Studie zu Kunststoffen 22.11.2024, 07:00 Uhr

So schlimm ist Plastik wirklich

Eine UFZ-Studie offenbart Wissenslücken bei den Auswirkungen von Plastik auf Klimawandel und Artenvielfalt, während die Umweltverschmutzung durch Kunststoffe gut dokumentiert ist. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler plädieren für umfassende Regularien, die bei den kommenden UN-Verhandlungen zu einem globalen Plastikabkommen beschlossen werden sollten, um den vielgestaltigen Folgen von Plastik gerecht zu werden.

Eine große Menge zerdrückter Plastikflaschen,

Welche Auswirkungen Plastik auf den Klimawandel ist, ist kaum erforscht,

Foto: PantherMedia / ibogdan

Plastik ist allgegenwärtig in unserer Umwelt und die damit einhergehenden Probleme sind weithin bekannt. Doch während die Verschmutzung durch Kunststoffabfälle bereits gut erforscht ist, weiß man über die Auswirkungen von Plastik auf den Klimawandel und die Artenvielfalt noch relativ wenig. Ein interdisziplinäres Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) hat in einer Übersichtsstudie untersucht, wie sich Plastik auf die drei planetaren Krisen – Klimawandel, Verlust der Biodiversität und Umweltverschmutzung – auswirkt. Die Forschenden fordern Regularien, die den vielfältigen Facetten des Plastikproblems Rechnung tragen. Eine Gelegenheit dafür bieten die anstehenden Verhandlungen zu einem globalen UN-Plastikabkommen, die ab dem 25. November 2024 in Busan (Südkorea) stattfinden werden.

Die Vereinten Nationen haben den Begriff der „Triple Planetary Crisis“ geprägt, um die miteinander verflochtenen globalen Herausforderungen des Klimawandels, des Verlusts der biologischen Vielfalt und der Umweltverschmutzung zu beschreiben. Damit wollen sie auf die wechselseitigen Abhängigkeiten und die gemeinsamen Folgen für Ökosysteme, Gesellschaften und Wirtschaftssysteme aufmerksam machen. Doch während der Beitrag von Plastik zur Umweltverschmutzung gut untersucht ist, gilt das bei den Themen Biodiversität und Klimawandel (noch) nicht. „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Zusammenspiel dieser Krisenfelder in Bezug auf Plastik weisen derzeit Lücken auf und sind ungleichmäßig verteilt“, konstatiert Christian Schmidt, Hydrogeologe am UFZ und Autor der Studie.

Ungleiche Verteilung in der Plastikforschung

Für ihren Artikel haben UFZ-Forschende, die in Bereichen wie Hydrologie, Toxikologie, Mikrobiologie, Umweltchemie und Sozialwissenschaften tätig sind und zum Mikroplastik-Kompetenzcluster des UFZ gehören, mehr als 19.000 wissenschaftliche Studien analysiert. Die Ergebnisse sind eindeutig: Während sich 17.463 Studien mit den negativen Auswirkungen von Plastik und den damit verbundenen Chemikalien auf die Umweltverschmutzung befassen, untersuchen lediglich 1.279 den Einfluss auf den Klimawandel und nur 652 den auf die Biodiversität. „Das verfügbare Wissen ist äußerst ungleich verteilt“, resümiert Annika Jahnke, Umweltchemikerin am UFZ und Mitautorin der Studie.

Am umfangreichsten ist der Wissensstand bei der Umweltverschmutzung bezüglich des Lebenszyklus‘ von Plastik. Seit den 1950er-Jahren wurden weltweit rund 9,2 Milliarden Tonnen Kunststoffe produziert. Davon sind noch 2,9 Millarden Tonnen im Umlauf, wobei 2,7 Milliarden Tonnen auf Primärplastik und etwa 200 Millionen Tonnen auf recyceltes Material entfallen. 5,3 Milliarden Tonnen landeten auf Deponien, eine Milliarde Tonnen wurden verbrannt. Es ist auch bekannt, dass zwischen 1,75 und 2,5 Milliarden Tonnen als „mismanaged“ gelten, also unkontrolliert in die Umwelt gelangen können. Gut erforscht sind zudem die Gefahren, die von plastikassoziierten Chemikalien für Mensch und Umwelt ausgehen, sowie die Auswirkungen von Kunststoffen auf Meere, Böden und Süßwasserökosysteme. Doch selbst dabei gibt es bei genauerer Betrachtung noch Wissenslücken und Forschungsbedarf.

