Russland düpiert Meeresschützer mit Veto
Die Schaffung des weltweit größten Meeres-Schutzgebietes in der Antarktis ist am Veto Russlands gescheitert. Ein Eklat: Russland stellte sogar die wissenschaftliche Legitimation der Konferenz in Frage. Wirtschaftliche Interessen dominieren im Kampf um den Schutz der wertvollen Ökosysteme im ewigen Eis.
„Ich habe noch nie so enttäuschende Verhandlungen erlebt“, sagt Greenpeace-Meeresexpertin Iris Menn. Gemeint sind die nun am Veto Russlands gescheiterten Beratungen der Kommission für die Erhaltung der lebenden Meereschätze in der Antarktis – auf Englisch Commission for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources (CCAMLR). Und in der Tat: Es ist schon erstaunlich, dass Russland sogar die Legitimität der Konferenz, die angetreten war, das weltgrößte Meeresschutzgebiet zu begründen, in Frage stellt. „Es herrscht eindeutig Unklarheit darüber, was das Konzept eines Schutzgebiets beinhaltet“, heißt es in einem Positionspapier der russischen Delegation. Es mangele an einer klaren Definition und damit an einer „vollen rechtlichen Grundlage der Tätigkeit der Kommission in Bezug auf die Einrichtung eines solchen Bereichs“.
„Rückschritt für den Meeresschutz“
„Das ist ein Rückschritt für den Meeresschutz“, empört sich Tim Packeiser, Meeresökologe beim Umweltverband WWF. „Das hat uns alle überrascht, niemand hier hat das Verhalten Russlands verstanden.“ Mehr als zehn Jahre lang waren die Schutzpläne von 24 Staaten und der Europäischen Union vorbereitet worden. Diese internationale Staatengemeinschaft hat sich verpflichtet, bis zum Jahre 2020 zehn Prozent der Küsten- und Meeresgewässer als Schutzgebiete auszuweisen. Bisher sind es gerade einmal zwei Prozent.
Eigentlich war daher alles klar und auch gut vorbereitet. Die Kommission wollte in Bremerhaven darüber entscheiden, ob im Rossmeer und in der Ostantarktis Schutzgebiete ausgewiesen werden, die mit insgesamt rund 3,8 Millionen Quadratkilometern fast so groß sind wie die Europäische Union. In ihnen leben und wirtschaften 500 Millionen Menschen, während in den eiskalten Wassern rund um die Antarktis kaum Menschen, dafür allerdings unzählige Pinguine, Wale, Robben, Albatrosse, Fische und Kleinstkrebse leben. Dieses Gebiet ist eine der letzten Regionen auf dem blauen Planeten, welche die Menschen bisher nur wenig verändert haben.
Meeresströmungen beeinflussen das Klima auf der ganzen Welt
„Die Eisflächen der Antarktis liefern die Grundlagen für das überquellende Leben im Südpolarmeer“, sagt Bob Zuur vom WWF in Neuseeland. Gerade dieses Gebiet in der Antarktis ist einzigartig und bietet viele maritime Besonderheiten. Die eiskalten Fallwinde über dem ewigen Eis rauschen hinunter zum Meer und treiben dort Meeresströmungen an, die das Klima auf der gesamten Erde beeinflussen.
Gleichzeitig wirken diese eisigen Fallwinde wie eine riesige Düngermaschine. Die Polarwinde kühlen das Wasser so stark ab, dass es bis auf den Grund des Südpolarmeeres sinkt und die dort liegenden Nährstoffe aufwirbelt. Eine gigantische Düngerwolke, die in Kombination mit dem Sonnenlicht Nahrung für Algen und Bakterien ist, die den Mittagstisch für den Krill, einen Kleinkrebs, bilden. Diese Kleinkrebse leben dort in Massen und sind eine wichtige Nahrungsquelle für viele größere Meerestiere. Selbst der Blauwal lässt sich die Krebse gerne schmecken. Robben, Pinguine, Fische – alle zehren von den Krill-Wolken im Südpolarmeer. Und auch Vögel leben als Zweitverwerter vom Krill.
