Mehr Plastik als Fisch: Die Donau verkommt zur Müllkippe
Im unteren Donauabschnitt zwischen Wien und Bratislava gibt es mittlerweile mehr Plastikmüll als Fischlarven. 1533 Tonnen gelangen jedes Jahr über den Fluss ins Schwarze Meer. Den Großteil scheint die Industrie zu verursachen.
Eigentlich ging es um Fischlarven und deren Verbreitung in der blauen Donau. Nun hat eine klassische wissenschaftliche Fragestellung der Limnologen der Universität Wien aber ein ganz anderes Fass aufgemacht: Plastikmüll im Fluss. Limnologen sind Forscher, die sich mit den Binnengewässern als Ökosystem beschäftigen.
Die Wissenschaftler des Departments für Limnologie und Ozeanographie der Universität Wien zogen in den Jahren zwischen 2010 und 2012 los, um mit trichterförmigen Netzen an unterschiedlichen Stellen in Ufernähe der Donau Proben zu nehmen. Ziel ihrer Forschung war ein 60 Kilometer langer Abschnitt der Donau zwischen Wien in Österreich und dem slowakischen Bratislava.
Fischlarven sind Plastikmengen deutlich unterlegen
Die Limnologen staunten nicht schlecht, als sie in nahezu allen Proben neben Fischlarven auch mit freiem Auge sichtbare Plastikteile in erheblichem Umfang fanden. Derart stutzig geworden, begannen die Wissenschaftler hochzurechnen, wie viel Plastik der Fluss transportiert.
Ihre Ergebnisse erschrecken: Demnach befördert der Fluss zwischen Wien und Bratislava pro 1000 Kubikmeter Wasser im Schnitt 317 Plastikpartikel, das entspricht 4,8 Gramm, und 275 Fischlarven mit einem Gewicht von 3,2 Gramm. Es ist also deutlich mehr Plastik im Strom unterwegs als Fischlarven.
„Das ist schon eine Menge von bedenklichem Ausmaß“
Von diesen Befunden befeuert, gingen die Wissenschaftler noch einen Schritt weiter. Sie rechneten die Menge der Plastikfracht auf die gesamten knapp 2900 Fließkilometer der Donau hoch. Und zwar wissenschaftlich exakt unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl, der Einzugsgebiete und der Durchflussmenge.
Am Schluss waren die Forscher platt: „Eine konservative Hochrechnung dieser Mengen ergibt einen geschätzten Eintrag von etwa 4,2 Tonnen Plastikmüll pro Tag von der Donau in das Schwarze Meer“, erklärt Hubert Keckeis von der Universität Wien. Aufs Jahr gesehen entspricht das 1533 Tonnen. Das ist mehr, als das vermutete Gewicht des riesigen schwimmenden Plastikteppichs im Nordatlantik. „Das ist schon eine Menge von bedenklichem Ausmaß“, bewertet Keckeis diese Zahl.
79 Prozent des Plastikmülls sind industrielles Rohmaterial
Keckeis hat gemeinsam mit Aaron Lechner seine Ergebnisse im Fachjournal Environmental Pollution veröffentlicht. Interessant ist auch die Zusammensetzung der entdeckten Kunststoffe. 79 Prozent der meist nur wenigen Millimeter großen Partikel sind nämlich industrielles Rohmaterial. Diese sogenannten Pellets sind der Grundstoff für spätere Kunststoffprodukte.
Keckeis vermutet, dass dieses industrielle Rohmaterial im Rahmen der Verwertungskette der beteiligten Industrien ungewollt verloren geht. Beweisen kann er seinen Verdacht jedoch nicht. Da das Studiendesign auf das Aufspüren von Fischlarven optimiert war, konnten die Forscher jene Stellen, an denen die Kunststoffe in die Donau gelangen, nicht ausfindig machen. Sicher ist hingegen, dass die restlichen 21 Prozent Plastik reiner Müll sind, den Menschen achtlos oder bewusst ins Wasser schmeißen.
Anteil der nanoskalinen Plastikpartikel noch unklar
Vollkommen unklar ist der Anteil noch kleinerer Partikel bis in den Nanobereich, die von den Netzen mit einer Maschenweite von einem halben Millimeter nicht erfasst wurden. „Hier besteht noch großer Forschungsbedarf über die Größe dieses Anteils und was er bewirken kann“, so Keckeis. Bisher lag der Fokus bei der Bewertung des Plastikmülls in den Gewässern auf den Ozeanen. Mit den Funden der Wiener Limnologen steht zu befürchten, dass die Konsequenzen der Anreicherung des Kunststoffes in den maritimen Systemen auch in den Flüssen stattfinden. „Die Vermutung liegt natürlich sehr nahe, dass es sich dabei um ein globales Problem handelt“, sagt Aaron Lechner. Da hat er wohl Recht: Erst im Herbst 2013 hatten Wissenschaftler im Uferbereich des Gardasees in Italien genauso viele der winzigen Plastikpartikel gefunden, wie man sie sonst so an den Stränden der Weltmeere antrifft.
„Wenn die Dichte von potenziellen Nahrungsmitteln in der Umwelt eine bestimmte Grenze überschreitet, werden diese bevorzugt als Beute aufgenommen – Plastik hat so einen kritischen Wert erreicht“, sagt Hubert Keckeis. Dazu kommt, dass die Pellets eine große Ähnlichkeit mit Fischeiern haben. Und dadurch von Fischen in den Binnengewässern als begehrte Proteinquelle ahnungslos verspeist werden.
Nehmen Fische diese Partikel als Nahrung auf, können die Folgen fatal sein: Sie können durch ein fälschliches Sättigungsgefühl, durch mechanische Verstopfung und durch Verletzung des Darmtraktes bis zum Tod führen. Darüber hinaus gibt es ein ganz anderes Problem. Durch die Aufnahme all der Plastikpartikel nehmen die Fische auch lösliche Zusatzstoffe wie zum Beispiel Phtalate oder Bisphenol A auf. Und diese Zusatzstoffe reichern sich in den Körpern an. So kommt am Ende der ganzen Nahrungskette der Mensch beim Fischverzehr in den Genuss der Folgen seines eigenen Handelns.
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