Neuer Ansatz verrät in Echtzeit, wie viel Klimawandel im Wetter steckt
Klimawandel und Wetter: Wie beeinflusst die Erderwärmung Extremereignisse wie Sturm „Boris“? Der neue „Storyline“-Ansatz zeigt reale Klimafolgen auf.
Der Sturm „Boris“ hat vor einigen Wochen in Europa schwere Überschwemmungen verursacht. Forschende des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zeigen anhand des neuen „Storyline“-Ansatzes auf, dass der Klimawandel erheblichen Einfluss auf das Ausmaß solcher Wetterereignisse hat. Dieser Ansatz vergleicht hypothetische Klimaszenarien mit aktuellen Ereignissen und liefert so eine greifbare Einschätzung des Klimawandeleinflusses.
Inhaltsverzeichnis
Der „Storyline“-Ansatz
Im September verursachte „Boris“ außergewöhnliche Regenfälle in Teilen Mitteleuropas, darunter Polen, Tschechien und Österreich. Dieser Sturm brachte so viel Niederschlag, dass er als eine der stärksten jemals gemessenen Fünf-Tages-Perioden in der Region gilt. Die Auswirkungen waren dramatisch: Überschwemmte Gebiete, beschädigte Infrastruktur und unzählige Evakuierungen. Doch wie viel davon ist tatsächlich auf den Klimawandel zurückzuführen?
„Auf diese absolut berechtigte Frage kann die Wissenschaft seit einigen Jahren belastbare Antworten geben“, sagt Dr. Marylou Athanase vom AWI. Dank probabilistischer Attributionsstudien lässt sich bereits kurz nach solchen Ereignissen feststellen, wie viel wahrscheinlicher ein extremes Wetterereignis durch den Klimawandel wurde. Ein Problem bleibt jedoch bestehen: Wahrscheinlichkeiten sind oft schwer greifbar und erfassen selten das tatsächliche Ausmaß in der Realität.
Hier setzt der „Storyline“-Ansatz an, den das AWI entwickelt hat. Dr. Antonio Sánchez-Benítez, Klimaphysiker und Mitautor der Studie, erklärt: „Im Wesentlichen wenden wir das ‘Was wäre wenn?“-Prinzip an. Wie hätte sich das Ereignis in einer Welt ohne Klimawandel entwickelt? Der Vergleich zeigt die Fingerabdrücke des Klimawandels – von extremen Wetterereignissen bis hin zu alltäglichem Wetter.“
Der Einfluss des Klimawandels auf Sturm „Boris“
Am Beispiel von „Boris“ demonstrierten AWI-Forschende im Journal Communications Earth & Environment, dass die Auswirkungen des Klimawandels messbar sind. Eine Analyse zeigte, dass der Sturm etwa neun Prozent weniger Regen gebracht hätte, wenn der Klimawandel nicht eingewirkt hätte. Der Grund dafür: Das Wasser im Mittelmeer und Schwarzen Meer war um etwa zwei Grad Celsius wärmer als vor der Industrialisierung. Dies führt zu einer höheren Verdunstung und damit zu mehr Wasserdampf in der Atmosphäre, der sich in Form von Regen niederschlägt.
„Neun Prozent mögen nicht viel klingen, doch bei Starkregen kann eine geringfügige Veränderung über die Schadenshöhe entscheiden,“ erläutert Dr. Athanase. Starkregenereignisse wie bei „Boris“ lassen sich somit auf die Erderwärmung zurückführen.
Die Umsetzung des Storyline-Ansatzes
Doch wie gelingt es den Forschenden, Langzeit-Klimasimulationen mit dem aktuellen Wetter zu verknüpfen? Ein Schlüsselbegriff ist hier das „Nudging“. Dabei werden Klimamodelle durch reale Winddaten „in Richtung“ des tatsächlichen Wetters gesteuert. Dies ermöglicht eine Annäherung an reale Bedingungen. Dr. Helge Gößling vom AWI erklärt, dass das Modell durch „Nudging“ die Einflüsse des Klimawandels auf das lokale Wetter besser sichtbar macht.
Das Modell basiert auf der CMIP6-Version des AWI-Klimamodells, das auch im IPCC-Bericht verwendet wurde. Hinzu kommen Winddaten aus der ERA5-Reanalyse des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen (EZMW). Diese Verknüpfung erlaubt es, klimatische Veränderungen auf lokale Wetterereignisse zurückzuführen.
Ein Online-Tool für Klimafingerabdrücke
Um das Wissen um Klimawandel und Wetter zugänglicher zu machen, hat das AWI ein interaktives Online-Tool entwickelt. Unter climate-storylines.awi.de können interessierte Nutzer*innen nahezu in Echtzeit sehen, wie sich das „Klimawandel-Signal des Tages“ auf Wetterereignisse weltweit auswirkt.
Die Daten sind für jeden frei verfügbar und werden täglich aktualisiert. Nutzerinnen und Nutzer können Wetterverläufe ab dem 1. Januar 2024 einsehen und erhalten Einsicht in Temperatur- und Niederschlagsdaten. Ziel des Tools ist es, die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Extremwetter greifbar darzustellen.
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