Neuer Lebensraum Plastik? 30.12.2021, 07:00 Uhr

Plastikmüll: Meerestiere finden neuen Lebensraum – mit fatalen Folgen

Forschende haben herausgefunden, dass Muscheln, Krebse und andere Meeresbewohner den Plastikmüll für sich als neue Heimat entdecken. Da sie von einer deutlichen Zunahme des Plastikmülls ausgehen, sehen sie darin eine besondere Gefahr für die Ökosysteme.

Kleine Meerestiere wie Muscheln, Algen, Krebse suchen sich gern Materialien, auf denen sie sich dauerhaft ansiedeln. Das sind klassischerweise natürliche Materialen, es kommt aber auch vor, dass sie Treibgut nutzen. Biologisch abbaubare Materialien verfügen naturgemäß über eine begrenzte Lebensdauer. Das sorgt dafür, dass die Meerestiere sich weitgehend in ein- und denselben Gewässern aufhalten. Es sei denn, es kommt zu besonderen Naturereignissen, wie einem Tsunami. Dann können diese Meerestiere durchaus auch in andere Gebiete gelangen.

Mikroplastik: Neue Gefahren – neue Vermeidungsstrategien

Nun haben Forschende im Rahmen einer Studie herausgefunden, dass diese Meeresbewohner auch auf dem Plastikmüll zu finden sind, der Tonnenweise im Meer schwimmt. Damit kommt ein weiteres Phänomen hinzu, dass durchaus zum Problem werden könne. Denn damit bestünde nicht nur die Gefahr, dass Tiere sich an dem Plastikmüll verschlucken oder sich darin verheddern, sondern sie fänden darin eine neue Heimat und zugleich ein Transportmittel, um in andere Gebiete zu gelangen.

Plastikmüll als Heimat: Meeresbewohner erobern per „Ocean Rafting“ neue Gebiete

Bis 2050 gehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass der Müll im Meer auf 25.000 Millionen Tonnen zunehmen wird. Das habe vor allem Auswirkungen auf sogenannte neopelagische Arten. Das sind pelagische Arten, die sich entwickelt haben, um auf anderen Meeresbewohnern oder umherschwimmenden Materialien zu leben. Dazu gehören auch Arten, die an Küsten leben. Entstanden sei so eine neopelagische Gemeinschaft im offenen Ozean, die sich das im Meer treibende Plastik zunutze gemacht habe. Darauf sei es ihnen sogar möglich, sich in anderen, neuen Gebieten anzusiedeln und auszubreiten. Die Forschenden nennen das „Ocean Rafting“.

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Besonders gut beobachten ließ sich das nach dem Erdbeben und Tsunami im Jahr 2011. Hunderte Arten kleiner Lebewesen, die aus den Küstenregionen Japans bekannt waren, fanden Forschende auf Trümmern, die bis an die Ufer der nordamerikanischen Pazifikküste und bis zu den Hawaii-Inseln gespült worden waren. Damit hatten diese Meerestiere eine Reise von mehr als 6.000 Kilometern hinter sich gebracht. Laut der bisher bekannten Literatur zu dem Thema, sei dies wohl das größte Rafting-Ereignis. Und die Meerestiere überlebten diese Reise nicht nur, sondern sie wuchsen sogar auf den Trümmern und konnten sich auf dem offenen Ozean vermehren. Diese Erkenntnis habe die Forschenden überrascht, denn der größte Anteil der Trümmer bestand aus schwimmendem Plastik.

Plastikmüll stellt für Meerestiere haltbares und schwimmfähiges Material dar

Die Wissenschaft gehe deshalb von einer Verschiebung der Zusammensetzung der wirbellosen Gemeinschaften im offenen Ozean aus. Damit einher müsse man auch mit einer Zunahme der Vielfalt von Küstenarten auf  schwimmenden Plastikflößen rechnen, die über Jahre an der Meeresoberfläche treiben und mit den Meeresströmungen durchaus Tausende von Kilometern wandern könnten. Die Forschungsgemeinschaft hat deshalb den Begriff „neopelagisch“ eingeführt, mit dem die neue Meeresoberflächengemeinschaft gemeint ist, die sich aus ozeanischen Neuston- und Rafting-Küstenarten zusammensetzt. Die Zunahme des Plastikmülls im Meer habe das Aufkommen dieser neuen Gemeinschaft erheblich begünstigt, weil damit erstmals haltbares und außergewöhnlich schwimmfähiges Material als Heimat zur Verfügung stehe. Damit seien nun Teile des offenen Meeres plötzlich für Arten aus Küstengewässern als neuer Lebensraum geeignet.

Für die Forschenden gibt es noch viele Fragen zu klären, die durch diese Studie aufgekommen sind. Zum Beispiel, wie es möglich ist, dass sich die Meeresbewohner auf dem Plastik vermehren können und wovon sie sich dabei ernähren? Ebenso unklar ist, was für Auswirkungen diese neuen Lebensgemeinschaften möglicherweise auf das Gleichgewicht im Ozean haben. Denn auch im offenen Meer gibt es Arten, die sich auf Treibgut ansiedeln. Bislang war dieses Ökosystem nahezu ungestört. Nun dringen neue Bewohner ein. Die Auswirkungen sind noch nicht einzuschätzen. Möglicherweise könne der Plastikmüll dafür sorgen, dass dieses Eindringen neuer für die bisherigen Arten zur Bedrohung wird. Vor allem, weil davon auszugehen sei, dass Küstenstürme zunehmen. Und genau die sind dafür verantwortlich, dass sich Plastik in den Ozeanen der Welt verbreiten kann. Mit vermehrt auftretenden Rafting-Ereignissen sehen die Forschenden einer Veränderung der Ökosysteme innerhalb der Ozeane auf globaler Ebene entgegen.

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Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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