„Technik ist nicht die Lösung, Technik ist das Problem“
VDI nachrichten, Ulm, 15. 6. 07, sta – Je weiter der technologische Fortschritt geht, desto mehr Menschen können auf der Erde (über-)leben. Dadurch steigt der Verbrauch natürlicher Ressourcen. Es droht der ökologische Kollaps. Doch noch gibt es Alternativen. Der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Radermacher fordert eine ökosoziale Marktwirtschaft und den „Global Marshall Plan“. Sowohl reiche als auch arme Länder müssten dafür aber Opfer bringen.
Die drohende Klimakatastrophe kann schnell auch zum ökonomischen Desaster werden. Deshalb muss die Politik schnell umdenken. Doch leider scheint sich eine philosophische Weisheit zu bestätigen: Menschen verfügen zwar über viele Gaben, nicht aber über die Gabe, vernünftig mit ihren Gaben umzugehen.
Schaut man aus historischer Perspektive auf die heutige Lage, dann ist sie nicht zuletzt eine Folge des Siegeszuges der Menschheit. Dass Naturwissenschaftlern und Ingenieuren schier Unglaubliches gelungen ist, steht außer Frage. Bis heute gibt es deshalb viele Menschen, die davon überzeugt sind, dass die Gestaltung der Zukunft ein reines „Engineering-Problem“ ist. Mit neuen Technologien würden sich die Probleme schon lösen lassen.
Dagegen spricht allerdings der sogenannte Bumerang-Effekt, der von Jacques Neirynck in seinem Buch „Der Göttliche Ingenieur“ ausführlich untersucht wurde. Er zeigt auf, dass die Menschen mit ihrem technischen Fortschritt zwar immer wieder pro Leistungseinheit öko-effizienter geworden sind, also aus immer weniger Natur immer mehr Wertschöpfung kreieren, dass sie aber die Wertschöpfung immer noch schneller steigern, als sie pro Einheit sauberer wird. Wir machen also trotz immer besserer Technik immer mehr Dreck – im Besonderen dadurch, dass immer mehr Technik bedeutet, dass immer mehr Menschen auf einem immer höheren Lebensstandard leben können und leben.
Was der Erfolg ist, ist zugleich das Problem, womit deutlich wird, dass die Lösung der Umwelt- und Ressourcenfragen eben im Letzten nicht primär ein technisches Problem ist, so sehr Technik Spielräume eröffnet, Probleme lösen zu können. Dieser Bumerang-Effekt ist also die eigentliche Herausforderung.
Der Bumerang-Effekt hat die Welt in immer kürzeren Zeiträumen in immer neue Größenordnungen bezüglich der Zahl der Menschen und des Konsums geführt. Alleine in den Jahren von 1965 bis 2000 hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt. Folge ist, dass das bisherige Muster der Lösung aller Probleme in Form neuer technischer Lösungen und weiteren Wachstums nicht mehr funktioniert. Wir haben eine Grenze erreicht, weil die notwendige Innovationsgeschwindigkeit mittlerweile nicht mehr darstellbar ist, weder beim Menschen, also bzgl. dessen, was sein Gehirn bzw. Körper aushält bzw. an Wandlungsfähigkeit besitzt, noch auf gesellschaftlicher Ebene. Weil nämlich heute schon mehrere Innovationsschübe in der Lebenszeit eines einzelnen Menschen stattfinden müssten. Dann aber auch schlicht und ergreifend wegen der nötigen Zeiten, um solche Innovationen zu planen und durchzusetzen.
Vor diesem Hintergrund brauchen wir zukünftig neben technischen Lösungen dringend auch Innovation im Bereich der Global Governance. Genauer gesagt geht es darum, die mittlerweile globalisierte Ökonomie mit einem adäquaten globalen Ordnungsrahmen der Märkte auszustatten, der in Richtung auf Weltfrieden, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit wirkt und eine offene Gesellschaft zu verwirklichen gestattet. Das ist heute nicht der Fall, ganz im Gegenteil.
