Entstehen Erdbeben ganz anders als bisher gedacht?
Forschende haben die Mechanismen der Erdbeben-Entstehung entschlüsselt. Das könnte bessere Vorhersagen ermöglichen.
Erdbeben gehören zu den zerstörerischsten Naturphänomenen. Sie entstehen, wenn plötzlich Energie freigesetzt wird, die sich über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende entlang geologischer Verwerfungen aufgebaut hat. Doch können wir künftig besser vorhersagen, wann und wo die Erde erzittert? Forschende glauben, die bislang verborgene Mechanik der Erdbebenentstehung entschlüsselt zu haben.
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Der Schlüssel liegt in langsamen Bewegungen
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Jay Fineberg von der Hebräischen Universität Jerusalem in Zusammenarbeit mit Prof. David S. Kammer von der ETH Zürich und Prof. Mokhtar Adda-Bedia von der École Normale Supérieure de Lyon hat entscheidende Fortschritte erzielt. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Erdbeben oft durch langsame, kaum wahrnehmbare Bewegungen ausgelöst werden. Diese so genannten „aseismischen Prozesse“ spielen eine zentrale Rolle als Vorboten der späteren heftigen Erschütterungen.
„Unsere Ergebnisse stellen traditionelle Modelle in Frage“, erklärte Fineberg. „Langsame Bewegungen sind keine Randerscheinung, sondern eine Voraussetzung für die Dynamik großer Erdbeben.“ Mit dieser neuen Perspektive könnte die Forschung seismische Vorläufer besser analysieren und potenzielle Risikogebiete genauer eingrenzen.
Hightech-Methoden enthüllen das Unsichtbare
Die Forscherinnen und Forscher nutzten Hochgeschwindigkeitsbildgebung und verschiedenste Experimente, um die Mechanismen hinter Erdbeben zu untersuchen. Sie beobachteten, wie kleine Reibungszonen entstehen, die sich langsam ausdehnen. Diese Zonen sind die Keimzellen, aus denen später die energiereichen Brüche entstehen. Diese Beobachtungen widersprechen der Annahme, dass Erdbeben plötzlich und ohne Vorwarnung auftreten.
Ein entscheidender Faktor ist laut Studie die Geometrie der Verwerfungen, also der Bruchlinien in der Erdkruste. Herkömmliche Modelle vernachlässigen oft, dass diese Strukturen eine endliche Breite haben. Diese geometrischen Eigenschaften beeinflussen jedoch, wie und wann Erdbeben entstehen. Die neue Studie zeigt, dass diese Eigenschaften für das Verständnis seismischer Ereignisse entscheidend sind.
Praktische Anwendungen der Erkenntnisse
Die Forschungsergebnisse sind laut Studie nicht nur für die theoretische Wissenschaft von Bedeutung. Sie können auch ganz praktische Auswirkungen haben. Durch die gezielte Beobachtung der stillen Vorläuferbewegungen könnten sich möglicherweise frühzeitig Hinweise auf drohende Erdbeben erkennen lassen.
„Auch schleichende Bewegungen, die bisher oft übersehen wurden, enthalten wichtige Informationen“, betont Fineberg. Diese Daten könnten genutzt werden, um Vorhersagemodelle zu verbessern und die Sicherheit in erdbebengefährdeten Regionen zu erhöhen. Vor allem für Länder wie Japan, Chile oder Kalifornien wäre das ein großer Fortschritt.
Erkenntnisse auch interessant für andere Ingenieursdisziplinen
Obwohl die Vorhersage von Erdbeben weiterhin eine enorme Herausforderung bleibt, zeigt die neue Forschung, dass wir dem Ziel näherkommen. Indem wir die leisen Vorzeichen verstehen und messen, könnten in Zukunft bessere Warnsysteme entwickelt werden. Dies würde nicht nur Leben retten, sondern auch helfen, wirtschaftliche Verluste zu minimieren.
Die Erkenntnisse bieten laut Forschungsteam darüber hinaus neue Ansätze, um grundlegende Fragen der Materialdynamik zu beantworten. So könnten die Prinzipien der Bruchmechanik auch auf andere Bereiche angewandt werden, etwa in der Materialforschung oder im Bauingenieurwesen.
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