Wasser: Altbekanntes Problem gerät erst jetzt in den Fokus
Seen, die unter Hitzewellen leiden – diese Entwicklung des Klimawandels rückt durch eine neue Studie in den Fokus. Forscher warnen auch vor giftigen Blaualgen.
Eine Folge des Klimawandels, die die meisten Menschen sofort auf dem Schirm haben: Das Eis an den Polen schmilzt und der Meeresspiegel steigt gefährlich an. Ein Phänomen, was indes nur bedingt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird: Binnengewässer werden kleiner und veralgen zunehmend.
Klimawandel: Erkenntnisse für Seen sind besorgniserregend
Klares, kaltes Wasser, das an einem heißen Sommertag zum Baden einlädt? Riesige Seen in Naturschutzgebieten mit ausgedehnten Feuchtgebieten? Wenn alles schlecht läuft, sind derartige Landschaften bedroht. Ein internationales Team von Forschenden unter Beteiligung des Helmholtz-Instituts für Umweltforschung (UFZ) hat in Kooperation mit der Europäischen Weltraumorganisation Esa die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf Seen weltweit untersucht. Die Erkenntnisse aus ihrer Studie sind besorgniserregend: Das Oberflächenwasser in Seen erwärmt sich zunehmend, was zu regelrechten „Seen-Hitzewellen“ führt, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Beobachtung nennen.
„Die Forschung in Richtung Hitzewellen ist noch relativ neu. Früher lag der Forschungsschwerpunkt eher auf Dürren. Mir ist noch keine andere Studie hinsichtlich der Seen-Hitzewellen bekannt“, sagt Tom Shatwell, wissenschaftlicher Mitarbeiter am UFZ und Mitautor der Studie.
Binnengewässer werden in Deutschland immer kleiner
Dabei gab es schon vor einigen Jahrzehnten Untersuchungen dazu, sagt Manfred Stock vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Pik). „Aber die Forschung spielt sich bisweilen abseits der Gesellschaft ab. In den Fokus der Öffentlichkeit sind der Klimawandel und seine Folgen aber in der Tat erst in den letzten Jahren verstärkt geraten.“ Er weiß: Auch in Deutschland werden viele Binnengewässer seit Jahren immer kleiner. Der Redernswalder See nahe Berlin etwa ist zwischen 1976 und 2005 um 30 Zentimeter abgesunken – wegen des Klimawandels.
Seen im Klimawandel: Blaualge bereitet Sorgen
Und die Ausbreitung von Algen wird in immer mehr Seen zum Problem. Vor allem die eigentlich in subtropischen und tropischen Gebieten beheimatete Blaualge bereitet Sorgen: Sie gilt als giftig und kann Tieren wie Hunden aber auch badenden Menschen gefährlich werden.
„Mit der zunehmenden Erwärmung allein würde die Natur zurechtkommen, es gab ja in der Erdgeschichte durchaus schon warme Perioden“, sagt Stock.
Aber: „Mehrere Faktoren spielen eine Rolle bei der Algenbildung und Eutrophierung, zum Beispiel die Belastung durch Nährstoffe aus der Landwirtschaft. Mit der zunehmenden Erwärmung allein würde die unbeeinflusste Natur zurechtkommen, es gab ja in der Erdgeschichte durchaus schon warme Perioden. So aber ist sie ein verstärkender Faktor, der den Eutrophierungs-Prozess beschleunigt. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Problem mit giftigen Blaualgen in den nächsten Jahren deshalb auch noch deutlich zunimmt“, so der Klimaforscher.
5 verblüffende Einsatzmöglichkeiten für Algen
Satellitenbilder der Esa unterstützen Seenforscher
Das deckt sich mit den Tendenzen, die das Forscherteam um die UFZ-Wissenschaftler Tom Shatwell beobachten konnten. Um Veränderungen der Seen zu überwachen, haben die Forschenden akribisch Satellitenbilder der Esa ausgewertet. Pflanzen und bestimmte Wasserinhaltsstoffe reflektieren, absorbieren oder streuen Licht. Anhand dessen konnten sie feststellen, wie groß das Problem der Eutrophierung tatsächlich ist. Kleinere „Problemseen“ wurden zudem mit Drohnen erforscht, um die Blaualgenblüte ausfindig zu machen.
