Schwere Unwetter in Italien: Lehren aus der Ahrtal-Katastrophe?
Italien kämpft mit Hochwasser: Wie wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Flut 2021 helfen können, Katastrophen besser vorherzusagen und Schäden zu minimieren.

Starker Regen in Turin: Was kann getan werden, um Menschenleben zu schützen und Sachschäden zu verringern? Antworten darauf lieferte die Wissenschaft nach den verheerenden Fluten in Westdeutschland im Sommer 2021.
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Wie wird aus einer Flut eine Katastrophe? Diese Frage stellt sich aktuell mit neuer Dringlichkeit: Italien kämpft in diesen Tagen erneut mit schweren Unwettern, sintflutartigem Regen und Überschwemmungen – insbesondere in Norditalien drohen vielerorts Hochwasser, Erdrutsche und Schäden. Wie lassen sich solche Ereignisse besser vorhersagen? Und was kann getan werden, um Menschenleben zu schützen und Sachschäden zu verringern?
Antworten darauf lieferte bereits die Wissenschaft nach den verheerenden Fluten in Westdeutschland im Sommer 2021. Dort wurden die Zusammenhänge zwischen extremem Niederschlag, Bodenverhältnissen, Warnsystemen und menschlichem Verhalten intensiv untersucht. Erkenntnisse, die auch für die aktuellen Ereignisse in Italien wertvoll sein können.
Hochwasserkatastrophen an Flüssen
Den Ursachen und Auswirkungen von Hochwasserkatastrophen an Flüssen war damals eine internationale Forschungsgruppe um den Hydrologen Bruno Merz vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) nachgegangen. Wie wird also aus einer Flut, einem Hochwasser eine Katastrophe? Kurze Antwort: Es ist kompliziert. Fest steht, dass es einen gegenläufigen Trend von Sach- und Personenschäden gibt. Seit den 1990er-Jahren ist die Zahl der Todesopfer durch Flusshochwässer weltweit gesunken, die Schadenssummen sind stark angestiegen.
Asien ist weltweit am schlimmsten von Überflutungen betroffen: „Mehr als 90 % der von Hochwasserkatastrophen betroffenen Menschen leben in Asien“, sagt Merz, der den GFZ-Bereich Hydrologie leitet. „Dort gibt es riesige Flussauen großer Ströme und genau dort leben viele Menschen auf engem Raum zusammen.“ Im langjährigen Mittel würden jedes Jahr 125 Mio. Menschen von einer Hochwasserkatastrophe an einem Fluss getroffen. Am dramatischsten sind Ereignisse dort, wo Dämme oder Deiche brechen und bei Sturzfluten wie jüngst in Deutschland und Belgien.
Der Schritt vom Unwetter zum vernichtenden Hochwasser
Was die Ursachen betrifft, so gibt es ein Geflecht von Faktoren: sozioökonomische wie Armut, Bevölkerungswachstum, höhere Werte in hochwassergefährdeten Regionen und natürlich allen voran der Klimawandel. Für den Schritt vom reinen Extremwetterereignis zur Flutkatastrophe müssen weitere Bedingungen erfüllt sein: ein fehlendes Bewusstsein für Gefahren zum Beispiel, nicht vorhandene oder versagende Schutz- und Warnsysteme. „Es muss daher in erster Linie um die Verminderung der Verletzlichkeit von Kommunen gehen“, so Merz. Weltweit gesehen habe es hier Fortschritte gegeben.
Genau an diesem Punkt setzt die Arbeit von Günter Blöschl und seinem Team an der TU Wien an. Aus der Vergangenheit lernen funktioniert auch im Fall der Hochwasserforschung. Daher betrachteten Blöschl und sein Team kleinere Hochwasserereignisse aus der Vergangenheit und auch katastrophale Überschwemmungen an Flüssen. Beiden lägen verschiedene Mechanismen zugrunde: „Verheerende Hochwasser entstehen oft durch ein Zusammentreffen ungünstiger Faktoren, etwa nasse Böden und Starkregen oder lokale Gewitter und regionaler Niederschlag.“ Führten nun zwei Flüsse zur gleichen Zeit Hochwasser, stiege auch die Zerstörungsgewalt der Wassermassen.
Schutz vor der Flut durch Gefahrenbewusstsein
Gezielte Maßnahmen des Hochwasser-Risikomanagements können zumindest die Folgen abmildern, auch wenn sie die Schäden nur bedingt vermeiden können. „Eine wirksame Risikominderung erfordert ein Verständnis der ursächlichen Prozesse sowie das Schaffen eines Gefahrenbewusstseins“, erklärt Blöschl. Bauliche Vorkehrungen hätten wesentlich zum Hochwasserschutz beigetragen. Um das Überraschungspotenzial von Hochwasser weiter zu verringern und Risiken besser einschätzen zu können, sei ein Austausch zwischen den Disziplinen der Naturwissenschaften, des Ingenieurwesens und der Sozialwissenschaften erforderlich.

Auch Starkregen in Mailand: Es drohen in verschiedenen Teilen Italiens schwere Überschwemmungen.
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Lässt sich eine Flutkatastrophe nicht besser vorhersagen?
Wie genau hängen extreme Wetterereignisse mit der Klimaerwärmung zusammen? Für Forschende, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen Wetter und Klima sowie deren Modellierung befassen, ist das eine Schlüsselfrage. Damit beschäftigt sich die Forschungsinitiative Exclaim der ETH Zürich. Der Ansatz: die räumliche Auflösung der Modelle deutlich zu erhöhen, damit deren Präzision zu steigern und so irgendwann das Wetter nahtlos im Klimamodell abbilden zu können. „Aufgrund ihrer hohen Auflösung werden die neuen globalen Modelle wichtige Prozesse wie Stürme und Wettersysteme viel detaillierter abbilden, als das bisher der Fall war. Auf diese Weise können wir viel genauer untersuchen, wie sich Klimaveränderungen und Wetterereignisse gegenseitig beeinflussen“, sagt Nicolas Gruber, Leiter von Exclaim und Professor für Umweltphysik an der ETH.
Nach ETH-Angaben sei ein „Maßstabssprung“ angestrebt: Globale Klimamodelle rechneten mit einer Maschenweite der einzelnen Punkte von 50 km bis 100 km, mit Exclaim peilen die Forschenden eine Auflösung von nur 1 km an. Das kann man bereits heute, aber nur regional sehr begrenzt. Limitierend ist hier die Rechnerleistung der Hochleistungsrechner, und so lassen sich nur kleinere Areale rechnen. Daher braucht es für die neuen Modelle eine maßgeschneiderte Computerinfrastruktur. Folglich entwickelt die Exclaim-Arbeitsgruppe die Modelle Hand in Hand mit der Hardware und Software der Rechner. „Rechen- und Dateninfrastruktur wird ganz nach den Anforderungen der Wetter- und Klimamodelle eingerichtet“, sagt Thomas Schulthess, Direktor des Swiss National Supercomputing Centre in Lugano. Das neue Supercomputing-System namens Alps ist zum Beispiel so gebaut, dass die hochauflösenden Klimamodelle auch konvektive Systeme wie Gewitter gut abbilden können.
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