Recycling-Kunststoff-Module: Ein Meilenstein im Straßenbau
Unkrautfrei, unzerstörbar, wiederverwendbar und umweltfreundlich: Das verspricht die nachhaltige Straßenmodulbauweise aus recyceltem Kunststoff. Ursprünglich war das Pilotprojekt im Hafen von Rotterdam (Niederlande) geplant. Eingeläutet wurde die Testphase „Plasticroad“ aber vorerst in der Provinz Overijssel – in Form zweier Radwege.
Es ist bereits 4 Jahre her, als wir über das Projekt berichteten. Seitdem hat sich einiges getan. Das holländische Bauunternehmen „VolkerWessels“ aus Amersfoort entwickelte eine nachhaltige Straßenmodulbauweise aus recyceltem Kunststoff. Diese Elemente können auf einfachem Sanduntergrund verlegt werden. Außerdem ist ein Hohlraum für alle nötigen Leitungen bereits implementiert. Ganz im Gegenteil zum konventionellen Straßenbau. Dieser ist langwierig, laut, schmutzig, heiß und wenig nachhaltig. Der Untergrund muss extrem gut vorbereitet werden. Tonnen von Sand, Bruch, Split, Kies und Teer pro Quadratmeter Straße stellen sicher, dass die Fahrbahn den Belastungen der nächsten Jahrzehnte Stand halten kann. Jedes Kabel und Rohr muss sorgfältig eingeplant werden, jede Änderung bedeutet massive Grabungs- und Abbrucharbeiten. Genau deshalb könnte das Projekt Plasticroad der KWS, Tochtergesellschaft von Royal Volkerwessels, eine erfolgsversprechende Patentlösung sein.
Die Mehrwegstraße im Einsatz
Die Modulbauweise ist schon aus dem Fertighausbau bekannt. Für Straßen, die langlebig und sicher sein sollen, müssen diese Module allerdings hohe Anforderungen erfüllen. Tonnenschwere Fahrzeuge, 24/7 belastet und Witterungsbedingungen ausgesetzt, muss vor allem die Fahrbahn hohe Strapazen wegstecken. Dies erreicht die Plasticroad durch ihre spezielle Zusammensetzung und Biegesteifigkeit. Das Plastikgranulat, aus dem die Module gefertigt werden, besteht überwiegend aus Recyclingkunststoff. Diese Eigenschaft trägt zur Verminderung des CO2-Ausstoßes, im Gegenzug zur Verbrennung des Materials, bei. Die Oberflächeneigenschaften sollen hohe Laufruhe, Bodenhaftung und Abriebfestigkeit gewährleisten. Es wird eine 3 Mal längere Nutzungsdauer erwartet, als dies bei konventionellen Straßen üblich ist.
Die Kanalisation liegt im Inneren des Moduls. Das Wasser fließt hier direkt durch den Hohlraum unterhalb der Straße. Überschwemmte Fahrwege und Aquaplaning dürften damit zur Ausnahme werden. Bei frostigen Temperaturen kann eine innenliegende Heizung bei Eis und Schnee Abhilfe schaffen.
Plastikradwege in der Provinz Overijssel
Die Gemeinde Zwolle in den Niederlanden war die erste, die der Plasticroad die Pforten öffnete. Der 30 Meter lange Testabschnitt im Ort liefert seit September 2018 wertvolle Erkenntnisse, die durch installierte Sensoren abgelesen und ausgewertet werden können.
Die zweite, ebenfalls 30 Meter lange Teststrecke wurde im November 2018 in der Gemeinde Giethoorn (Niederlande) auf einem schwierigen Untergrund an einer Landstraße verlegt. Die Messungen an 2 unterschiedlichen Standorten sollen ein genaueres Ergebnis zu verschiedenen Eckdaten ermöglichen. Vorerst ist eine Testdauer von 5 Jahren vorgesehen.
Provinz und Gemeinde treten gemeinsam als Auftraggeber auf. Sie versuchen, die innovativen und nachhaltigen Ideen regionaler Unternehmen zu fördern.