Südpolarmeer ist ein großes Buffet
„Zu diesen Second-Hand-Krill-Fressern gehören zum Beispiel die Albatrosse, für die das Südpolarmeer ein großes Buffet ist“, sagt Zuur. Der WWF-Experte betont die Wichtigkeit dieses einzigartigen Meeresgebietes vor allem für die großen Wale. Rund 80 Prozent der Riesensäuger ernähren sich in diesen Gewässern. Diese Riesenbuffet für eine ganze Armada von Fischen und Vögeln ist stark bedroht, weil etwa Fischereiflotten längst nicht mehr nur zum Fischen in die Antarktis aufbrechen, sondern auch zum Krill-Jagen. Denn der Futter-Tausendsassa ist ideal für Aquakulturen und liefert die für Menschen als gesundheitsfördernd geltenden Omega-3-Fettsäuren.
Das Ökosystem am Rande des ewigen Eises ist also gefährdet. Deshalb haben Neuseeland und die Vereinigten Staaten der CCAMLR-Kommission vorgeschlagen, 2,3 Millionen Quadratkilometer des Rossmeeres vor den Antarktis-Stationen der beiden Länder als Schutzgebiet auszuweisen. Australien, Frankreich und die Europäische Union schlossen sich dem Vorstoß an und wollen sieben weitere Meeresregionen vor der Küste der Ost-Antarktis mit zusammen 1,63 Millionen Quadratkilometer ebenfalls in Schutzgebiete umwandeln. Kommerzieller Fischfang wäre in diesen Schutzgebieten nur noch stark eingeschränkt möglich gewesen.
Beschlüsse der Kommission sind für Mitgliederstaaten völkerrechtlich bindend
„Hinter CCAMLR aber stehen die großen Fischereinationen der Welt“, sagt Tim Packeiser vom WWF. Zu den 25 Mitglieder der CCAMLR gehören Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland, Polen, Russland, China, Japan, Indien, Neuseeland, Australien, die Vereinigten Staaten, Brasilien, Argentinien, Chile und die Europäische Union. Die Mitglieder sind völkerrechtlich an die Beschlüsse der Kommission gebunden. Deren Wirkung strahlt auch auf Nicht-Mitglieder aus. „Die Beschlüsse eines solchen Kreises aber werden kleinere Länder wohl ebenfalls berücksichtigen“, meint Meeresökologe Packeiser.
Dieser Kreis hat eine lange Tradition. Die CCAMLR ging aus dem Übereinkommen über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis hervor. Dieses Übereinkommen wurde 1980 als Folgevertrag zum Antarktisvertrag verabschiedet. Und der Antarktisvertrag wurde auf der Antarktiskonferenz 1959 in Washington beraten und trat am 23. Juni 1961 und damit noch vor dem Bau der Berliner Mauer in Kraft. Er legt fest, dass die unbewohnte Antarktis zwischen 60 und 90 Grad südlicher Breite ausschließlich friedlicher Nutzung, besonders der wissenschaftlichen Forschung vorbehalten bleibt.
„Fast wie ein tropisches Korallenriff“
Im Antarktischen Ozean leben mehr als 10 000 Tierarten. Außerdem wirke der nachhaltige Schutz der Antarktis dem Klimawandel entgegen, sagen Experten. „Die Organismen sind einzigartig und der Lebensraum ist enorm vielfältig. Wenn Sie Filmaufnahmen vom Meeresboden sehen, sieht das fast wie ein tropisches Korallenriff aus“, sagte der Leiter der Stabsstelle Umweltpolitik am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, Stefan Hain. Er ist ebenfalls sehr überrascht vom Veto der Russen: „Dieses Übereinkommen hat ja 2009 schon ein marines Naturschutzgebiet angenommen.“
Sondersitzung mit 120 Vertretern aus 24 Staaten und der EU
Es war jetzt in Bremerhaven überhaupt erst das zweite Mal seit 1982, dass die Kommission zu einer Sondersitzung abseits der Jahrestreffen zusammenfand. An der Sondersitzung nahmen 120 Vertreter von 24 Staaten und der Europäischen Union teil. Das Treffen sollte die wissenschaftliche Vorarbeit der letzten zehn Jahre besiegeln. Das ist Geschichte. Jetzt starren alle auf das nächste reguläre Treffen der CCAMLR vom 23. Oktober bis zum 1. November 2013 in Hobart, Australien. Die Chancen darauf, in Hobart die Schutzzonen doch noch zu schaffen, stehen allerdings unter keinem guten Stern. Denn genau dort, vor dann genau einem Jahr, in Hobart, ist bei der letzten regulären CCAMLR-Sitzung vom 23. Oktober 2012 bis zum 01 November 2012, dieses Ziel schon einmal gescheitert. Am Veto Russlands, Chinas und der Ukraine.
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