Umwelt 21.05.2010, 19:46 Uhr

Ölteppich mit Chemie kaschiert

Der Anblick ist verstörend: Männer in weißen Schutzanzügen, blauen Handschuhen und Atemschutz sprühen aus riesigen Schläuchen eine Chemikalie ins Meer, die die Augen, Haut und Atemwege reizt sowie Leber und Nieren schädigen kann. Ausgerechnet diese Chemikalie soll die Ölpest im Golf von Mexiko mildern. Experten hadern, ob das die richtige Reaktion auf die verheerende Umweltkatastrophe ist.

Rückblick: Am 22. April sank die Ölplattform „Deepwater Horizon“ des britischen Erdölkonzerns BP im Golf von Mexiko. Seither sprudelten ca. 800 000 l Rohöl/Tag ins offene Meer. Es bedroht Tiere, Pflanzen, Mangrovenwälder und Seegraswiesen der US-Bundesstaaten Louisiana, Alabama, Florida und Mississippi.

Um das Allerschlimmste abzuwenden, mischt BP riesige Mengen Chemikalien an der Meeresoberfläche und direkt überm Bohrloch ins Wasser. Diese sollen den Ölteppich fein zerteilen. Die Öltröpfchen sammeln sich in den oberen 20 m der Wassersäule in kaffeebraunen Schwaden.

Die amerikanische Umweltbehörde rechtfertigt den Einsatz der Dispergatoren Corexit EC9500A und EC9527A der US-Chemiefirma Nalco: „Das ist ein wichtiger Schritt, um mögliche Schäden durch das Öl von den empfindlichen Feuchtgebieten und Küstenregionen abzuwenden.“ Bakterien würden die fein verteilten Tröpfchen schneller abbauen. Seevögel liefen weniger Gefahr, mit dem Öl in Kontakt zu kommen.

Alleine an der Küste Louisianas leben 5 Mio. Zugvögel in den Sümpfen. Der Braunpelikan, Wahrzeichen des Bundesstaates, hat gerade zu brüten begonnen. Das Öl verklebt das Gefieder. Jungtiere verhungern, Gelege werden nicht mehr bebrütet.

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Mehr als 2,6 Mio. l Corexit wurden bisher ins Meer gepumpt. Die Type EC9527A basiert auf einem Gemisch aus Butoxyethanol, organischer Sulfonsäure und Propylenglykol. EC9500A enthält vorrangig Destillate der Erdölindustrie sowie organische Sulfonsäure und Propylengylkol.

„Die Hauptkomponente Butoxyethanol ist gesundheitsschädlich. Sie ist auch toxisch für Fische und sesshafte Organismen wie Korallen und Muscheln“, betont Biologe Jens Arle vom Umweltbundesamt in Dessau. Dispergatoren begrenzen zwar die Folgen der Ölverschmutzung, im Gegenzug aber nimmt man negative Folgen fürs Ökosystem in Kauf.

Nebenbei bewirkt Corexit einen optischen Effekt: Das dispergierte Öl treibt nicht mehr sichtbar auf dem Wasser und landet nicht an den Küsten an. Kosmetik in der Katastrophe.

Indem das Öl im Wasser verteilt wird, steigt allerdings der Anteil an giftigen aromatischen Verbindungen, erklärt Küstenforscher Carlo van Bernem vom GKSS-Forschungszentrum Geesthacht. Zooplankton nimmt die Öltröpfchen auf. Sie reichern sich in der Nahrungskette an. Das giftige Öl schädigt so Leber und Nieren der Tiere, von Delfinen, vom ohnehin bedrohten Blauflossenthun bis hin zu Pottwalen.

Fischeier, Larven und Jungtiere sind besonders empfindlich. Es kann zu einem Schwund bei vielen Arten kommen, schildert van Bernem. Ein Ölfilm auf der Wasseroberfläche wäre wohl das kleinere Übel. „Aufgrund des zweifelhaften Nutzens wird der Einsatz von Dispergatoren von deutschen Ölbekämpfern abgelehnt“, schreibt das Hamburger Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie auf seinen Webseiten.

Trotzdem verteidigt van Bernem die Entscheidung der amerikanischen Behörde: „Die hatten keine andere Wahl. Man muss die Mangroven an der Küste schützen.“ Das Abfackeln des Ölteppichs auf offener See scheiterte, da es sich kaum entzünden ließ. Auch mit Adsorbern, die das Öl aufsaugen, kam man wegen der gewaltigen Mengen nicht zu Rande, weiß van Bernem.

Es ist nicht das erste Mal, dass Dispergatoren eine Ölpest eindämmen sollen. Dennoch sind bis heute nur die kurzzeitigen Wirkungen der verwendeten Präparate bekannt.

Zu denken gibt ein einziger Feldversuch vor Panama. Zwei Küstengebiete wurden 1984 absichtlich mit ca. 1000 l Rohöl verseucht. Im einen Fall war das Öl mit einem Dispergator vermischt. Ein Drittel der Korallen starb in der Brühe. Der schwimmende Ölteppich dagegen schädigte die Korallen weniger. Dafür starb knapp die Hälfte der Mangroven. Sogar 20 Jahre nach dem Experiment ist noch immer Öl im Sediment nachweisbar das Baumsterben hält an.

Ob nun als Film oder in Tröpfchen – Öl schadet das Ökosystem massiv. Was das größere Übel ist, fällt selbst Experten schwer zu sagen. Doch eines lehrt das fragwürdige Experiment vor der panamaischen Küste unmissverständlich: Es dauert Jahrzehnte, bis die Natur sich von einer Ölpest erholt hat. SUSANNE DONNER

Ein Beitrag von:

  • Susanne Donner

    Susanne Donner ist studierte Chemikerin und schreibt als Wirtschaftsjournalistin über Technik- und Medizinthemen u. a. für die Wirtschaftswoche, GEO, FAZ und ingenieur.de.

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