Währenddessen sucht die KWS bereits nach neuen Partnern, um weitere verschiedenartige Projekte anzukurbeln. So sollen in naher Zukunft etwa Parkplätze, Aussichtsplattformen und Bürgersteige zu Testzwecken bereitgestellt werden. Dies ist notwendig, um möglichst viele Anwendungsgebiete für die neue Straßenform zu erschließen und Erfahrung zu sammeln, ehe sich die Plasticroad auf den Weg zu ihrer eigentlichen Bestimmung macht: die Straßen.
Müll wird zur Straße – und wieder zu Müll?
Die Plasticroad ist laut des Unternehmens in allen Aspekten eine ganzheitlich durchdachte und eine auf Umweltschutz und die Verbesserung des Weltklimas zugeschnittene Lösung.
Der Müll, der für die Herstellung der Module benötigt wird, ist in Unmengen bereits vorhanden. Die Plasticroad bindet diesen langfristig, ohne dass dabei schädliche Bestandteile in die Umwelt gelangen würden, wie es bei der Verbrennung beispielsweise der Fall wäre. Der erste Recyclingdurchgang ist dabei noch nicht einmal eine Einbahnstraße. Das bislang verwendete Polypropylen, der in der Herstellung zweithäufigst verwendete Kunststoff, eignet sich hervorragend zur erneuten Wiederverwertung. Das Konzept ist auch an der Stelle durchdacht, denn die Module können nach ihrer Nutzungsdauer entnommen, runderneuert oder recycelt werden. Das für die beiden Radwege in Overijssel verwendete Material stammt ausschließlich aus einer ganzen Menge Hausmüll. Für ein Plasticroad-Element werden in etwa das Pendant zu 218.000 Plastikbechern benötigt. Da allerdings nicht alle Verpackungen und Co. aus Polypropylen bestehen, beziehen die Hersteller schon andere Kunststoffe und Plastikmüll aus den Meeren in ihre Forschung mit ein.
Der naheliegende Einwand des Abriebs wird auch von Seiten der KWS ernst genommen. Um nicht die unmittelbare Umgebung zu verschmutzen oder gar zu gefährden, wird der Abrieb und damit verbundene Mikroplastikbelastung durch eine Beschichtung verhindert. Diese soll nicht ausschließlich das Austreten von Mikroplastik aus der Straße unterbinden, sondern auch das Mikrogummimaterial aus dem Reifenabrieb abwenden. Diese Eigenschaft wird derzeit auf ihre Wirksamkeit überprüft.
Kanäle in der Straße waren schon immer ein Paradies für kleine Lebewesen, die sich von Abfällen ernähren oder ein Versteck suchen. Durch ein sehr dichtes Verbindungssystem und weniger Leckagen an der Kanalisation soll künftig das Eindringen von Tieren verhindert werden. Nicht nur im Sinne der Straße, sondern auch der Tiere, die sich dabei verletzen, verirren und verhungern könnten.
Die Nachhaltigkeit zeigt sich zudem in der Form, dass der Treibstoffverbrauch durch die niedrigeren Ansprüche an den Untergrund – und damit weniger Einsatz von schwerem Gerät – reduziert werden kann. Durch das geringe Gewicht der Bauteile lassen sich sogar mehrere auf einem LKW transportieren.
Plasticroads, take me home
Die Entwickler und Hersteller der Plastikstraße sprechen von Kombinationen mit Solarwegen, ganzen Plastikautobahnen und Flugplätzen. Sollte sich das vielversprechende Konzept in der Testphase behaupten, werden gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Umweltschädlicher Plastikmüll wird gebunden und beliebig oft wiederverwertet. Straßen werden moderner, smarter und effizienter. Baumaßnahmen können wesentlich schneller durchgeführt werden. Am Ende wird unser Straßennetzwerk auch noch haltbarer und wartungsärmer. Die Erprobung wird am Ende der Testphase im Jahr 2023 zeigen, was die Plasticroad tatsächlich kann. Bis dahin haben Ingenieure noch Zeit, weitere Alternativen zu Teer und Beton zu entwickeln.
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