Missbrauch von Technik: Mit Wildtierkameras Frauen ausspioniert und belästigt
Forschende der Universität Cambridge fanden heraus, dass in Naturschutzgebieten Technologien zur Überwachung von Wildtieren missbraucht werden. Behörden und Dorfbewohner nutzen sie, um Frauen einzuschüchtern und zu bespitzeln.
Ferngesteuerte Kamerafallen, Tonaufnahmegeräte und Drohnen werden zunehmend in der Naturwissenschaft eingesetzt, um Tiere und Lebensräume zu überwachen. Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler haben dabei hauptsächlich Naturschutzgebiete im Fokus. Allerdings werden diese Technologien, mit denen Wildtiere beobachtet werden können, auch missbräuchlich verwendet, wie Forschende der Universität Cambridge jetzt herausgefunden haben. In Nordindien haben Behörden und Dorfbewohner gezielt solche Technologien zweckentfremdet, um Frauen ohne deren Einverständnis auszuspionieren.
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Der Cambridge-Forscher Trishant Simlai befragte über einen Zeitraum von 14 Monaten 270 Personen rund um den Corbett-Nationalpark, der im indischen Bundesstaat Uttakhand am Fuß des Himalayas liegt. Simlai beschäftigt sich mit Naturschutz, dessen Überwachung sowie der Interaktion zwischen Menschen und Wildtieren. Und die haben es in sich: Der Forscher konnte belegen, dass Parkranger absichtlich Drohnen über Frauen fliegen lassen, um sie aus dem Wald zu vertreiben. Die Frauen allerdings sind berechtigt, in dem Wald Nahrung oder andere Ressourcen zu sammeln. Diese Berechtigung ist sogar juristisch dokumentiert.
Wälder dienen Frauen in Nordindien als „Schutzräume“
Das Prekäre an der Situation: Die Frauen suchen im Wald häufig auch Zuflucht vor der Männerdominanz in ihren Dörfern. Sie nutzen also den Wald als eine Art Schutzraum, obwohl sie wissen, dass dort gefährliche Wildtiere leben. Die Kameras sorgen nun dafür, dass sie sich beobachtet und gehemmt fühlen. Das äußert sich vor allem darin, dass sie leiser sprechen und singen. Dadurch wird das Gebiet für die Frauen erheblich gefährlicher, weil die Begegnungen mit Wildtieren für sie wahrscheinlicher wird. Das wurde sogar bestätigt, denn eine der befragten Frauen ist inzwischen bei einem Tigerangriff getötet worden.
Die Studie des Cambridge-Forschers Trishant Simlai offenbart ein sogenanntes Worst-Case-Szenario, bei dem es durch absichtliche Überwachung zur Einschüchterung kommt. In wissenschaftlichen Kreisen sei es durchaus bekannt, dass Menschen durch Wildkameras oft unbeabsichtigt erfasst werden. Das komme an verschiedenen Orten vor, unter anderem auch in Nationalparks in Großbritannien. „„Niemand konnte ahnen, dass Kamerafallen, die in den indischen Wäldern zur Überwachung von Säugetieren aufgestellt wurden, einen äußerst negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit der einheimischen Frauen haben, die diese Orte nutzen“, sagt Simlai, der am Institut für Soziologie der Universität Cambridge forscht.
Techniken zur Wildtierbeobachtung dürfen nicht missbraucht werden
Die Ergebnisse haben in der Naturschutzszene für Aufsehen gesorgt. Kameras, Tonaufnahmen und Drohnen gelten als gängige Technologien, die zur Wildtierbeobachtung eingesetzt werden. „Aber wir müssen sicherstellen, dass sie keinen unbeabsichtigten Schaden anrichten“, betont Chris Sandbrook, Direktor des Masters in Conservation Leadership-Programms der Universität Cambridge und Co-Autor des Berichts. „Überwachungsgeräte zur Verfolgung von Tieren können leicht zweckentfremdet werden, um stattdessen Menschen auszuspionieren, wodurch deren Privatsphäre verletzt und ihr Verhalten zu verändert wird.“
Die Technologien sind vor allem deshalb häufig dort im Einsatz, wo sich Naturschutzgebiete mit vom Menschen genutzten Flächen überschneiden. Häufig geht es dabei um den Schutz des Viehs vor Wildtieren. Doch die Forschenden appellieren an die Naturschützer, vor allem die sozialen Folgen von Fernüberwachung sorgfältig abzuwägen. Darüber hinaus müsse man sich fragen, ob weniger invasive Methoden die nötigen Informationen ebenfalls liefern könnten.
Einschüchterung und gezielte Demütigung durch Wildkameras
Die Frauen am Corbett-Nationalpark nutzen den Wald täglich. Er liefert ihnen einerseits wichtige Lebensgrundlagen wie Brennholz und Kräuter, und bietet ihnen andererseits die Möglichkeit, unter sich zu sein, sich über Lebenssorgen auszutauschen und traditionelle Lieder zu singen. Wenn man bedenkt, dass häusliche Gewalt und Alkoholismus in den Dörfern rund um den Corbett-Nationalpark weit verbreitet sind, bekommt der Nationalpark eine besondere Bedeutung: Viele Frauen verbringen Stunden dort, um schwierigen Situationen zu Hause zu entfliehen.
Die Befragung der Frauen ergab, dass sie sich neuen Technologien gegenübersehen. Diese seien getarnt als Wildtierbeobachtung würden aber zur gezielten Einschüchterung und Machtausübung über sie eingesetzt. „Ein Foto einer Frau beim Toilettengang im Wald, das von einer angeblichen Wildkamera aufgenommen wurde, kursierte in lokalen Social-Media-Gruppen, als Mittel der gezielten Belästigung“, so Simlai. Durch die Kameras fühlten sich die Frauen bei der gemeinsamen Waldarbeit gehemmt, die sonst enge Bindungen schafft. Indem sie sich leiser verhalten, bringen sie sich deutlich mehr in Gefahr. In Regionen wie Nordindien ist die Identität der Frauen eng mit ihren Tätigkeiten im Wald verknüpft. Laut den Forschenden ist das Verständnis der vielfältigen Nutzung des Waldes durch Frauen auch entscheidend für effektives Waldmanagement.
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