Stanford-Forschung 22.10.2024, 13:00 Uhr

ORCA hilft Glaziologen bei der Kartierung schmelzender Eisschilde

Stanford-Forschende entwickeln kostengünstiges Open-Source-Radarsystem zur Kartierung schmelzender Eisschilde und bieten der Glaziologie neue Möglichkeiten.

Eisschild Grönland

Die Eisschilde, wie hier in Grönland, schmelzen. Eine neues Open-Source-Tool soll die Kartierung erleichtern.

Foto: PantherMedia / MichalBalada

Die Eisschilde der Erde schmelzen in rasantem Tempo und tragen maßgeblich zum globalen Meeresspiegelanstieg bei. Um dieses Phänomen besser zu verstehen, haben Forschende der Stanford University eine innovative Technologie entwickelt, die Glaziologinnen und Glaziologen weltweit neue Möglichkeiten eröffnet. Das Open-Source-Tool mit dem Namen „Open Radar Code Architecture“ oder kurz ORCA bietet laut Forschungsteam eine kostengünstige und flexible Lösung zur Erfassung von Radardaten aus schmelzenden Eisschilden.

Radiowellen ermöglichen tiefere Einblicke ins Eis

Im Stanford Radio Glaciology Lab wird eine spezielle Radartechnologie eingesetzt, um die Dynamik der Eisschmelze besser zu erfassen. Mithilfe von Radiowellen dringen die Forschenden in die tiefen Schichten von Eisschilden vor und decken wertvolle Informationen über das darunterliegende Land auf.

Diese Daten sind entscheidend, um die Fließgeschwindigkeit und Stabilität der Eisschilde zu analysieren und daraus präzisere Vorhersagen über den zukünftigen Anstieg des Meeresspiegels zu machen. Bisherige Forschungen haben beispielsweise die instabile Struktur von Eisschilden in der Antarktis aufgedeckt, deren Schmelzen den Meeresspiegel um bis zu drei Meter anheben könnte.

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Kostengünstiges Open-Source-Radar für alle

Ein entscheidender Fortschritt für die wissenschaftliche Gemeinschaft ist die Entwicklung von ORCA. Die beiden Doktoranden Thomas Teisberg und Anna Broome haben dieses Open-Source-Tool geschaffen, das die Herstellung von Radarsystemen für Glaziologinnen und Glaziologen weltweit erheblich vereinfacht. Im Gegensatz zu herkömmlichen Radarsystemen, die oft Zehntausende Dollar kosten, können Forschende nun mit ORCA eigene Radargeräte für etwa 1.500 Dollar bauen – und das ohne speziellen technischen Hintergrund.

„Wir ermöglichen es Gruppen, genau das richtige Instrument für ihre Zwecke zu bauen“, erklärt Teisberg. Der Vorteil liegt in der Flexibilität des Systems: Während traditionelle Radarsysteme auf spezifische Hardwarekomponenten angewiesen sind, erlaubt ORCA eine modulare Anpassung. Je nach Anwendungsfall lässt sich die Hardware einfach neu konfigurieren – ähnlich einer Küchenmaschine, bei der man je nach Gericht das passende Zubehör wählt.

Neue Möglichkeiten für die Glaziologie

Das ORCA-System ist nicht nur eine kostengünstige Lösung, sondern verbessert auch die Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Broome und Teisberg haben ein einheitliches Format für die Datenspeicherung entwickelt, sodass die erfassten Informationen einfacher ausgetauscht und wiederverwendet werden können. „Ich denke, dass wir dank dieses Systems einige wirklich spannende und einzigartige Experimente erleben werden“, sagt Dustin Schroeder, außerordentlicher Professor für Geophysik an der Stanford University.

Durch die Demokratisierung dieser Technologie haben Glaziologinnen und Glaziologen weltweit nun die Möglichkeit, eigene Daten zu sammeln und individuelle Radarsysteme zu entwickeln. Dies ermöglicht detailliertere Untersuchungen von Eisschilden, für die bisher unterschiedliche Radarsysteme nötig waren.

Einfache Handhabung durch softwaredefinierte Funksysteme

ORCA basiert auf softwaredefinierten Funksystemen, die eine Rekonfiguration der Hardware durch Software ermöglichen. Dies bedeutet, dass Forschende ihre Instrumente maßgeschneidert an die jeweiligen Forschungsfragen anpassen können, ohne tiefgehende Kenntnisse in Elektrotechnik zu besitzen.

„Wenn die Gemeinschaft dieses neue Tool annimmt, werden viel mehr Wissenschaftler ihre eigenen Radardaten sammeln und die Innereien dieser Radarsysteme wiederverwenden“, erklärt Broome, die inzwischen bei Sandia National Laboratories tätig ist. Der Zugang zu dieser Technologie erleichtert es Forschenden, die wissenschaftliche Fragen stellen, ihre eigenen Experimente zu entwickeln und sich stärker in den Forschungsprozess einzubringen.

Blick in die Zukunft der Glaziologie

Das Open-Source-Tool könnte weitreichende Folgen für die Glaziologie haben. „Durch die Veröffentlichung ihrer Arbeit als Open-Source-Software haben Thomas und Anna einer neuen Generation von Forschenden den Zugang zu eisdurchdringenden Radaren und deren Bau ermöglicht“, sagt Robert Hawley, Professor für Geowissenschaften am Dartmouth College. Die Lernkurve beim Bau solcher Systeme war bisher extrem steil – nun wird es deutlich einfacher.

Teisberg und Broome haben das System bereits auf Expeditionen nach Island, Spitzbergen und Grönland getestet. Ihre Ergebnisse, die sie mit bestehenden Daten verglichen, bestätigten die hohe Genauigkeit des Systems. „Wir stehen auf den Schultern vieler, die auf diesem Gebiet bereits großartige Arbeit geleistet haben“, sagt Teisberg. Das Ziel ist es, das Instrument für Eisforschende weltweit zugänglich zu machen und so die Forschung zu beschleunigen.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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