3900 verschiedene Mikroorganismen 22.08.2014, 13:50 Uhr

US-Forscher finden Leben unter dem 800 Meter dicken Eispanzer der Antarktis

Unter dem gigantischen Eispanzer der Antarktis, tief in der Dunkelheit, wimmelt es von Leben. Diese jahrzehntelange Vermutung konnten jetzt US-Forscher bestätigen, die sich mit einem Heißwasserbohrer durch die 800 Meter dicke Eisschicht gebohrt haben. Sie fanden mehr als 3900 Arten von Mikroorganismen.

Mit einer Boeing C-17 erreichen die Forscher die US-amerikanische McMurdo-Station, die mit 85 Gebäuden größte Forschungs- und Logistikstation in der Antarktis.

Mit einer Boeing C-17 erreichen die Forscher die US-amerikanische McMurdo-Station, die mit 85 Gebäuden größte Forschungs- und Logistikstation in der Antarktis.

Foto: Wissard

Der Whillans-See hat eine recht ungewöhnliche Lage: Er liegt unter einem 800 Meter mächtigen Eispanzer in der Westantarktis und ist mit 2,20 Meter auch nicht sonderlich tief. Es ist kalt dort unten, das Wasser hat eine Temperatur von minus 0,5 Grad Celsius, liegt also immer knapp unter dem Gefrierpunkt. Forscher um Brent Christner von der Louisiana State University in Baton Rouge haben jetzt in Wasserproben Tausende verschiedene Mikroben entdeckt. Das ist der erste eindeutige Beleg dafür, dass in der lichtlosen, kalten Unterwelt der Antarktis Leben existiert.

Mehr als 3900 verschiedene Arten von Mikroorganismen tummeln sich in dieser fiesen Umgebung. Und es sind jeweils viele ihrer Art: Die Forscher zählten pro Milliliter Seewasser mehr als 100.000 Zellen unterschiedlicher Form und Größe. „Das ist der erste definitive Beweis, dass es dort nicht nur Leben, sondern aktive Ökosysteme unter der antarktischen Eisdecke gibt – etwas, dass wir seit Jahrzehnten vermutet haben. Mit dieser Arbeit hauen wir auf den Tisch und sagen ‚Ja, wir hatten Recht‘“, sagt Brent Christner, der als Leitautor die Ergebnisse der Untersuchungen jetzt im Fachmagazin Nature publiziert hat.

Forscher analysieren DNA im Wasser

Zunächst suchten die Forscher mit Hilfe von Mikroskopen nach Organismen, dann analysierten sie die im Wasser befindliche DNA. Anschließend kultivierten sie die gefundenen Mikroben im Labor, um nachzuweisen, dass diese auch wirklich lebendig sind. Ergebnis: Rund die Hälfte der im Wasser und im Sediment des Whillans-Sees entdeckten Mikroben sind sogenannte Proteobacteria. Zu diesen Bakterien gehören viele Krankheitserreger, aber auch solche, die Stickstoff verarbeiten. Auch Archaeen konnten die Forscher nachweisen. Diese Einzeller bilden neben Bakterien und den höheren, zellentragenden Organismen die dritte große Gruppe des Lebens auf der Erde.

Organismen ziehen Energie aus Ammonium und Methan

Zahlreiche der von den Forschern identifizierten Lebewesen sind in der Lage, ihre zum Überleben nötige Energie aus Ammonium und Methan zu ziehen, indem sie daraus den lebenswichtigen Stickstoff und Kohlenstoff gewinnen. Die Forscher glauben, dass diese chemischen Stoffe ursprünglich aus organischer Materie stammen, die vor Hunderttausenden von Jahren dort abgelagert worden sind, als die Antarktis noch wärmer und vom Meer überflutet war.

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Um die 800 Meter dicke Eisdecke zu durchdringen, haben die Forscher einen Heißwasserbohrer verwendet. UV-Strahlung desinfiziert das Wasser, damit keine Mikroben von der Oberfläche in den unterirdischen See gelangen.

