Training und Technik verhinderten noch höhere Opferzahlen
Der durch ein Seebeben ausgelöste Tsunami verwüstete weite Küstenstriche im Nordosten der japanischen Hauptinsel Honshu. Ohne die ausgeprägte Kultur der Katastrophenvorsorge hätte es aber noch weit mehr Opfer gegeben.
Es war ein unheimliches Zusammentreffen. Frederik Tilmann, Leiter der Abteilung Seismologie am Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam, hatte im Institut für Atmosphären- und Ozeanforschung an der Universität Tokio gerade einen Vortrag über das Seebeben vor Sumatra am zweiten Weihnachtstag 2004 und den folgenden verheerenden Tsunami gehört – es war Viertel vor drei Uhr nachmittags – als er spürte, wie sich der Fußboden im 1. Stock des Gebäudes zu heben und senken begann.
Diese Bewegungen, ausgelöst von den zuerst eintreffenden sogenannten P-Wellen, waren anfangs recht verhalten, sodass ihm und seinen Kollegen zunächst nicht klar war, ob es sich nur um ein „normales“ Beben handelte, wie sie in Japan häufig vorkommen, oder ob sich ein ernsteres Ereignis ankündigte. Als das Auf und Ab aber stärker wurde und über 10 s bis 15 s anhielt, wurde den Geowissenschaftlern bewusst, dass sie gerade ein schweres Erdbeben erlebten und sie rannten ins Freie.
Währenddessen begann das Gebäude, angestoßen von den nun eintreffenden S-Wellen, die in horizontaler Richtung wirken, heftig hin und her zu schwanken. Die Gebäudestruktur ächzte und gab „ein metallisches Rasseln“ von sich, aber sie hielt stand und blieb ohne offensichtliche Schäden. Der Erdboden im Freien vollführte rollende Bewegungen. „Man fühlte sich wie auf einem Boot im mittleren Seegang“, schildert Tilmann seine Empfindungen in einem drei Tage später erstellten Bericht. Im Minutentakt waren starke Erschütterungen von Nachbeben zu spüren. Als diese nachließen und sich eine gewisse Erleichterung einstellte, erschienen auf den Mobiltelefonen der japanischen Kollegen aber schon die Tsunamiwarnungen: Es hatte ein Seebeben stattgefunden.
Japan verfügt über ein ausgefeiltes Warnsystem für Erdbeben und Tsunamis. Dazu ist das Land von einem dichten Netz von Seismometern überzogen, die jede Erschütterung registrieren. Durch Auswertung dieser Signale lassen sich in Minutenschnelle der Erdbebenherd und die Stärke eines Bebens berechnen. In diesem Fall lag das Epizentrum etwa 400 km nordöstlich von Tokio rund 130 km vor der Küste in einer Tiefe von 15 km. Nach vorläufigen Auswertungen hatte es die Magnitude 9,0 auf der Richterskala. Damit war es das fünftstärkste jemals registrierte Beben weltweit und für Japan das wohl stärkste Beben in historischer Zeit.
Als Seebeben löste es einen gewaltigen Tsunami aus. Nach nur 3 min wurde denn auch von der Japanese Meteorological Agency eine Tsunamiwarnung der höchsten Alarmstufe an die betroffenen Regionen ausgesandt. Diese Meldungen laufen über eingespielte Kanäle an Radio- und Fernsehsender, an öffentliche Stellen wie die Polizei und auf private Handys. „Nach vier bis fünf Minuten war die Nachricht in der Bevölkerung gestreut“, so Jörn Lauterjung, der als Koordinator des Deutsch-Indonesischen-Tsunami-Frühwarnsystems am GFZ Kontakte zu Kollegen in Japan unterhält.
Nach Signalen von Messbojen erreichte die Tsunamiwelle die Küstenstreifen, die dem Erdbebenherd am nächsten lagen, schon nach 15 min. Dort blieb den Menschen also gerade eine Zeitspanne von 10 min, um sich zu retten. Vielen gelang es, weil sie genau wussten, welchen Fluchtweg sie einzuschlagen hatten. Laut Lauterjung wird das immer wieder in Form eines geradezu militärischen Trainings geübt.
Dort wo kein höheres Gelände erreichbar ist, sind Gebäude als „Rettungsinseln“ errichtet, die auf Stelzen stehen, so dass der Wasserschwall des Tsunamis unter ihnen hindurchfluten kann. Laut Tilman und Lauterjung hätte es ohne die Vorbereitung auf den Ernstfall noch deutlich mehr als die etwa zehntausend Toten gegeben, die jetzt zu beklagen sind.
In jedem anderen Land der Erde mit einer vergleichbaren Bevölkerungsdichte wäre die Zahl der Opfer allerdings um ein Vielfaches höher gewesen. Denn das Üben für eine mögliche Katastrophe erklärt auch, dass es so viele makabre Aufnahmen von den alles zermalmenden Wassermassen gibt. Nachdem sich die Menschen in Sicherheit wussten, drehten sie sich um und fotografierten das Geschehen.
Die Küstenstädte sind zum Schutz gegen Tsunamis mit Deichen und Sperrwerken gesichert, so auch der Kraftwerkskomplex Fukushima, wie auf Luftbildern zu erkennen ist. Doch auf Wellen von mehr als 10 m, wie sie jetzt auftraten, waren sie nicht ausgelegt. Die Reaktoren wurden unmittelbar nach dem Beben um 14.46 Uhr Ortszeit automatisch abgeschaltet. Als die externe Stromversorgung ausfiel, weil weitere Atomkraftwerke im Nordosten stillgelegt worden waren, sprangen planmäßig die Dieselgeneratoren zum Antrieb der Pumpen für den Kühlkreislauf an und alles war noch unter Kontrolle.
Doch als knapp eine Stunde später die Tsunamiwelle anbrandete, war sie so mächtig, dass sie die keilförmig vorspringende Mole überflutete, der Wasserschwall bis in die Turbinenhallen vordrang und die Notstromdiesel außer Betrieb setzte. Damit nahm das Unheil seinen Lauf. HANS DIETER SAUER/KIP
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