Pine-Island-Gletscher in der Antarktis schmilzt in Rekordtempo
Einer der größten Gletscher der Welt, der Pine-Island-Gletscher in der Antarktis, schmilzt immer schneller: Vor allem das warme Wasser von unten nagt an dem eisigen Koloss am Südpol. Allein sein Schmelzen wird den Meeresspiegel in den nächsten 20 Jahren um bis zu einem Zentimeter ansteigen lassen.
Noch erreicht der Pine-Island-Gletscher eine imposante Größe: Er ist 250 Kilometer lang, rund zwei Kilometer dick und überdeckt eine Fläche von 175.000 Quadratkilometer. Mit diesen Kennzahlen ist der Pine-Island-Gletscher einer der größten Gletscher der Welt.
Und doch schmilzt der Eisriese in einem ungewöhnlich schnellem Tempo. Der Teil des Eisriesen, der vom Land ins Meer ragt, ist in den vergangenen zehn Jahren um etwa zehn Kilometer kürzer geworden. „Der Gletscher ist in eine Phase des selbsterhaltenden Rückzugs eingetreten“, sagt Gael Durand, der mit Forscherkollegen vom Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) im französischen Grenoble jetzt in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“ eine Studie zum Pine-Island-Gletscher veröffentlicht hat. „Sein Niedergang ist unumkehrbar.“
Gletscher verliert jedes Jahr 20 Milliarden Tonnen Eis
Schon im Juli vergangenen Jahres sorgte der Gletscher für Schlagzeilen, als von seiner in das Meer hinausragenden Zunge ein Eisberg von der Fläche Hamburgs abbrach. Messungen zeigen, dass der Gletscher seit Anfang der neunziger Jahre jedes Jahr mehrere Meter an Dicke eingebüßt hat. Ausweislich der Veröffentlichung hat der Pine-Island-Gletscher von 1992 bis 2011 im Durchschnitt jedes Jahr 20 Milliarden Tonnen Eis verloren. Das entspricht 20 Prozent der Eisschmelze der westlichen Antarktis-Eisdecke.
Jetzt aber nimmt diese Gletscherschmelze richtig Fahrt auf. In den nächsten 20 Jahren wird der Masseverlust auf bis zu 100 Milliarden Tonnen pro Jahr steigen, erwarten die Forscher. Damit wird der Pine-Island-Gletscher im Alleingang zum globalen Meeresspiegel-Anstieg bis zu 10 Millimeter beitragen.
Es ist offenbar vor allem das Abschmelzen der Schelfeis-Schichten von unten, die diesen Turbo beim Gletschersterben bewirkt. Bislang galt als gesicherte Erkenntnis, dass es das Kalben eines Gletschers ist, welches ihn schrumpfen lässt. Schelfeis sind große, auf dem Meer schwimmende Eisplatten, die mit einem Gletscher an Land verbunden sind und von deren Spitze immer wieder Eisberge abbrechen.
Kalben der Gletscher ist weniger bedeutend als gedacht
Forscher der University of California in Irvine konnten allerdings im vergangenen Jahr zeigen, dass dieses Abbrechen von Eiskanten, das Kalben, eine geringere Bedeutung für den Gletschertod hat, als das Schmelzen von unten. Die Forscher kalkulierten die Schmelzraten mit verschiedenen Verfahren, unter anderem per Radar, Ultraschall, Höhenmessungen und mit atmosphärischen Modellen. Das überraschende Resultat: 55 Prozent des Eisverlustes, das sind jährlich 1325 Gigatonnen, gehen durch Schmelzen verloren. 45 Prozent, das sind pro Jahr 1089 Gigatonnen, gehen durch das Kalben verloren.
Der Antarktische Eisschild hat die größten Eismassen der Erde
Auf dem Antarktischen Eisschild liegen die weitaus größten Eismassen der Erde. Ein komplettes Abschmelzen dieser Eismassen würde den globalen Meeresspiegel um 58 Meter ansteigen lassen. Noch wird dieses Horrorszenario behindert durch die spezielle Situation in der Antarktis. Dort lässt die starke Meereisbildung vor der Schelfeiskante kaltes und salzreiches Schelfwasser entstehen. Und dieses Schelfwasser hindert den warmen Küstenstrom daran, auf den Kontinentalschelf vorzudringen und das Eis von unten anzugreifen.
Doch dieser Schutz gegen das wärmere Wasser schwächelt. Aller Voraussicht nach werden in Zukunft höhere Lufttemperaturen für eine dünnere Meereisbedeckung und damit für eine geringere Eisbildung vor der Schelfeiskante sorgen. „In den Simulationen lässt sich die Barriere nur dann wieder stärken, wenn man die Eisschmelze abschaltet und in der Atmosphäre die Bedingungen des 20. Jahrhunderts fortbestehen lässt“, sagt Hartmut Hellmer vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, unter dessen Leitung die Studie zur Schelfeisschmelze entstanden ist.
Schmelzen von unten ist entscheidend für den Gletscherschwund
Auch der Rückgang des Pine-Island-Gletschers könne nun „eindeutig erklärt werden mit seiner größeren Fließgeschwindigkeit, ausgelöst durch das Schmelzen von unten“, schreiben Lionel Favier und seine Kollegen vom CNRS. „Der Pine-Island-Gletscher ist passé, deshalb sinkt inzwischen auch das Forschungsinteresse daran“, sagt Hartmut Hellmer dazu lakonisch. Jetzt liegt die Ostantarktis im Fokus der Wissenschaftler. Denn auch dort kann die Schmelze von unten schon sehr bald an Fahrt aufnehmen.
Erst im Dezember 2013 hat ein internationales Forscherteam im Fachblatt „Nature Communications“ geschrieben, dass der Totten-Gletscher in der australischen Antarktis vom basalen Abschmelzen betroffen ist. Und das Ergebnis ist an den Küsten in vielen Weltregionen messbar: 2010 ist der Meeresspiegel im globalen Durchschnitt um 3,2 Millimeter angestiegen. Das ist in etwa doppelt so viel wie in den zwei Jahrzehnten zuvor.
Aus Millimetern werden rasch Zentimeter: Der UNO-Klimarat IPCC geht in seinem im September 2013 veröffentlichten Bericht davon aus, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um 26 bis 82 Zentimeter ansteigt. Das ist für viele Küstenstädte, vor allem in den ärmeren Ländern dieses Planeten, eine massive Bedrohung.
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