Tonnen weniger CO2-Äquivalente pro Jahr aus als die 20 größten Fleisch- und Milchbetriebe. Diese emittierten rund 932 Millionen Tonnen jährlich. Einzelne Energie- und Ölgiganten produzierten ebenfalls weniger als die fünf größten Fleisch- und Milchbetriebe zusammen, deren Ausstoß sich auf etwa 578 Millionen Tonnen des Treibhausgases belaufe.
Die Daten trug die Stiftung gemeinsam mit zwei Non-Profit Organisationen, dem Institute for Agriculture & Trade Policy sowie Grain, zusammen. Sie warnten zugleich davor, dass die im Pariser Klimaabkommen festgelegten Temperaturgrenzen der globalen Erwärmung (1,5°C und 2°C) allein aufgrund der zu erwartenden Emissionen aus der Fleisch- und Milchindustrie nicht einzuhalten seien. Denn laut Prognosen werde die Branche weiter wachsen.
Um die Klimaziele noch erreichen zu können, fordert Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, eine globale Agrarwende. Wen sie dafür in der Verantwortung sieht: die deutsche Bundesregierung. Doch was wissen wir eigentlich über die weltweite Fleisch- und Milchindustrie?
Die Fleisch- und Milchindustrie in der Kritik
Die Größen der internationalen Fleisch- und Milchindustrie konzentriert sich auf wenige Länder. Von den 20 größten Konzernen haben drei ihren Hauptsitz in Brasilien, sechs in den USA, sechs in der Europäischen Union, zwei in China und je eines ist in Neuseeland, in der Schweiz und in Kanada beheimatet. Die Unternehmen besitzen jedoch teilweise Produktionsstandorte in anderen Staaten, darunter auch in Deutschland. Die Bilanz darf daher nicht pauschal auf die angegebenen Staaten angerechnet werden. Von den 20 größten Konzernen hängen weit über eine Million Arbeitsplätze ab.
Diese Konzerne stehen nun am Pranger. Und einige von ihnen haben bereits andere Fehlentwicklungen in die Kritik gebracht. Die brasilianischen Fleischproduzenten JBS und BRF beispielsweise sollen unmittelbar an staatlicher Korruption, der Regenwald-Zerstörung im Amazonas und an diversen Lebensmittelskandalen beteiligt sein. Das US-Unternehmen Cargill und das Schweizer Unternehmen Nestlé sollen sich im Zusammenhang mit anderen Produkten unter anderem der Kinderarbeit schuldig gemacht haben. Der französische Milchkonzern Lactalis betreibt sogenanntes Agrardumping, hat also Rohmilch weit unter Herstellungskosten angekauft und die Wut der Bauern auf sich gezogen. Der niederländisch-deutsche Fleischproduzent Vion musste sich mehrmals wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz und Hygienemängeln rechtfertigen. Die chinesische Yili Group soll mit Chemikalien verseuchte Milchprodukte verkauft haben, was zu über 53.000 erkrankten und mindestens vier toten Kindern führte.
Bedeutung der CO2-Äquivalente
Doch was hat es nun mit den CO2-Äquivalente auf sich? Unter dem Begriff werden hauptsächlich Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) sowie Lachgas (N2O) verstanden. Diese Stoffe sollen nach Angaben von Wissenschaftlern und Umweltschützern für einen Temperaturanstieg der Erdatmosphäre verantwortlich sein. In der industriellen Tierhaltung stammen die CO2-Äquivalente hauptsächlich aus folgenden Quellen: Methan-Emissionen durch die Tiere selbst, Transporte und Maschinen, Heizen von Stallungen, organische Düngung von Feldern zur Futtermittelgewinnung, Landnutzungsänderungen, etwa dem Abbrennen von Regenwald, um anschließend Anbauflächen für Futtermittel zu errichten.
Vorschläge zur Senkung der Emissionen
Die Lösung zur Emissionsreduktion sieht die Böll-Stiftung in einer nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft. Die Überdüngung der Böden solle stark reduziert werden. Da die Düngung häufig mit Gülle und Mist als Nebenprodukte der Tierhaltung geschieht, bleibe nur die starke Reduktion aller Tierbestände. Gäbe es weniger Nutztiere in besserer Tierhaltung, würden allgemein die Emissionen gesenkt werden – wie auch das Tierleid und das Epidemierisiko.
Daneben solle die industrielle Tierhaltung nicht länger exportorientiert handeln. In diesem Zusammenhang wird sogar von regionalen Obergrenzen der Tierbestände gesprochen, die nur noch die Umgebung versorgen sollen. Die wichtigste Rolle wird aber dem Endverbraucher übertragen. Umweltschützer plädieren, den Fleischkonsum in Ländern wie Deutschland um 50% zu senken, denn nur dann könne die ökologische Landwirtschaft funktionieren. Ein Deutscher ernähre sich im Durchschnitt von 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr (wobei Vegetarier in die Erhebung eingeschlossen sind).
Realistischer Ausblick
Die Ideen zur Reduktion der Tierbestände sind sicher nicht falsch, muten aber utopisch an. Ein ähnliches Schicksal kann einem möglichen Exportverbot bescheinigt werden: Ob es möglich und richtig ist, ausgehend von Deutschland den Global Playern mit teilweise über hunderttausend Mitarbeitern den Export zu verbieten, darf bezweifelt werden. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass es bereits umweltfreundliche Ansätze der angeklagten Konzerne selbst gibt: Der dänische Molkereikonzern Arla Foods, laut der aktuellen Erhebung immerhin zwölftgrößter CO2-Emittent, hat sich unter anderem der artgerechten Tierhaltung und der nachhaltigen Landwirtschaft verpflichtet. Der zweitgrößter CO2-Emittent Tyson Foods plant, aus Abfallprodukten Biodiesel herzustellen.
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