Die langfristige Perspektive ist eine weltweite ökosoziale Marktwirtschaft, die Märkte und Wettbewerb mit hohen sozialen, kulturellen und ökologischen Standards zum Wohle der ganzen Menschheit koppelt. Der Schlüssel für einen Konsens für solche Standards, zugleich auch der Schlüssel zur Überwindung der weltweiten Armut, sind Co-Finanzierungsmaßnahmen der reichen Länder zugunsten der sich entwickelnden Länder unter geeigneten Ordnungsbedingungen. Auf Seiten der sich entwickelnden Länder erfordert dies im Gegenzug die Bereitschaft, entsprechende Standards zu übernehmen, obwohl dadurch heutige Wettbewerbsvorteile dieser Länder aufgegeben werden. Bessere Standards implizieren dabei insbesondere auch bessere Governance-Strukturen in diesen Ländern, also eine bessere Regierungsführung vor Ort. Der verfolgte Ansatz entspricht der Logik der sehr erfolgreichen EU-Erweiterungsprozesse, aber auch des Marshall Plans der USA für Europa nach dem 2. Weltkrieg.
Der Weg in eine globale ökosoziale Marktwirtschaft ist eine Option. Hier würden insbesondere veränderte Preissignale, die die ökologische Wahrheit widerspiegeln, die Wirtschaft und die Innovationen in eine vernünftige Richtung lenken. Allein die Veränderungen im Bereich Transport würden zu einer Re-Regionalisierung der Produktion von Gütern niedriger Wertschöpfung führen.
Aber zu all dem muss man zuerst einmal bereit sein, insbesondere zur Co-Finanzierung. Darum sehe ich nur eine 35-%-Chance für diesen Weg. Die Alternativen sind allerdings wenig verlockend. Alternative 1 ist der ökologische Kollaps. Alternative 2 ist eine Brasilianisierung, also eine dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen der meisten Menschen in der heute reichen Welt. Sie würde dazu beitragen, dass vor Ort erhebliche Ressourcen eingespart werden. Außerdem würden Ressourcen dadurch eingespart, dass in einer globalen Konvergenz der Rest des Globus nicht auf ein Niveau gebracht werden muss, wie wir es heute in den OECD-Staaten haben.
Diese Perspektive kann in Bürgerkrieg und Terror münden. Da man das nicht will, muss man umso mehr das ökosoziale Modell wollen, also die richtige Kombination von Innovation auf Seiten der Governance und Innovation auf Seiten der Technik. Hierfür ist der Global Marshall Plan (www.globalmarshallplan.org) heute ein Ansatz.
Konzeptionell umfasst der Global Marshall Plan fünf Elemente:
1. Rasche Verwirklichung der weltweit vereinbarten Millenniumsentwicklungsziele der UN (siehe Kasten).
2. Aufbringung der dafür zusätzlich benötigten 100 Mrd. $ pro Jahr im Zeitraum 2008-2015.
3. Faire Mechanismen zur Aufbringung dieser Mittel vor allem über Abgaben auf globale Transaktionen und den Verbrauch von Weltgemeingütern.
4. Etablierung eines besseren Ordnungsrahmens der Weltwirtschaft. Dazu gehören Reformen und eine Verknüpfung bestehender Regelwerke und Institutionen für Wirtschaft, Umwelt, Soziales und Kultur (z. B. in den Regelungsbereichen UN, WTO, IWF, Weltbank, Unesco und ILO (International Labour Organization, www.ilo.org)).
5. Faire partnerschaftliche Zusammenarbeit auf allen Ebenen.
Ich sehe den Global Marshall Plan als Zwischenschritt hin zu einer weltweiten ökosozialen Marktwirtschaft. Die Millenniumsziele der Vereinten Nationen stellen das aktuell verfolgte Umsetzungsziel des Plans dar.
In Bezug auf die Arbeits- und Sozialnormen sollten die Kernstandards der ILO verbindlich gemacht werden. Schwerpunkte sind die soziale und faire Gestaltung der Globalisierung sowie die Schaffung von menschenwürdiger Arbeit als einer zentralen Voraussetzung für die Armutsbekämpfung.
Verbindlich gemacht werden sollten auch die globalen Umweltabkommen im Rahmen der WTO. Dagegen wehren sich im Moment die Entwicklungsländer, weil sie Wettbewerbsnachteile befürchten. Co-Finanzierungsmaßnahmen könnten dies ändern. Sie sind deshalb erforderlich und zielführend.
Das Ziel der GMP-Initiative ist zusammenfassend nicht Stillstand oder Rückbau. Ziel ist ein an Nachhaltigkeitsprinzipien orientiertes Wachstum. Aus meiner Sicht ist ein Global Marshall Plan ein Programm für die Menschen und die mittelständischen Unternehmen und auch für mehr regionale Wertschöpfung, in den entwickelten wie den sich erst entwickelnden Ländern. F. J. RADERMACHER
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