„Die Satellitenbilder haben bei der Untersuchung eine große Rolle gespielt. Wir haben 700 Seen analysiert. Das ist nur anhand von Satelliten möglich“, erklärt er. „Die Dichte der Satellitenbilder sind mittlerweile so gut, dass wir eine tägliche Auflösung geliefert bekommen. Eine Hitzewelle dauert oft ein paar Tage. Wenn so ein Satellit nur einmal im Monat drüber fliegt, bringt es nichts. Die kurze Wiederkehrzeit der Satelliten war hier entscheidend für die Analyse.“
Die Satellitendaten wurden im Nachgang verwendet, um ein Modell anzupassen. „So konnten wir auch in die Zukunft berechnen und Prognosen stellen“, fährt Shatwell fort.
Starlink: Die SpaceX Satelliten könnten zu einer Katastrophe führen
Klimawandel: Die drei Erwärmungsszenarien für Seen
So entwickelte das Forscherteam verschiedene Szenarien anhand sogenannter „Repräsentativer Konzentrationspfaden“ (RCPs). Diese definieren, ob der Ausstoß von Kohlendioxid, der maßgeblich zur Erderwärmung beiträgt, bis zum Jahr 2100 gestoppt werden kann. Für ein Szenario, bei dem bis zum Ende des Jahrhunderts der CO2-Ausstoß eingedämmt wird, steht der RCP 2.6. Steigt der Ausstoß verwenden die Klimaforscher das Kürzel (RCP 6.0). Setzt es sich ungebremst fort laufen die Untersuchungen unter (RCP 8.5). „Es handelt sich hierbei um drei verschiedene Erwärmungsszenarien, also eine Projektion, wie sich das Klima durch Treibhausgasemissionen entwickeln könnte“, erklärt Shatwell.
„Die 2,6 bezeichnet den Grad der Erwärmung in der oberen Atmosphäre – konkret 2,6 Watt pro Quadratmeter zusätzliche Erwärmung“, verdeutlicht der Forscher. Setzt es sich ungebremst fort, ist die Rede von RCP 8.5. „Hierbei handelt es sich um eine ungebremste Entwicklung, also ein Worst Case Szenario“, so der Wissenschaftler weiter.
In diesem Fall würde laut dem Weltklimarat IPCC bis Ende des Jahrhunderts die Erwärmung im weltweiten Durchschnitt mehr als vier Grad betragen, was der aktuellen Entwicklung entspricht. RCP 6.0 ist eine Entwicklung zwischen den beiden Extremen. „Wenn sich die Politik anstrengt, könnte dieses Szenario eintreten.“
Welche Auswirkungen kommen auf unsere Seen zu?
Für das RCP 8.5-Szenario zeigen die Modelle der Forscher, dass sich die durchschnittliche Intensität der Seen-Hitzewellen bis zum Jahr 2100 um 1,7 Grad von derzeit 3,7 Grad Celsius auf 5,4 Grad Celsius erhöhen wird. Doch auch die Dauer erhöht sich: Von derzeit einer Woche, steigt die Dauer der Hitzewellen auf mehr als drei Monate. Geht man dagegen von einem RCP 2.6-Szenario aus, klettert die durchschnittliche Intensität einer Hitzewelle lediglich um 0,3 Grad auf rund 4,0 Grad Celsius bei einer durchschnittlichen Dauer von einem Monat.
Tiefe der Seen ist entscheidend
In der Studie wurden Seen, die zwischen 2 und 60 Metern tief sind, betrachtet. Dieses Merkmal beeinflusst die Stärke der Hitzewelle in hohem Maße. In tieferen Seen halten sie länger an, sind aber weniger intensiv. Zum Beispiel dauern Hitzewellen in einem 30 Meter tiefen See ungefähr doppelt so lang und sind um circa 2 Grad Celsius weniger intensiv als in einem See, der nur 3 Meter tief ist.
„Außergewöhnliche Seen-Hitzewellen werden in Zukunft in vielen Fällen zur Normalität“, sagt der UFZ-Forscher und Mitautor der Studie Tom Shatwell.
Permanenter Hitzezustand geht mit Gefahr einher
Bis zu 40 % der untersuchten Seen könnten beim RCP 8.5-Szenario einen permanenten Hitzezustand erreichen, der sich über mehrere Jahreszeiten erstreckt. „Konkret heißt das zum Beispiel, dass sich die Durchmischungsverhältnisse in den Seen verändern können und damit die Verfügbarkeit von Sauerstoff im Wasser negativ beeinflussen. Auch die Gefahr der durch Cyanobakterien hervorgerufenen giftigen Blaualgenteppiche würde steigen. Und schließlich ist auch die biologische Vielfalt bedroht, weil manche in und an Seen lebenden Arten nicht sehr hitzetolerant sind“, sagt Tom Shatwell. Diese Entwicklung könne die Ökosysteme an die Grenzen ihrer Belastbarkeit treiben.
Mit welchen Konsequenzen müssen Menschen rechnen?
Die Erwärmung von Seen hat auch für uns Menschen Konsequenzen. Der Seenforscher Karsten Rinke berichtete Ende 2020 in der Zeitschrift „Science of the Total Environment“, dass auch in Trinkwassertalsperren wie der Rappbodetalsperre im Harz die Wassertemperaturen deutlich steigen können. Das würde das Management der Trinkwasserversorgung beeinträchtigen.
Tom Shatwell hat noch ein Beispiel aus der Studie: Der Wörthersee in Österreich sowie Vaettern-See in Schweden wurden getrennt ausgewertet. In diesen Seen stieg die durchschnittliche Dauer der Seen-Hitzewellen von circa weniger als einer Woche in den 1960er Jahren auf aktuell drei Wochen im Wörthersee – und auf mehr als vier Wochen im schwedischen Vaettern-See. In Zukunft werden sich sowohl Dauer als auch Intensität weiter erhöhen. Shatwell leitet ab, dass sich der Chiemsee in Bayern vermutlich ähnlich wie der Wörthersee verhalten würde.
Wie kommt es, dass die Effekte auf Binnengewässer erst jetzt derart in den Fokus der Öffentlichkeit geraten? Hat die Wissenschaft das Phänomen zu lange außer Acht gelassen?
Klimaforscher Manfred Stock hat dazu eine klare Meinung: „Nein, das kann ich nicht sagen. Es gab schon vor vielen Jahrzehnten Untersuchungen dazu. Aber die Forschung spielt sich bisweilen abseits der Gesellschaft ab. In den Fokus der Öffentlichkeit sind der Klimawandel und seine Folgen aber in der Tat erst in den letzten Jahren verstärkt geraten.“
„Das ist ein generelles Problem, das wir auch jetzt zum Beispiel bei der Pandemie sehen. Die Wissenschaft ist nicht gut genug in der Gesellschaft verankert“, fährt er fort.
“Politik handelt oft eher kurzfristig”
Die Gesellschaft und Politik habe häufig nur kurzfristige Entwicklungen im Blick. „Die Politik handelt oft eher kurzfristig. Langfristige Entwicklungen, wie etwa der Klimawandel, geraten erst wirklich ins Blickfeld, wenn sie unmittelbar störend wirken. Dann erst werden Wissenschaftler um Rat gefragt. Wissenschaft sollte früher Gehör finden, sonst wird uns noch vieles auf die Füße fallen.“
Das sei zum Teil aber auch ein hausgemachtes akademisches Problem, räumt Stock ein: „Wenn Wissenschaftler mit ihren Ergebnissen an die Öffentlichkeit treten, dann wird dies im Wissenschaftssystem noch zu wenig geschätzt. Man unterstellt dann manchmal sogar mangelnde Wissenschaftlichkeit. Es ist leider immer noch so, dass Wissenschaftler ihre Ergebnisse lieber in Elfenbeintürmen diskutieren, als sich mit der Öffentlichkeit auseinander zu setzen.“
Forschende würden sich bisweilen auch schwer tun, ihre Ergebnisse der der Öffentlichkeit zu präsentieren. „Wissenschaft ist komplex. Und solche komplexen Themen einfach zu vermitteln, lernen Wissenschaftler noch zu wenig“, so Stock.
„Forschung beschäftigt sich mit noch unsicheren Themen und Unsicherheit macht vielen Angst. Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist es, die Gründe für Unsicherheiten aufzuzeigen und aufzuklären. Das sollte die Gesellschaft vielleicht besser akzeptieren. Wissenschaft ist auch Diskurs und konstruktiver Streit, gerade auch Irrtümer gehören zum Erkenntnisgewinn dazu.“
Lesen Sie auch:
Wie Menschen sich die Welt im Jahr 2050 vorstellen
Expedition Arktis: Forschungsabenteuer mit eindringlichem Blick auf den Klimawandel
Die Umwelt siegt auf dem Bodensee
Dieser Text ist erstmalig im März 2021 erschienen. Anlässlich des Weltwassertags haben wir ihn aktualisiert
Ein Beitrag von: