Tiefseebergbau: Wie wichtig sind Metalle aus dem Ozean für die Energiewende?
Für einige ist Tiefseebergbau unverzichtbar für die Energiewende, andere sehen den Abbau von Metallen vom Grund des Ozeans als gefährlich für die Umwelt und zudem unnötig an. Wir haben uns mit dem Thema etwas näher befasst.
Bis zum 9. Juli hatten die Staaten der Welt die Möglichkeit, Regeln zum kommerziellen Abbau von Rohstoffen auf dem Meeresboden zu formulieren. Das wurde verpasst. Nun können erstmals Anträge bei der Internationalen Meeresbehörde (ISA) gestellt werden, um auch außerhalb der 200-Seemeilen-Zone das wertvolle Gut am Meeresboden einsammeln zu dürfen. Sofern es eine Genehmigung dafür gibt, könnte es bald schon losgehen mit dem Tiefseebergbau und es scharen bereits einige Unternehmen mit den Hufen. Doch sind die Metalle aus dem Ozean so wichtig für die Energiewende, dass wir unkalkulierbare Risiken für die Umwelt dafür in Kauf nehmen können? Wir schauen uns das einmal etwas genauer an.
Was bedeutet Tiefseebergbau?
Beim Tiefseebergbau oder Meeresbodenbergbau geht es um die Exploration, Erschließung und Förderung mineralischer Rohstoffe auf und unter dem Meeresboden. Diese Rohstoffvorkommen konzentrieren sich hauptsächlich in Tiefen von 2.000 bis 6.000 Metern, an den Hängen von Unterwasserbergen, auf mittelozeanischen Rücken sowie am Boden des Roten Meeres.
Die wichtigsten Rohstofftypen, die im Tiefseebergbau von Interesse sind, umfassen Manganknollen (auch als polymetallische Knollen bekannt), kobaltreiche Eisen- und Mangankrusten, Massivsulfide und Erzschlämme. Manganknollen sind aufgrund ihrer vergleichsweise hohen Gehalte an Kupfer, Nickel und Kobalt wirtschaftlich interessant. Bei den Massivsulfiden spielen neben den Buntmetallen wie Kupfer, Zink und Blei insbesondere die Edelmetalle Gold und Silber sowie Spurenmetalle wie Indium, Tellur, Germanium, Wismut, Kobalt und Selen eine Rolle.
Wie Sie sehen, sind bei den aufgezählten Metallen einige dabei, von denen behauptet wird, dass sie für die Energiewende unabdingbar seien – zum Beispiel für die Herstellung von Batterien von E-Autos. Doch können die Erze aus der Tiefsee dabei helfen, die Rohstoffknappheit zu beheben? Dazu kommen wir gleich. Zunächst wollen wir uns mit den verschiedenen Techniken und den daraus folgenden Risiken des Tiefseebergbaus für die Umwelt beschäftigen.
Welche Techniken kommen zum Einsatz?
Im Bereich des Tiefseebergbaus werden verschiedene Technologien eingesetzt, die bereits in den 1970er und 1980er Jahren entwickelt wurden. Zum Beispiel gibt es Walzensysteme, die über den Meeresboden fahren und dabei die Knollen aufsammeln, um sie dann auf ein Förderband zu bringen. Eine andere Technologie besteht darin, Wasser mit großen Pumpen anzusaugen und es dann mit hohem Druck über die Manganknollen zu leiten. Dadurch entsteht ein Unterdruck, der die Knollen wie einen Staubsauger einsaugt, zusammen mit dem gesamten Meeresboden, in dem auch Organismen leben.
Das bedeutet, dass alle Organismen, einschließlich Bakterien und höherer Lebewesen, die im Sediment und auf den Knollen leben, komplett eingesaugt werden. Anschließend werden diese Knollen gegen ein Metallgitter geschleudert. Das Sediment passiert größtenteils das Gitter, während die Knollen mithilfe eines Förderbandsystems zur Oberfläche transportiert werden, wo sich eine Plattform befindet.
