Landfläche der Erde in 600.000 Stücke zerteilt
Sie stehen im Wald und haben sich verlaufen. Keine Sorge, bis zur nächsten Straße kann es nicht besonders weit sein. Denn in Deutschland gibt es fast keine Flächen mehr, die mehr als einen Kilometer von Verkehrswegen entfernt liegen. Und wie sieht es in der übrigen Welt aus?
Um diese Frage hat sich Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit seinem Team gekümmert. Und eine erste globale Karte der straßenfreien Räume erstellt.
36 Millionen Kilometer Straße
Dafür erfassten die Forscher zunächst mit Hilfe der Datenbanken von OpenStreetMap und gROADS die Verteilung von Straßen auf allen Landflächen der Erde. Nicht eingeflossen bei den Berechnungen sind Grönland und die Antarktis – wegen ihrer großen Eisflächen. Trotzdem ganz schön viel Arbeit: 36 Millionen Kilometer Straße wurden ermittelt.
Daraus wiederum konnte abgeleitet werden, welche Flächen noch ohne Straßen geblieben sind. Und schließlich entwickelten die Wissenschaftler noch einen Bewertungsindex für die straßenfreien Areale. Dieser setzt sich aus Größe, Grad der Vernetzung und Index für die Funktion des Ökosystems zusammen.
Straßen teilen die Erdfläche in 600.000 Parzellen
Der erste Eindruck jedenfalls täuschte: So sind noch rund 80 % der Landflächen auf der Erde ohne Verkehrswege, was an sich ja viel klingt. Aber: Sie sind stark zerstückelt. Weltweit gibt es 600.000 unberührte Landstriche, wie Ibisch und seine Kollegen herausfanden.
Hierzulande sind es nur einige wenige. Das zeigt auch die Karte „unzerschnittene verkehrsarme Gebiete“ des Bundesamtes für Naturschutz. Darin werden Straßen mit weniger als 1.000 Fahrzeugen pro Tag als „verkehrsarm“ bezeichnet. Solche Gebiete liegen hauptsächlich im Nordosten Deutschlands.
Kleinteilige Zerstückelung
Weltweit sei etwa die Hälfte der unberührten Flächen kleiner als ein Quadratkilometer, weitere 30 % kleiner als fünf Quadratkilometer, berichten die Forscher um Ibisch im Wissenschaftsmagazin Science. Nur sieben Prozent der wegfreien Areale haben demnach eine Größe von mehr als 100 m2. Die größten solcher Gebiete liegen zum Beispiel in der Tundra und in einigen tropischen Gebieten Afrikas, Südamerikas und Südostasiens.
Folgen der Zerstückelung
Die Eingriffe in die Natur bleiben nicht ohne Folgen: „Zu den direkten und indirekten Umwelteinflüssen gehören Entwaldung und Zersplitterung, chemische Verschmutzung, Lärmbelästigung, erhöhte Tiersterblichkeit aufgrund von Autounfällen und die Erleichterung von biologischen Invasionen“, heißt es in der Studie, die sich dabei auf 282 wissenschaftliche Untersuchungen über den räumlichen Einfluss von Straßen stützt.
Wo Straßen fehlen, blüht aber nicht unbedingt die Natur: So stellten die Forscher fest, dass etwa jedes dritte straßenfreie Areal aufgrund der Zerstückelung nur wenige ökologische Funktionen und geringe biologische Vielfalt aufweisen. Sie sind beispielsweise sehr klein oder liegen in Wüstenregionen. Nur 9,3 % der straßenfreien Flächen liegen in einem Natur- oder Landschaftsschutzgebiet.
Forscher fordern Erhalt großer straßenfreier Gebiete
„Die wenigen verbliebenen großen und ökologisch bedeutsamen Flächen unseres Planeten bilden daher Schlüsselrefugien für die Natur und liefern global relevante Ökosystem-Dienstleistungen“, betonen die Forscher. Sie fordern die Regierungen dringend auf, die verbleibenden großen und ökologisch wertvollen, straßenfreien Räume zu erhalten und dort den Bau von Straßen zu vermeiden. Und das vor diesem Hintergrundwissen: Ibisch: „Prognosen sagen ein Wachstum der globalen Straßenlänge um mehr als 60 Prozent voraus.“
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