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Lücken bei Plastik-Einfluss auf Klima und Artenvielfalt

Deutlich weniger hat sich die Forschung bislang mit den Folgen von Plastik für den Klimawandel befasst. So ist beispielsweise unklar, wie viele Treibhausgasemissionen bei der Kunststoffproduktion freigesetzt werden, inwiefern Plastik die biogeochemischen Kreisläufe in den Ozeanen beeinflusst oder wie sich Plastikpartikel auf die Albedo – das Rückstrahlvermögen der Erdoberfläche – auswirken. Ähnlich dünn ist die Datenlage zu den Konsequenzen der Plastikverschmutzung für die Artenvielfalt. Zwar gibt es einige Untersuchungen zur Toxizität von Kunststoffen, zu Veränderungen von Lebensräumen und Ökosystemen sowie zur Verbreitung invasiver Arten durch Plastik. Doch insgesamt mangelt es an einem umfassenden Verständnis der Zusammenhänge. „Es geht uns darum, Plastik nicht nur als Müllproblem zu betrachten. Kunststoffe verursachen nicht nur Entsorgungs- und Abfallmanagementprobleme, sondern der gesamte Lebenszyklus, beginnend bei der Rohstoffgewinnung, muss berücksichtigt werden“, sagt Christian Schmidt.

Über verschiedene Mechanismen trägt Plastik zur Verschärfung des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt bei. Daher sollten die Umweltverschmutzung, der Klimawandel und der Biodiversitätsverlust in Bezug auf Plastik ganzheitlich betrachtet werden. „Wir brauchen eine breitere Perspektive“, fordert Schmidt. Für den notwendigen Perspektivwechsel hin zu übergreifenden globalen Lösungen ist es aus Sicht der UFZ-Forschenden entscheidend, verstärkt auf internationale Regularien zu setzen. „Man weiß inzwischen, dass rund 16.000 Chemikalien in Plastik vorkommen. Bei mehr als 4.200 davon ist bekannt, dass sie in der Umwelt langlebig sind, sich in Organismen anreichern, über weite Strecken transportiert werden oder ein Gefährdungspotenzial besitzen“, erklärt Annika Jahnke. Dennoch sind die wenigsten dieser Stoffe derzeit reguliert, obwohl viele von ihnen durch weniger problematische Alternativen ersetzt werden könnten.

UN-Plastikabkommen als Chance

Empfehlungen wie diese wollen Annika Jahnke und die UFZ-Ökotoxikologin Dana Kühnel als Teil des Netzwerks „Scientists‘ Coalition for an Effective Plastics Treaty“ in die Verhandlungen zum globalen UN-Plastikabkommen in Südkorea einbringen. Dort strebt die Staatengemeinschaft in der finalen Sitzung ein weltweites Vertragswerk an, das unter anderem die Neuproduktion von Plastik reduzieren und gefährliche Plastikchemikalien eindämmen soll. „Es ist wichtig, dass künftige Vertragswerke mit der Klima- und Artenschutzgesetzgebung Hand in Hand gehen, da Plastik in alle Richtungen wirkt. Dafür müssen Kunststoffe und assoziierte Chemikalien reguliert werden“, sagt Dana Kühnel. Das geplante UN-Plastikabkommen bietet die Chance, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen und die vielfältigen Auswirkungen von Plastik auf Umwelt, Klima und Biodiversität gemeinsam anzugehen.

Ein Beitrag von:

  • Julia Klinkusch

    Julia Klinkusch ist seit 2008 selbstständige Journalistin und hat sich auf Wissenschafts- und Gesundheitsthemen spezialisiert. Seit 2010 gehört sie zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Klima, KI, Technik, Umwelt, Medizin/Medizintechnik.

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