Der Abbau erfolgt in einer Tiefe von etwa vier bis fünf Kilometern. Die entstehende Sedimentwolke wird dann aus dem Sammelsystem herausgeleitet und von den Bodenströmungen verdriftet, um sich schließlich wieder auf dem Meeresboden abzulagern. Das bedeutet, dass sowohl im abgebauten Gebiet als auch außerhalb davon eine geschädigte Fläche entsteht. Die durch den Tiefseebergbau verursachte Beeinträchtigung wird daher größer sein als die eigentliche Abbauregion.
Welche Auswirkungen hat Tiefseebergbau auf die Ökosysteme am Meeresboden?
Die genauen Auswirkungen des Tiefseebergbaus auf die Ökosysteme des Meeresbodens und der Wassersäule sind größtenteils noch unbekannt. Dennoch lässt sich aus den bisherigen Erkenntnissen deutlich ableiten, dass diese Auswirkungen als erheblich betrachtet werden sollten. Um wirtschaftlich rentabel zu sein, erfordert der Bergbau in Tiefen von mehreren tausend Metern zudem die „Rodung“ riesiger Flächen. Studien schätzen, dass pro Jahr und Abbauoperation zwei bis drei Millionen Tonnen Knollen abgebaut werden müssen, was einer Fläche von etwa 200 bis 300 Quadratkilometern entspricht.
Um diese Auswirkungen genauer zu untersuchen und fundierte Aussagen über die tatsächlichen Konsequenzen des Tiefseebergbaus für ozeanische Lebensräume zu treffen, unterstützt das Bundesforschungsministerium (BMBF) eine internationale Pilotmaßnahme. Gemeinsam mit Wissenschaftlerteams aus 12 europäischen Ländern führt das Forschungsschiff „Sonne“ umfangreiche Studien zu den möglichen Umweltauswirkungen des Tiefseebergbaus durch.
Erste Erkenntnisse sind bereits verfügbar: Eine Studie der britischen Universität Exeter in Zusammenarbeit mit Greenpeace deutet auf mögliche Gefahren für Wale durch Unterwasserlärm beim Tiefseebergbau hin. Forscher vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven berichteten im Mai in der Zeitschrift „Scientific Reports“, dass natürlich vorkommende Uranisotope in Manganknollen radioaktive Strahlung abgeben könnten, die ernsthafte Gesundheitsrisiken bergen könnten.
Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, sagte zur Deutschen Presseagentur: „Über die Auswirkungen des Tiefseebergbaus auf das Ökosystem Meeresboden ist noch viel zu wenig bekannt, zum Beispiel mit Blick auf die sehr relevanten CO2-Speicher“. Hinzu kommt: Etwa 90 Prozent der Tausenden Tierarten in der Tiefsee sind Experten zufolge wahrscheinlich noch unentdeckt.
Wie sieht das Ökosystem am Tiefseegrund aus?
Vor 100 bis 200 Jahre dachte man noch, dass in einigen tausend Metern Tiefe kein oder kaum Leben vorhanden ist. Heute wissen wir, dass es ganz anders ist, wobei vieles noch im Verborgenen liegt. In der Tiefsee leben Tausende bis Abertausende verschiedener Lebewesen – vom kleinen Organismus bis zu größeren. Auch auf der Manganknolle selbst blüht das Leben. Auf ihnen haben sich zum Beispiel Korallen, Schwämme oder Anemonen festgesetzt.
Diese Lebewesen würde alle sterben, sobald mit dem Abbau der Manganknollen begonnen wird. Zumal auch im mitabgebauten Sediment unzählige verschiedene Arten leben, die ebenfalls mitabgebaut werden. Und auch wenn das Sediment noch abgespült wird, ehe die Knollen an Land gebracht werden, ist das Leben erst einmal zerstört. Es würde nach Meinung von Experten Millionen von Jahren dauern, ehe sich ein Manganabbaugebiet von den Folgen der Rodung soweit erholt hat, dass es sich wieder im gleichen Zustand wie zuvor befindet.
