Klimawandel im Bohrkern: Karibik erlebt mehr Hurrikane denn je
5700 Jahre Sturmgeschichte: Bohrkern aus der Karibik zeigt Zunahme von Hurrikanen – Klimawandel beschleunigt Wetterextreme.

Drohnenaufnahme aus 200 Metern Höhe auf das „Great Blue Hole“ mit der in der Mitte verankerten Bohrplattform. Der dort entnommene Bohrkern zeigt deutlich, dass die Zahl der Wirbelstürme aufgrund des Klimawandels deutlich zugenommen hat.
Foto: Eberhard Gischler
Ein Forschungsteam untersuchte Sedimente im „Great Blue Hole“ vor Belize. Die Analyse zeigt: Tropische Stürme und Hurrikane in der Karibik haben in den letzten 5700 Jahren deutlich zugenommen. Für das 21. Jahrhundert wird ein starker Anstieg erwartet – als Folge des menschengemachten Klimawandels.
Inhaltsverzeichnis
Spuren im Meeresboden
Auch wenn Tropenstürme oft nur wenige Tage andauern, hinterlassen sie dauerhafte Spuren. In bestimmten Meeresregionen lagern sich bei solchen Ereignissen grobe Sedimente am Grund ab. Diese unterscheiden sich deutlich von den feinen, regelmäßig abgelagerten Schichten, die sich bei ruhigem Wetter bilden.
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Goethe-Universität Frankfurt hat sich diese Besonderheit zunutze gemacht. In der Karibik, genauer gesagt im „Great Blue Hole“ vor der Küste von Belize, untersuchten sie einen 30 Meter langen Bohrkern. Die Analyse dieser Ablagerungen erlaubt Rückschlüsse auf die Sturmaktivität der vergangenen 5700 Jahre – ein Zeitraum, der weit über das hinausgeht, was Satellitenmessungen oder historische Aufzeichnungen leisten können.
Das „Great Blue Hole“ – ein Fenster in die Vergangenheit
Etwa 80 Kilometer vor der Küste von Belize öffnet sich im Lighthouse Reef Atoll eine riesige kreisrunde Öffnung im Meeresboden: das „Great Blue Hole“. Dieses Unterwasserloch hat einen Durchmesser von 300 Metern und ist rund 125 Meter tief. Es war einst eine Höhle auf einer Kalksteininsel, deren Decke in der letzten Eiszeit einstürzte. Nach dem Abschmelzen der Gletscher und dem Anstieg des Meeresspiegels füllte sich die Höhle mit Wasser.
Im Sommer 2022 ließ ein interdisziplinäres Forschungsteam unter Leitung von Prof. Eberhard Gischler eine schwimmende Bohrplattform an diesen Ort schleppen. Dort entnahmen sie einen 30 Meter langen Bohrkern aus den Sedimenten der Höhle. Diese Ablagerungen entstanden über einen Zeitraum von rund 20.000 Jahren – und enthalten ein bemerkenswert detailliertes Klimaarchiv.
Was Sedimente über Stürme verraten
Der Blick in den Bohrkern zeigt eine feine Abfolge verschiedenfarbiger Schichten – mal grau-grün, mal hellgrün. Sie repräsentieren einzelne Jahre, erklärt Dr. Dominik Schmitt, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Goethe-Universität. Die feinen Unterschiede hängen mit dem Gehalt an organischem Material zusammen, der sich saisonal verändert.
Zwischen diesen feinen Lagen finden sich immer wieder grobe, helle Sedimentschichten. Diese bestehen aus größeren Partikeln – etwa zerkleinerten Korallenstücken oder Sand –, die nur durch starke Strömungen an diesen Ort transportiert werden konnten. Laut Schmitt handelt es sich dabei um Ablagerungen, die durch Sturmwellen und Sturmfluten aus dem Randriff des Atolls ins „Great Blue Hole“ gelangten. Diese sogenannten Tempestite zeigen damit klar an, wann schwere tropische Stürme oder Hurrikane die Region getroffen haben.
574 Stürme in 5700 Jahren
Insgesamt identifizierte das Forschungsteam 574 solcher Sturmlagen in den Sedimenten. Die Schichten ließen sich genau datieren – bis auf das jeweilige Jahr. Damit entstand eine beispiellose Chronik der tropischen Stürme in der südwestlichen Karibik. Frühere Messreihen reichten nur rund 175 Jahre zurück.
Die Daten zeigen: Die Häufigkeit tropischer Stürme hat in den vergangenen sechs Jahrtausenden stetig zugenommen. Besonders auffällig sind Schwankungen in Abhängigkeit von großräumigen Klimaphänomenen.
Einfluss der ITCZ und Meerestemperaturen
Die Forschenden identifizierten zwei zentrale Einflussfaktoren für die Entwicklung der Sturmhäufigkeit. Einerseits spielt die sogenannte Innertropische Konvergenzzone (ITCZ) eine wichtige Rolle. Diese Zone rund um den Äquator, in der sich Luftmassen treffen und aufsteigen, verlagert sich im Laufe der Zeit. Wandert sie weiter nach Süden, verlagert sich auch die Entstehungsregion der Tropenstürme – und damit ihr Zugweg durch die Karibik.
Andererseits lassen sich in den Daten fünf wärmere und fünf kühlere Klimaperioden erkennen. In wärmeren Zeiten war die Sturmhäufigkeit jeweils höher. Der Zusammenhang mit den Wassertemperaturen im tropischen Atlantik ist eindeutig: Wärmeres Wasser begünstigt die Bildung und Verstärkung tropischer Stürme.
Deutlich mehr Stürme im 21. Jahrhundert
Besonders besorgniserregend ist der Blick auf die jüngste Vergangenheit. In den vergangenen 20 Jahren zeigen sich im Bohrkern bereits neun neue Sturmlagen. Rechnet man diese Häufigkeit hoch, könnten im laufenden Jahrhundert bis zu 45 Tropenstürme und Hurrikane allein über das Gebiet des „Great Blue Hole“ hinwegziehen.
Zum Vergleich: In den letzten 6000 Jahren lag die durchschnittliche Häufigkeit zwischen vier und 16 Stürmen pro Jahrhundert. Die aktuelle Entwicklung stellt also eine deutliche Abweichung vom historischen Durchschnitt dar.
Prof. Gischler warnt: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass in unserem Jahrhundert rund 45 tropische Stürme und Hurrikane allein über diese Region ziehen könnten. Das würde weit über das natürliche Maß der vergangenen Jahrtausende hinausgehen.“
Klimawandel als treibende Kraft
Die Forschenden sehen den Klimawandel als Hauptursache für diese Entwicklung. Die steigenden globalen Temperaturen führen zu wärmerem Meerwasser, das wiederum tropische Wirbelstürme begünstigt. Hinzu kommt eine verstärkte Ausprägung des La-Niña-Klimaphänomens, das ebenfalls zu mehr und intensiveren Stürmen führen kann.
Natürliche Klimaschwankungen reichen nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht aus, um den aktuellen Trend zu erklären. Der menschengemachte Klimawandel rückt damit einmal mehr in den Fokus der Extremwetterforschung.
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