Um die 800 Meter dicke Eisdecke zu durchdringen, haben die Forscher einen Heißwasserbohrer verwendet. UV-Strahlung desinfiziert das Wasser, damit keine Mikroben von der Oberfläche in den unterirdischen See gelangen.

Quelle: Wissard

Das Nährstoffangebot unter dem antarktischen Eisschild ist nicht sonderlich üppig. Deshalb werden die Nährstoffe von den Mikroben streng recycelt, berichten die Forscher. Viele der Mikroben sind Steinfresser, die dazu beitragen, Mineralien aus dem Untergrundgestein zu lösen und so mineralische Nährstoffe freizusetzen. Vor allem Phosphor lässt sich auf diesem Weg gewinnen.

Forscher bohren sich mit Heißwasserbohrern durch die Eisdecke

Unter dem Eispanzer der Antaktis erstreckt sich ein riesiges System aus mehr als 400 Seen und Flüssen. Dieses Wasser ist seit Jahrtausenden von einem Austausch mit der Oberfläche abgeschlossen. Aufschluss über die Frage, ob sich in solchen extremen isolierten Umgebungen Leben bilden und halten kann, sollte daher das im Jahre 2009 gegründete Whillan Ice Stream Subglacial Acces Research Drilling Project (WISSARD) liefern.

So sieht es 800 Meter unter dem Eispanzer aus, auf dem Grund des Whillans-See: Dort fanden die Forscher auch Organismen, die Energie aus Ammonium und Methan gewinnen.

So sieht es 800 Meter unter dem Eispanzer aus, auf dem Grund des Whillans-See: Dort fanden die Forscher auch Organismen, die Energie aus Ammonium und Methan gewinnen.

Quelle: Wissard

Die WISSARD-Forscher bohrten sich im Januar 2013 nach langer Vorbereitung unter größter Sorgfalt durch die 800 Meter dicke Eisschicht. Denn es galt zu verhindern, dass Mikroben von der Erdoberfläche durch den Bohrprozess in den See gelangen. So ein Missgeschick ist einem russischen Forscherteam im Februar 2012 bei Bohrungen zum rund 3800 Meter unter dem Eis gelegenen Wostoksees in Osten der Antarktis geschehen. Zwei Jahrzehnte dauerten diese Bohrungen an, die Ergebnisse der Wasseranalysen wiesen auf die Existenz von Mikroorganismen hin. Doch es tauchten Zweifel auf, weil die Proben möglichweise durch von der Erdoberfläche stammende Mikroben verunreinigt waren.

Dies galt es jetzt bei den Bohrungen am Whillans-See auszuschließen. Die Wissenschaftler schmolzen sich fünf Tage lang mit heißem Wasser den Weg durch den Eispanzer frei. Bohrleitungen, Kabel und alle anderen eingesetzten Materialien wurden dabei regelmäßig von Keimen befreit – durch Filtration, UV-Bestrahlung, durch Pasteurisierung und durch permanente Desinfektion. Die Forscher zogen daher gut abgesichert ihre Proben aus der Wassersäule des Sees und aus dessen Sediment.

Eisschild hat Fläche von über 13 Millionen Quadratkilometern

Der jetzt gefundene Beweis für Leben unter dem antarktischen Eis könnte der Anfang einer ganzen Serie sein. Denn der Eisschild der Antarktis hat eine Fläche von mehr als 13 Millionen Quadratkilometern. Und der Whillans-See ist Teil einer miteinander verbundenen Seenlandschaft unter der Eisdecke. Diese wiederum steht in Verbindung mit den Gewässern um die Antarktis. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass das jetzt entdeckte Ökosystem die chemische und biologische Zusammensetzung des Südlichen Ozeans, der den Kontinent umgibt, beeinflusst.

Ein Beitrag von:

  • Detlef Stoller

    Detlef Stoller ist Diplom-Photoingenieur. Er ist Fachjournalist für Umweltfragen und schreibt für verschiedene Printmagazine, Online-Medien und TV-Formate.

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