Brauchen wir die Rohstoffe aus der Tiefsee für die Energiewende?
Nachdem wir nun wissen, wie gefährlich der Abbau von Manganknollen in der Tiefsee für das Ökosystem der Ozeane sein kann, stellt sich umso mehr die Frage, ob das unbedingt sein muss. Benötigen wir so dringend Metalle aus Tiefseebergbau für die Energiewende? Andreas Manhart vom Öko-Institut hat zu diesem Thema geforscht und einige überraschende Erkenntnisse gewonnen, die wir hier an dieser Stelle wiedergeben möchten. In einem Pressegespräch hat der Experte bereits im März 2023 gemeinsam mit Dr. Sabine Gollner vom Royal Netherlands Institute for Sea Research und Dr. Matthias Haeckel vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel ausführlich über den Tiefseebergbau als Rohstoffquelle für die Energiewende gesprochen.
Laut Andreas Manhart sind in den Manganknollen weder Lithium oder Grafit enthalten, die beide als kritische Rohstoffe bei der Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien angesehen bleiben. Andere Rohstoffe wie Nickel oder Kobalt, die in den Knollen enthalten sind, seien bereits heute durch andere Rohstoffe ersetzbar. Aus aktueller Sicht ist ein Tiefseebergbau nach Meinung des Experten nicht zwingend notwendig.
Doch wie sieht es in Zukunft aus? Auch hierüber äußerte sich Andreas Manhart. So findet er es zum Beispiel schwierig, bereits heute vorzusagen, wie die Rohstoffnachfrage im Jahr 2030 oder 2050 aussehen wird. Niemand könne sagen, welche Technologien wir in 20 oder 30 Jahren nutzen werden. Daher ist es auch noch gar nicht klar, welche Rohstoffe wir in Zukunft benötigen werden, insbesondere vor dem Hintergrund alternativer Batteriekonzepte.
Umweltverbände sehen keine Notwendigkeit für Tiefseebergbau
Gemäß Berichten des Öko-Instituts im Auftrag von Greenpeace und der Umweltstiftung WWF ist der Tiefseebergbau für die Energie- und Verkehrswende nicht unbedingt erforderlich. Einige Unternehmen wie BMW, Volkswagen, Google und Philips haben sich einem Aufruf des WWF angeschlossen und sich verpflichtet, keine Rohstoffe aus der Tiefsee zu nutzen und den Tiefseebergbau nicht zu finanzieren. Neben Deutschland haben auch Länder wie Frankreich, die Schweiz, Neuseeland und Chile ihre Unterstützung für ein Moratorium, eine vorsorgliche Pause oder ein Verbot des Tiefseebergbaus zum Ausdruck gebracht.
Viele andere Länder haben noch keine klare Position zu diesem Thema bezogen. Die USA sind kein Mitgliedsstaat der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA). China hat jedoch signalisiert, dass es auf den Tiefseebergbau setzen möchte. Vor einigen Wochen schlug die norwegische Regierung vor, eine Fläche in ihren eigenen Gewässern zu nutzen, die fast so groß ist wie Italien, um Rohstoffe für die Energiewende zu gewinnen.
Greenpeace-Meeresexperte Till Seidensticker findet diesen Plan besorgniserregend und sagte noch vor Ende der Frist am 9. Juli: „Kurz vor dem Ablauf der Zweijahresregel steht das Tor für den Beginn des Tiefseebergbaus gefährlich offen“. Weiterhin betont er gegenüber der Deutschen Presseagentur: „Es ist jetzt an der internationalen Gemeinschaft, ein klares Nein zum Beginn des Tiefseebergbaus zu vereinbaren.“
Ein Beitrag von: