Analyse zu Mikroplastik 02.11.2021, 15:28 Uhr

Kunstrasen vor dem Aus? Warum Sportplätze Probleme machen

Die Europäische Kommission will Mikroplastik verbannen. Das könnte für Sportvereine problematisch werden: Denn Kunstrasen gilt als schädlich, wie eine aktuelle Studie erneut bekräftigt.

Kunstrasen hat negative Auswirkungen auf die Umwelt - das ist das Ergebnis einer aktuellen Analyse. Foto: Panthermedia.net/ theeraphon

Kunstrasen hat negative Auswirkungen auf die Umwelt - das ist das Ergebnis einer aktuellen Analyse.

Foto: Panthermedia.net/ theeraphon

Der eigene Kunstrasenplatz ist der ganze Stolz des Vereins: Viele Sportclubs haben in den vergangenen 50 Jahren solche Plätze angelegt. Vor allem Fußballvereine: Mindestens 5.000 gemeldete Plätze gibt es laut dem Deutschen Fußballbund hierzulande, hinzukommen Tausende Plätze, die nicht von Vereinen betrieben werden. Das könnte bald zum Problem werden: Denn die Europäische Kommission will sogenanntes Mikroplastik, das durch Abrieb auf solchen Plätzen freigesetzt wird, bald verbannen. Denn die winzigen Kunststoffteilchen mit einem Durchmesser unter fünf Millimetern gelten als umweltschädlich.

Wie umweltschädlich ist Kunstrasen?

Müssen bald Tausende Kunstrasenplätze abgerissen werden? Wie groß ist die Umweltbelastung tatsächlich, die von solchen Sportplätzen ausgeht? Eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) liefert Antworten.

Warum gibt es Kunstrasen?

Das ganze Jahr über Kicken – das geht nur auf Kunstrasenplätzen oder in Stadien, die ihren Rasen vor Witterung mit einem Dach schützen können. Doch nicht alle Stadien sind – wie beispielsweise die Arena auf Schalke – mit diesem Luxus ausgestattet. Kunstrasenplätze sind daher für viele kleinere Vereine eine gute Alternative.

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Woraus bestehen Kunstrasenplätze?

Kunstrasen besteht hauptsächlich aus Polypropylen (PP) und Polyethylen (PE). Dank dieser Kunststoffe wird der Rasen nicht nur langlebig, sondern auch naturgetreu. Polypropylen sorgt für eine stabile Grundstruktur, Polyethylen kommt bei der Herstellung der Grashalme zum Einsatz. Einmal aufgebürstet sieht der Kunstrasen wieder wie neu aus. Unschöne Löcher oder die bekannten braunen, ausgetretenen Flächen im Strafraum sieht man hier nicht.

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Alternativ gibt es Kunstrasenplätze zum Beispiel aus Kork oder Rinde. Diese weisen ähnliche Eigenschaften auf wie die Plätze aus synthetischem Granulat – ohne dass durch Abrieb Mikroplastik in die Umwelt gelangt. In manchen Bundesländern, wie etwa Hamburg, werden öffentliche Kunstrasenplätze bereits seit Jahren nicht mehr mit Gummigranulat, sondern unter anderem mit Quarzsand aufgefüllt.

Wie schädlich ist Kunstrasen?

Wie umwelt- und gesundheitsschädlich ist Kunstrasen wirklich? Im Fokus stehen Mikroplastik und potenziell krebserregende polyzyklische aromatische Kohlewasserstoffe (PAK), die im Gummigranulat des Kunstrasens enthalten sein können. Kunstrasen besteht aus mehreren Schichten, damit er genauso gut bespielbar ist wie Naturrasen.

Fasern und Granulat wird vom Platz abgetragen. Als Mikroplastik gelangt das Material in die Umwelt. Foto: Fraunhofer UMSICHT

Fasern und Granulat wird vom Platz abgetragen. Als Mikroplastik gelangt das Material in die Umwelt.

Foto: Fraunhofer UMSICHT

Über eine Asphaltschicht wird eine Dämpfungsschicht gelegt. Danach folgt der Rasenteppich mit den Fasern. Diese sind wiederum in Quarzsand eingebettet. Der Raum zwischen den Fasern ist mit Gummigranulat gefüllt. Gummigranulat wird oftmals aus Altreifen produziert, die gesundheitsschädliche Stoffe enthalten können. Damit die Fußballer und Fußballerinnen geschmeidig über den Platz laufen können, werden dem Gummi Weichmacheröle beigefügt. Diese Öle enthalten eben diese gefährlichen Kohlenwasserstoffe. Darüber hinaus kann Kunstrasen feine Partikel in die Umwelt freisetzen – das kann zum Beispiel durch Abrieb beim Schneeschieben geschehen oder wenn die Sportlerinnen und Sportler mit ihren Schuhen den Platz verlassen. Weniger schädliche Granulate auf Basis von synthetischem Kautschuk gibt es zwar auf dem Markt, doch kommt dieses kostspielige Material noch kaum zum Einsatz. Die neue Art des Granulats enthält 50-mal weniger PAK.

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Untersuchungen der europäischen Chemieagentur ECHA zufolge gelangen jährlich erhebliche Mengen an Mikroplastik von Kunstrasenplätzen in den Boden und in Gewässer, wo die Partikel von Tieren aufgenommen werden und in die Nahrungskette gelangen können. Kunstrasenplätze gelten als eine besonders signifikante Quelle für Mikroplastik in der Umwelt.

Was ist das Ergebnis der Fraunhofer-Studie?

