Leistungen der Natur sollten in allgemein verständlicher Währung beziffert werden
Saubere Luft und sauberes Wasser, üppige Flora und Fauna – für ihre Wohltaten stellt die Natur keine Rechnungen. Deshalb gebe es kein Bewusstsein für den Wert von Ökosystemen, meint Bernd Hansjürgens vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Der Studienleiter von „Naturkapital Deutschland“, dem deutschen Nachfolgeprojekt der internationalen TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity), fordert von Unternehmen, die von den Leistungen der Natur abhängig sind, künftig mehr Einsatz für biologische Vielfalt.
Hansjürgens: Der Begriff Naturkapital ist aus der Ökonomie abgeleitet. Kapital ist der Grundstock für wirtschaftliche Wertschöpfung – wir kennen beispielsweise das Sach- und das Humankapital.
Dass Wirtschaft, ja die gesamte Gesellschaft von Leistungen der Natur abhängt, ist den wenigsten bewusst. So reinigen Wälder die Luft und das Wasser. Sie sind im Sommer unsere Klimaanlagen, speichern von uns erzeugtes CO2, versorgen uns mit Holz, Pilzen oder Beeren und bilden den Lebensraum vieler Arten – die wir dort antreffen, wenn wir uns dort erholen.
Das erzeugt alles scheinbar keinen wirtschaftlichen Gewinn, weil es diese Leistungen gratis gibt. Und deshalb muss ein Wald oft einer anderen Flächennutzung weichen, die direkte Wertschöpfung erzielt.
Wir wollen die Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik erreichen und nutzen dafür die „Währung“, die sie verstehen. So können wir ökonomisch denkenden Menschen bewusst machen, dass wir durch unsere Lebensweise massiv Werte verlieren.
Die Leistungen der Natur sind oft Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg, ohne sie geht es nicht, also müssen wir sie pfleglicher behandeln. In der Regel profitieren einige wenige, wenn sie die „freien“ Leistungen der Natur nutzen.
Die Kosten, die dadurch entstehen, trägt in vielen Fällen die Allgemeinheit. Auch um solche Gerechtigkeitsfragen klären zu können, müssen Quantifizierungen vorgenommen werden. Um Zusammenhänge aufzuzeigen und Debatten auf eine Faktengrundlage zu stellen.
Nehmen wir das Beispiel Wasser, eines der grundlegendsten Güter der Natur. Im Nationalpark Harz ist das Wasser so rein, dass es direkt in die Versorgungsnetze eingespeist wird. Der Wald mit all seiner Organismenvielfalt filtert die Schadstoffe heraus. Dagegen führt intensive landwirtschaftliche Nutzung in einem Wassereinzugsgebiet zu hoher Belastung durch Pestizide und Düngemittel. Deshalb müssen wir einen hohen technischen und finanziellen Aufwand in Kauf nehmen, um Leistungen zu erbringen, die denen der Natur nahekommen.
Doch. Man kann die Bauern dafür bezahlen, weniger Pestizide auszubringen. Das ist jedenfalls preiswerter als die Reinigung des stark verunreinigten Wassers – und die Landwirte haben eine weitere feste Einkommensquelle. Der Subventionsbetrag ist ein Ansatz, die Reinigungsleistung des Bodens in Wert zu setzen.
Ja, die Umweltökonomie hat eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Erfassung dieser Leistungen entwickelt. Die regulativen Leistungen einer Flussaue kann man erfassen, indem man die zurückgehaltenen Nährstofffrachten misst, die ähnliche Leistungen wie eine Kläranlage erbringen. Kulturelle Leistungen eines Waldes oder eines Parks lassen sich zum Beispiel durch Befragungen ermitteln: Wie viel wären die Menschen bereit, für einen Besuch zu bezahlen?
Die Lage ist kritisch: Die Aussterberate an Arten und Ökosystemen ist etwa 100- bis 1000-mal größer als die „natürliche“ Aussterberate. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird ein Drittel der Arten auf der Erde verloren sein. Das Problem ist, dass dies unmerklich geschieht und wir oft nicht wissen, welche Folgen das haben wird.
