Krabben und Krebse aus dem Süden wohnen jetzt auch in der Nordsee
Der Klimawandel ist keine abstrakte Bedrohung, mit der sich unsere Urenkel in ferner Zukunft zu beschäftigen haben. Der Klimawandel ist längst im Gange: In der Nordsee zum Beispiel tummeln sich immer mehr Tierarten, die einst die südlichen Gefilde der Ozeane bevölkerten. Das belegt eine Langzeitstudie des Frankfurter Senckenberg-Instituts.
Willkommen in der Nordsee, verehrter Diogenes. Gemeint ist hier allerdings nicht der antike griechische Philosoph Diogenes von Sinope, besser bekannt auch als der Philosoph in der Tonne. Gemeint ist Diogenes pugilator, ein maximal fünf Millimeter großer Einsiedlerkrebs. Dieser Winzling, ursprünglich im Mittelmeer und dem angrenzenden Atlantik beheimatet, fühlt sich inzwischen in der Nordsee pudelwohl. „Der Krebs hat 2002 die Deutsche Bucht erreicht“, erzählt Prof. Michael Türkay, Abteilungsleiter für Marine Zoologie am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt. „Seit dem Jahr 2005 beobachten wir stabile Populationen vor und auf der Nordseeinsel Wangerooge.“
Klimawandel verändert die Ökosysteme nachhaltig
Der kleine Einsiedlerkrebs ist ein Beleg dafür, dass der Klimawandel stattfindet und die Ökosysteme an Land und im Wasser bereits verändert hat. Die Auswirkungen des Klimawandels sind auch an deutschen Meeresküsten deutlich spürbar. „Das Meer hat eine höhere Elastizität gegenüber Veränderungen“, erklärt Türkay, „das heißt ein Wandel vollzieht sich dort langsamer, aber dafür umso nachhaltiger.“
Der Frankfurter Meeresbiologe ist ein ausgewiesener Kenner der Tierwelt am Nordseegrund. Denn ein Team von Wissenschaftlern um Michael Türkay erforscht seit über 20 Jahren die Tierwelt am Grund der mittleren Nordsee. Dafür nehmen die Forscher seit 1991 jedes Jahr zur gleichen Zeit mit dem eigenen Forschungskutter F.K. Senckenberg Fahrt auf. Dann holen sie mit einer Zwei-Meter-Baumkurre, das ist ein beutelähnliches Grundschleppnetz, an etwa 40 Stationen in der Doggerbank, einer Untiefe in der zentralen Nordsee, Proben vom Boden.
Seit dem Jahr 2000 verändert sich die Tierwelt in der Nordsee
Die Forscher zählen anschließend die Tiere in den Proben und registrieren die Veränderungen in der Zusammensetzung der Arten. „Unsere Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass im Jahr 2000 in der Nordsee ein Regimewechsel eingesetzt hat und sich die Zusammensetzung der Tierwelt seit diesem Zeitpunkt massiv ändert“, erläutert Türkay und ergänzt: „Warmwasserregionen dringen stärker nach Norden und Osten vor und verwischen damit auch die früher stabilen Grenzen zwischen unterschiedlichen Faunenregionen.“
Das Ergebnis ist eine Vereinheitlichung der Tierwelt und damit eine Abnahme der Artenvielfalt. „Man kann sagen, dass das Biodiversitätslevel um die Jahrtausendwende auf ein niedrigeres Niveau gesunken ist“, sagt Türkay. Es ist im Prinzip eine große Verschiebung, die da unter Wasser geschieht. So zieht es den Kabeljau in kühlere Regionen, Krebse und Krabben aus südlichen Gebieten dringen immer weiter in die Nordsee vor.
Auch Langzeitstudien in der Helgoländer Tiefen Rinne, gelegen südlich der Nordseeinsel in der Deutschen Bucht, bestätigen diesen Trend. Auch dort nimmt der Anteil von Warmwasserarten seit dem Jahre 2000 beständig zu. 41 Arten haben die Wissenschaftler während ihrer Langzeitstudie in der Tiefen Rinne eingesammelt. So hat dort inzwischen die ozeanische Schwimmkrabbe Liocarcius depurator eine neue Heimat gefunden. Die Forscher fanden diese Tierart zunächst nur sehr vereinzelt, seit gut zehn Jahren tritt Liocarcius depurator aber als dominantes Element in diesem Biodiversitätshotspot auf. Und auch die Krabbe Necora puber, die eigentlich im atlantischen Raum ihre Heimat hat, fühlt sich inzwischen in der Nordsee ziemlich wohl.
Forscher: „Krebse sind wie lebende Messgeräte“
So verhält es sich auch mit dem winzigen Einsiedlerkrebs Diogenes pugilator. In warmen Jahren findet man die Einsiedlerkrebse häufig auch am Strand von Wangerooge. In kalten Wintern ziehen sich die Winzlinge in tiefere Meeresgebiete zurück. „Sie verschwinden aber nie komplett aus der Region“, so Türkay. „Wir gehen davon aus, dass sie fester Bestandteil unserer Nordseefauna werden.“
Damit entpuppen sich Meeresorganismen als sehr gute Indikatoren für den Klimawandel. „Die von uns untersuchten Krebse sind wie lebende Messgeräte – ihr Auftreten und ihre Ausbreitung sind Reaktionen auf die sich verändernde Umwelt“, resümiert der Frankfurter Meeresforscher. Sie haben ihre Ergebnisse kürzlich in den Fachzeitschriften „Helgoland Marine Research“ und „Marine Biodiversity“ veröffentlicht.
Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung wurde bereits 1817 von engagierten Frankfurter Bürgern als Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft gegründet. Namensgeber ist der Frankfurter Arzt und Naturforscher Dr. Johann Christian Senckenberg, der im Jahre 1763 sein gesamtes Vermögen in Höhe von 95.000 Gulden stiftete, um in einem Bürgerhospital auch Arme unentgeltlich versorgen zu lassen und um wissenschaftliche Projekte zu fördern. Heute ist sie eine der wichtigsten Forschungseinrichtungen rund um die biologische Vielfalt und mit dem Frankfurter Haus eines der größten Naturkundemuseen Europas.
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