Mikroplastik saugt sich in Flüssen mit Giftcocktail voll
Die Kunststoffkörnchen im Sediment von Flüssen, Seen und Meeren nehmen in hohem Maße Schadstoffe aus ihrer Umgebung auf: Das haben Forscher der HAW Hamburg nachgewiesen. Über die Nahrungskette landet das Zeug dann wieder beim Menschen.
Nicht genug, dass die meisten Gewässer und damit auch das Sediment an ihrem Grund jede Menge Mikroplastik enthalten – nein, die winzigen, im Höchstfall 5 mm großen Teilchen ziehen auch noch Schadstoffe an wie kleine Magnete und speichern sie. Das haben Forscher der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg jetzt unter anderem für die Sedimente von Elbe, Weser, Trave, der Boddengewässer und der Nord- und Ostsee nachgewiesen – und der Schluss, dass das quasi überall so ist, liegt mehr als nahe.
In den genannten Gewässern hatten die Forscher im Sommer 2015 50 eigens entwickelte Schadstoffsammler, trinkbechergroße Kupfergebilde, bestückt mit winzigen Silikonfasern, versenkt. Nach drei Monaten wurden sie wieder eingesammelt.
Mikroplastik zeigt höhere Belastung als die Umgebung
Nach rund einem Jahr Expeditions- und Laborarbeit haben die Forscher jetzt Erkenntnisse gewonnen, die ihre Annahmen nicht nur stützen, sondern sogar leider übertreffen: Ein Erfolg für die Forschung, aber gar nicht gut für die Allgemeinheit. Die Plastikteilchen nehmen tatsächlich Schadstoffe aus ihrer Umgebung auf – je länger sie im Sediment liegen, desto mehr dieser Stoffe binden sie. Drei- bis viermal so hoch wie im umliegenden Sediment war die Belastung der Kunststoffkörnchen, und das schon nach drei Monaten. Vermutet hatten die Forscher mindestens eine 1:1-Anreicherung.
Bei den Schadstoffen, von denen hier die Rede ist, handelt es sich vor allem in der Weser und der Elbe um Polychloriertes Biphenylen (PCB). In den Sedimenten des Stralsunder Hafens und des Rostocker Fischereihafens Marienehe wurden vor allem polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) ermittelt – teilweise krebsauslösende Substanzen, die zum Beispiel über Dieselprodukte ins Wasser gelangen. Als Anhaltspunkt: Der von der EU vorgeschlagene Grenzwert für Produkte, die krebserregende PAK enthalten, liegt bei 1 mg pro Kilo.
Größte Belastung nahe der Lübecker Kläranlage
Auch an der Wesermündung und in der Warnow bei Rostock war die Schadstoffbelastung sehr hoch. Trauriger Spitzenreiter war die Umgebung der Lübecker Kläranlage mit bis zu 1400 µg oder 1,4 mg Fluoranthen pro Kilo Silikon, ein beim Verschlucken ebenfalls mutagener und tumorgener Stoff. Ob und wie Flora und Fauna in den Gewässern auf die Giftcocktails reagieren, wird zusätzlich in biologischen Testsystemen untersucht.
Etwa doppelt so aufnahmefreudig wie das im Versuch verwendete Silikon ist zudem Polyethylen, wie Labortest der HAW-Forscher ergaben – der von der Industrie meistverwendete Kunststoff. Damit liegen die realen Schadstoffwerte im Mikroplastik wohl noch einmal deutlich höher als gemessen. Ins Wasser gelangen die Plastikstückchen übrigens durch Abfälle, die im Laufe der Zeit und durch Sonne, Wind und Wellen brüchig werden und zerbröseln, oder direkt durch kleine Kügelchen, die als Scheuerzusätze in einer Reihe von Kosmetikprodukten zu finden sind. Manche Hersteller verzichten inzwischen auf diese Zusätze, aber noch längst nicht alle.
Die Nahrungskette bringt das Gift zurück zum Menschen
Und die Redensart „Aus den Augen, aus dem Sinn“ gilt hier nicht: Die schadstoffschwangeren Partikelchen bleiben schließlich nicht da, wo sie sind. Würmer, Muscheln und Fische nehmen sie mit der Nahrung auf, wodurch sie per Nahrungskette am Ende auch beim Menschen landen – inklusive des Giftcocktails, den sie sich bei ihrem Aufenthalt in Wasser, Sand und Schlick reingezogen haben.
Und wo kommt das Mikroplastik her? Es wird über die Flüsse bis ins Meer getragen. Es stammt aus Kläranlagen und Industriebetrieben. Das Problem: Die Kläranlagen sind mit dem Filtern von Mikroplastik völlig überfordert.
Teilweise gibt es schon Studien, welche Menge an Mikroplastik die Flüsse mit sich führen. Schweizer Forscher haben zum Beispiel den Rhein untersucht. Und Wiener Forscher fanden in der Donau mehr Plastikteilchen als Fischlarven.
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