In Deutschland sind vor allem Flächenverbrauch, die intensive Land- und Forstwirtschaft sowie Überfischung die Hauptursache für den massiven Schwund vielfältiger Lebensräume. Generell hat unsere Lebensweise massive Auswirkungen auf Ökosysteme in aller Welt. Denn unsere Konsumartikel werden weitgehend in Entwicklungsländern hergestellt, unter schlechtesten Umweltbedingungen. Der zunehmende Ressourcenhunger führt zur Umnutzung von immer mehr intakten Flächen für die Agrarproduktion oder Mineralstoffförderung.Wälder werden gerodet, Moore trockengelegt, die Böden immer stärker überbeansprucht. Immer mehr Menschen vor Ort verlieren dadurch ihre Lebensgrundlage und müssen umsiedeln, was zu immer größeren Konflikten, Kämpfen und letztlich auch zu Migration aus den Heimatländern führt.
Wir alle müssen uns dafür einsetzen, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und nachhaltiger zu wirtschaften. Die Politik ist gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen und Gesetze und Verordnungen zu erlassen. Konsumenten müssen ihr Kaufverhalten überdenken und prüfen, ob und inwieweit ihre Ernährung – Stichwort Fleischkonsum – sich negativ auf ihre Gesundheit und die der Ökosysteme auswirkt. Und schließlich sind viele Unternehmen von den Rohstoffen der Natur abhängig. Bei manchen spielt sicherlich auch eine Rolle, dass sie auf staatliche Verordnungen achten müssen, zum Beispiel bei der Chemikalienregulierung. Und natürlich tragen Unternehmen als Teil der Gesellschaft auch eine Verantwortung, die sich nicht nur auf ihre Mitarbeiter und Standorte, sondern auf ihre gesamten Lieferketten erstreckt.
Ein Unternehmen, das sich mit dem Thema beschäftigt, ist beispielsweise Puma. Der Sportartikelhersteller hat kürzlich die jährlichen Umweltkosten der eigenen Wertschöpfungskette in Höhe von 145 Mio. € offengelegt. 92 % der Umweltbelastung, also der Großteil, entstehen bei den Zulieferbetrieben in Asien durch Wasserverschmutzung und Rodung von Weideflächen für Rinder zur Lederproduktion. Das Unternehmen will diese Kosten transparent machen und schrittweise reduzieren.
Ja. Die deutsche „Biodiversity in Good Company“-Initiative bietet branchenübergreifende Checklisten an. Weitere Möglichkeiten sind Umweltzertifizierungen nach Emas oder ISO 14001. Bei Emas (Eco-Management and Audit Scheme) wird in Form des „Flächenverbrauchs“ ein direkter Indikator für den Habitatverlust erhoben – eine der Hauptursachen des Biodiversitätsverlusts. Man kann aber auch mit Unterstützung von Naturschutzmaßnahmen die betriebseigene CO2-Bilanz verbessern. Die sogenannten Moor-Futures sind Zertifikate, mit deren Kauf man die Wiederherstellung von Mooren in Mecklenburg-Vorpommern fördert. Denn intakte Moore sind hervorragende CO2-Senken und in ihrer Effektivität oft besser als technische CO2-Einsparungsmaßnahmen.
Unternehmen, die sich nicht mit den Auswirkungen des eigenen Handels auseinandersetzen, werden auf Dauer negative Folgen haben und Wettbewerbsnachteile erleiden. Künftig werden Nachhaltigkeitskriterien in der gesamten Wertschöpfungskette immer mehr abgefragt werden. Aber im Grunde gehört dieser Ansatz generell zu einer nachhaltigen Geschäftsstrategie. Ein Unternehmen wird auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn es sich auf soziale und ökologische Werte ausrichtet und diese konsequent verfolgt. Dazu gehört, die „freien“ Leistungen der Natur miteinzubeziehen und sie zu erhalten. Nur wenn ein Unternehmen in diesem Sinne handelt, handelt es ökonomisch sinnvoll und damit auch langfristig profitorientiert.
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