Auch die Forschenden vom Fraunhofer UMSICHT kommen zu dem Schluss, dass Kunstrasenplätze negative Umweltauswirkungen haben.

“Gängige Kunstrasenplätze sind allerdings mit negativen Umweltwirkungen verbunden. Die Emissionen dieser Plätze sind im Kontext der Debatte um Mikroplastik in den Fokus von Gesellschaft, Politik und Medien geraten”, erklärt Jürgen Bertling vom Fraunhofer UMSICHT, Leiter der Studie zur Systemanalyse. Ein Team aus Forschenden hat 19 Kunstrasenplätze in Deutschland und der Schweiz untersucht.

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Auf den allermeisten Kunstrasenplätzen wird ein sogenanntes Infill aufgebracht, das sich meist aus Sand und einem Gummigranulat zusammensetzt. Dieses Material soll die Spielperformance auf den Plätzen erhöhen. Nur wenige Plätze sind unverfüllt oder haben eine Oberfläche aus einem Naturmaterial wie etwa Kork.

Bei starkem Regen oder Wind gelangt das Infill in die Umwelt. Doch auch durch Abrieb wird das Material freigesetzt: die Sportlerinnen und Sportler tragen es selbst über ihre Schuhe in die Umwelt. Laut den Fraunhofer-Forschenden werden jedes Jahr fast drei Tonnen Infill abgetragen.

“Kunststofffasern, die während der Beanspruchung eines Platzes ebenfalls abnutzen, sind hier noch nicht berücksichtigt”, ergänzt Jürgen Bertling. Über welche Pfade und in welcher Menge die Verluste von Infill und Fasern in die Böden und Gewässer gelangen, sei generell noch unklar.

Die bisweilen zitierte These, dass das Infillmaterial gar nicht in die Umwelt gelangt, sondern über die Jahre in den Platz festgetreten wird, können die Studienautoren nicht bestätigen. Wir haben bei den von uns untersuchten Plätzen keine systematische Anreicherung von Infill festgestellt. Bei den meisten Plätzen lag trotz Nachverfüllung im Laufe der Zeit immer weniger Infill auf dem Platz”, sagt Jürgen Bertling. Tatsächlich sei das Material auf den umgebenden Flächen, im Entwässerungssystem und sogar in Dachrinnen von Garagen nachweisbar.

Ein weiterer Faktor: Der Standort von Kunstrasenplätzen. So empfiehlt das Fraunhofer UMSICHT, beim Anlegen von Plätzen zu beachten, wie weit die nächsten Gewässer entfernt sind. Ein Thema, das jüngst hochaktuell geworden ist: “Wir haben in Hochwassergebieten gesehen, dass da Plätze mit bis zu 50 Tonnen Gummigranulat als Infill komplett überschwemmt und zerstört wurden”, so Jürgen Bertling.

Grundsätzlich lasse sich über die Verwendung eines nachhaltigeren Materials bei Unterbau und Infill viel erreichen. Und bestehende Plätze ließen sich gut nachrüsten, etwa mit Barrieren, die die Mikroplastikemissionen in die Umwelt reduzieren können.

CO2-Fußabdruck von Kunstrasen: Schwimmen gehen ist schlimmer

Ein weiteren Aspekt, den die Fraunhofer-Forschenden untersucht haben: Der CO2-Fußabdruck von Kunstrasenplätzen. Der liegt je nach Platztyp bei 9,4 bis 29,8 kg Kohlendioxidäquivalent pro Nutzungsstunde. Zum Vergleich: Legt man diesen Wert auf die Anzahl der Sportlerinnen und Sportler um, ist das deutlich weniger, als eine Stunde in einem Hallen- oder Freibad zu schwimmen oder mit dem Auto zu fahren.

Wie werden Schadstoffe von Kunstrasen aufgenommen?

Nicht nur für die Umwelt kann Kunstrasen schädlich sein, auch für die Nutzenden. Bei direktem Hautkontakt oder durch Berührung mit den Schleimhäuten können Schadstoffe aufgenommen werden. Das ist bei Fußballern und anderen Sportlern vorprogrammiert, da sie während des Spiels ausrutschen können oder durch Fouls auf dem Rasen liegen. Kleinkinder, die unbeaufsichtigt auf dem Kunstrasen spielen und die künstlichen Halme in den Mund nehmen, sind ebenfalls gefährdet.

Laut Untersuchungen liegt die Aufnahme über Haut und Mund zwar in einem sehr geringen Bereich – dennoch besteht die Möglichkeit, dass sich Allergien oder andere Beschwerden bilden. Eine Evaluation in den USA und Europa hat zwischen 2004 und 2015 kein spezielles Risiko von Sportlern und Zuschauern festgestellt. In Innenräumen sei aber eine ausreichende Belüftung zu gewährleisten. So soll die Konzentration von Feinstaub unter den Referenzwerten bleiben.

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Ein Beitrag von:

  • Peter Sieben

    Peter Sieben schreibt über Forschung, Politik und Karrierethemen. Nach einem Volontariat bei der Funke Mediengruppe war er mehrere Jahre als Redakteur und Politik-Reporter in verschiedenen Ressorts von Tageszeitungen und Online-Medien unterwegs.

  • Sarah Janczura

    Sarah Janczura

    Sarah Janczura schreibt zu den Themen Technik, Forschung und Karriere. Nach einem Volontariat mit dem Schwerpunkt Social Media war sie als Online-Redakteurin in einer Digitalagentur unterwegs. Aktuell arbeitet sie als Referentin für Presse und Kommunikation beim VDI e.V.

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