Klimawandel im Fokus: Neue App analysiert Pflanzenbeobachtungen
Forschende haben einen Algorithmus entwickelt, der automatisiert Pflanzenbeobachtungen aus einer App analysiert. Die Ergebnisse zeigen, wie sich der Klimawandel auf die Pflanzenwelt auswirkt. Der innovative Ansatz ermöglicht es, ökologische Muster aus den Daten abzuleiten und jahreszeitliche Verschiebungen zu untersuchen.
Pflanzen reagieren unterschiedlich auf die wechselnden Jahreszeiten. Meistens äußert sich das in Form von verschiedenen Entwicklungsphasen wie dem Aufbrechen der Knospen, dem Austreiben der Blätter oder der Blüte. Der Klimawandel könnte genau solche Phasen im Lebenszyklus der Pflanzen verschieben. Umgekehrt ergibt sich aber auch die Möglichkeit, aus Daten über derartige phänologischen Veränderungen bei vielen verschiedenen Pflanzenarten und an unterschiedlichen Standorten, Rückschlüsse auf die Folgen des Klimawandels ziehen. Für aussagekräftige Analysen werden jedoch große Datenmengen benötigt. Ohne eine Beteiligung von sogenannten Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern ist das nicht zu stemmen.
Veränderte Wolkenbildung heizt globale Erwärmung zusätzlich an
Forschende des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Leipzig gehen deshalb einen anderen Weg und haben einen neuartigen Algorithmus entwickelt. Dieser wertet die Beobachtungsdaten der App „Flora Incognita“ aus und ermöglicht so Rückschlüsse auf die Auswirkungen des Klimawandels auf die Pflanzenwelt. Die Ergebnisse der Studie wurden nun im renommierten Fachmagazin Methods in Ecology and Evolution publiziert.
Klimawandel-App ermöglicht Bürgerwissenschaft im großen Stil
Wärmeliebende Orchideenarten zum Beispiel tauchen immer weiter nördlich in Deutschland auf. Viele Störche und andere Zugvögel verzichten inzwischen auf die weite Reise in den Süden und überwintern immer häufiger in ihrer Heimat. Das sind nur zwei Beispiele für ein Phänomen, das Naturfreunden wohlbekannt ist: Der Klimawandel führt zu sichtbaren Veränderungen in der Flora und Fauna. Wie schnell diese Entwicklung voranschreitet, lässt sich allerdings nur durch ein weiträumiges und langfristiges Monitoring feststellen. An dieser Stelle ist vor allem „Citizen Science“ gefragt: die Bürgerwissenschaft. Gemeint sind in diesem Fall Menschen, die ohnehin privat in der Natur unterwegs sind, sich zudem auch gut auskennen und abschließend ihre Beobachtungen im Detail melden.
„Das Problem ist: Je weniger Menschen sich als Bürgerwissenschaftler an solchen Datensammlungen beteiligen, desto stärker leidet die Qualität der Daten“, sagt Karin Mora, Wissenschaftlerin an der Universität Leipzig und bei iDiv. Ihr Fachgebiet: Umweltdatenwissenschaften und Fernerkundung. Helfen könnten an dieser Stelle mobile Apps wie Flora Incognita. Mit der App können Nutzerinnen und Nutzer unbekannte Pflanzen, die ihnen in der Natur begegnen, anhand von Fotos konkret identifizieren. „Wenn ich mit der App eine Pflanze aufnehme, dann wird diese Beobachtung mit einem Orts- und Zeitstempel versehen“, erklärt Jana Wäldchen vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie (MPI-BGC), die Flora Incognita mitentwickelt hat. Auf diese Weise haben sich bereits Millionen von zeitlich und räumlich verorteten Pflanzenbeobachtungen aus verschiedenen Regionen angesammelt.
Algorithmus isoliert ökologische Muster trotz Klimawandel
Der von den Forschenden entwickelte Algorithmus konnte auf fast zehn Millionen Beobachtungen von knapp 3.000 Pflanzenarten zurückgreifen, die zwischen 2018 und 2021 über die Flora Incognita-App in Deutschland erfasst wurden. Jede Pflanze hat ihren ganz eigenen Rhythmus, beispielsweise eine spezifische Blüh- oder Vegetationsphase. Die Untersuchungen ergaben, dass aus diesem individuellen Verhalten ein Gruppenverhalten entsteht. Daraus ließen sich wiederum ökologische Muster ableiten und deren Veränderungen innerhalb eines Jahreszyklus untersuchen: Ökosysteme am Fluss unterscheiden sich etwa von denen in den Bergen, wo phänologische Ereignisse später einsetzen.
In dieses Verfahren fließt auch das unsystematische Beobachtungsverhalten der App-Nutzerinnen und -Nutzer mit ein. „Unsere Methode kann diese Effekte von den ökologischen Mustern automatisiert isolieren“, erläutert Mora. „Weniger Beobachtungen bedeuten auch nicht, dass wir die Synchronisation nicht erfassen können. Natürlich gibt es im tiefen Winter sehr wenige Beobachtungen, aber da gibt es auch nur sehr wenige Pflanzen, die man beobachten kann.“
App-Daten geben Aufschluss über Folgen des Klimawandels
Dass der Klimawandel zu jahreszeitlichen Verschiebungen führt und der Frühling immer früher einsetzt – das ist unlängst bekannt. Doch welche konkreten Auswirkungen das auf die Beziehung zwischen Pflanzen und Insekten und somit auch auf die Sicherheit hinsichtlich unserer Nahrungsmittel hat, muss noch erforscht werden. Der neue Algorithmus soll dazu einen entscheidenden Beitrag leisten und aufzeigen, wie sich diese klimawandelbedingten Veränderungen auf die Pflanzenwelt auswirken.
Ein Beitrag von: