VEB Umweltschmutz – vergiftetes Erbe der Genossen
Die Geschichte der Einheit ist auch eine Geschichte der ökologischen Gesundung. Nach dem Mauerfall zeigte sich, welches Schindluder die DDR mit Land und Leuten getrieben hatte. Als Mitarbeiter in einer Umwelttechnikfirma gewann Autor Peter Trechow erschreckende Einblicke.
Alles beginnt 1993 mit einer Jobofferte: Umwelttechnikfirma sucht Studenten. Mein erster Einsatz führt mich in eine Glühbirnenfabrik. Auf den düsteren Etagen arbeiten nur noch vereinzelt Blaumänner und Frauen in Kittelschürzen. Andere schleppen das Inventar in den Hof. Es wird abgewickelt. Die Stimmung ist niedergeschlagen. In der Luft hängt ein eigentümlicher, synthetischer Geruch. Wir sollen Mauerwerk und Böden beproben. Dabei tun sich Abgründe auf. Die Proben weisen derart hohe Konzentrationen von Quecksilber auf, dass das Gebäude am Ende völlig entkernt werden muss. Die Menschen haben all die Jahre zwischen Wänden gearbeitet, die nun als Sondermüll entsorgt werden müssen.
Später steht eine Grundwasserüberwachung in Adlershof an. Auf dem weiträumigen Gelände in Ostberlin stehen dutzende Gebäude, teils mehrstöckig, teils in Form kleiner Baracken. Hier wird noch voll gearbeitet. Die Sonne scheint. Zur Pause kommen die Leute raus, setzen sich auf die Wiesen. Sie trinken und essen. Mittendrin arbeiten Messtechniker mit Atemschutzmasken. Beißender Geruch hängt in der Luft. Sie schmeckt nach Metall . Die Leute lachen. „Wir arbeiten ein ganzes Leben hier und sind kerngesund“, sagt einer. Und schüttelt den Kopf.
Doch der Gestank ist keine Illusion. Die Industrieareale rund um Adlershof bereiten den Verantwortlichen auch heute, 20 Jahre nach Mauerfall, Kopfzerbrechen. Seit 1993 läuft hier das ökologische Großprojekt „Industriegebiet Spree“. Auf 18 km² ächzen die Böden unter den Altlasten von Chemie- und Metallindustrie. Cyanide, Arsen, Pestizide und lokal auch Leichtflüchtige Halogenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW), die aromatischen Kohlenwasserstoffe Benzol, Toluol, Xylol und Ethylbenzol sowie Schwermetalle. Das Grundwasser ist kontaminiert – wie an vielen Stellen in der ehemaligen DDR. Hier ist es aber besonders brisant: Gleich nebenan bedienen sich nämlich zwei Wasserwerke aus dem oberen Grundwasserstockwerk des Berliner Urstromtals.
Wo die Kontaminationen besonders stark waren, wurde in den letzten 20 Jahren das Erdreich saniert. Einundzwanzig solcher ökologischen Großprojekte gibt es in den neuen Ländern. Es sind die Schwerpunkte der Verseuchung. Daneben gibt es noch zahllose kleine Altlastenflächen. Gut 10 000 von ihnen sind laut aktueller Altlastenstatistik des Umweltbundesamts saniert rund 80 000 warten noch auf Vollzug. Das klingt bitter. Im Westen ist es aber nicht besser. Niedersachsen weist knapp 100 000 Altlastenverdachtsflächen aus, NRW 75 000. Bis tief in die 70er-Jahre kannte auch die Westindustrie keine Schonung für Böden, Gewässer und Luft.
DDR Umweltaktivisten wie Michael Beleites erinnern daran, dass Umweltprobleme heute oft in Schwellenländer verlagert werden. Uran für deutsche Atomkraftwerke und viele Chemikalien würden nun anderswo produziert – oft unter ähnlichen Bedingungen wie damals in der DDR. Beleites hatte 1987 die krassen Umweltschäden des Wismut-Uranbergbaus im Erzgebirge und in Ost-Thüringen öffentlich gemacht. Die Sanierung verschlang bis heute rund 6,4 Mrd. €.
Wie schlimm das ökologische Erbe der DDR war, zeigt auch die erste gesamtdeutsche Gewässergütekarte von 1990. Zur Bewertung der ostdeutschen Elbabschnitte musste eine zusätzliche Qualitätsstufe eingeführt werden: ökologisch zerstört. Im Elbezufluss Mulde schwammen noch 15 Jahre später Brassen, vor deren Verzehr das Umweltbundesamt Angler warnte. Im Fett der Karpfenfische lagerten gesundheitsgefährdende Konzentrationen des Giftes Hexachlorcyclohexan (HCH). Die Werte waren zwar bereits um zwei Drittel gesunken, aber noch immer ums Fünffache über dem Grenzwert. Das krebserregende HCH entsteht bei der Produktion der Pestizide Lindan und DDT. Beide waren in der BRD seit den 70er-Jahren verboten. Die DDR setzte sie bis zuletzt in der Landwirtschaft ein und produzierte sie vor allem im Raum Bitterfeld. Experten erklärten die Belastung der Mulde-Fische damit, dass verklappte Produktionsabfälle aus den Deponien der Region aussickerten.
Doch das fiel bei den ersten Spaziergängen am unverbauten Elbufer nicht auf. Es roch nach unberührter Natur. Vögel zwitscherten in Bäumen und Sträuchern. Dass sich im Wasser tonnenschwere Quecksilber-, Blei-, Cadmium- oder HCH-Fracht gen Nordsee schob, blieb den Besuchern verborgen. Die Kulisse stimmte. Wohl auch, weil die düsteren Smogglocken nach dem Niedergang der DDR-Wirtschaft so schnell verflogen waren. Von einem Tag auf den anderen unterlagen Ost-Betriebe dem westdeutschen Umweltrecht und mussten handeln. Davor galt aller Ehrgeiz der Produktionssteigerung – koste es, was es wolle. Sei es belastetes Trinkwasser oder eine Luft, die mit 150 µg Schwefeldioxid pro Kubikmeter zu Atemwegserkrankungen und Pseudo-Krupp bei Kindern führte. Zu allem Überfluss stieg das Regime in großem Stil in den Sondermüllimport ein. Giftinjektionen zur Devisenbeschaffung.
Der Palast der Republik war das passende Symbol für diese Kulissenschieberei. Im Spätsommer 1996, kurz nach Beginn der Sanierungsarbeiten, betrete ich ihn erstmals. Bauzäune umzingeln das seit 1990 ungenutzte Gebäude. Hinein geht es nur durch eine Zweikammer-Schleuse. Staubmaske und Schutzanzug gehören zur Pflichtausrüstung. Es ist unglaublich hell hier. Und mit jeder Stufe die zentrale Treppe hinauf wird der Ausblick auf das historische Berlin erhabener.
Die verlassenen Gänge wirken wie eingefroren. Plakate an den Wänden kündigen Veranstaltungen von 1990 an. In den Büros der Volkskammerabgeordneten zeugen Bücher, Zeitungen und Broschüren vom abrupten Ende. Die 1001 runden Lampen im turnhallengroßen Foyer hängen so, als wollten sie ein Bankett in festliches Licht tauchen. Doch nur ein einziger Besucher ist gekommen. Statt Smoking trägt er Schutzoverall und Atemschutz.
In den kommenden Wochen füllen sich die Gänge mit Leben. Überall wird gestemmt, gemeißelt und geschraubt. Hinter der festlich anmutenden Kulisse tritt ein Desaster zu Tage: Asbest soweit das Auge reicht. Grau verkratert sitzt die aufgespritzte Brandschutzkruste aus Chrysotil und Amosit auf den Trägern des Stahlskeletts.
Sechs Jahre wird es dauern, die krebserregenden Fasern von 172 km Stahlträgern zu kratzen. Während der Arbeiten saugt ein Dutzend riesiger Unterdruckanlagen auf dem Dach die Luft aus den Bauabschnitten. Feinste Membranen filtern die Fasern aus der angesaugten Luft. Statt der kleinen Schleuse gibt es in der heißen Phase der Sanierung einen Zugangsbereich mit Aufenthaltsraum und Duschen. Wer nun in den Palast will, muss sich ausziehen. Ein Arbeiter im Magazin händigt Unterwäsche, Stiefel und einen festen blauen Schutzanzug aus. Kurz prüft er, ob die Akkus der gebläseunterstützen Atemschutzmaske geladen sind. Dann kann es losgehen.
Drinnen tut sich eine nasse Hölle auf. Arbeiter auf Gerüsten stemmen den Asbestzement mit Presslufthämmern von den gigantischen Trägern. Kollegen setzen den Asbestzement dabei mit Wasserschläuchen unter Wasser. Es dröhnt. In Flatschen löst sich der durchnässte Brandschutz und fällt durch riesige Trichter in Metallfässer. So geht es tagein tagaus. Am Ende werden die Arbeiter 5000 t Asbestzement abgemeißelt haben. Und das unter Saunabedingungen im Sommer, schlotternd im Winter und ohne einen einzigen Sonnenstrahl in den abgeschotten Sanierungsbereichen.
Damit die Arbeiter den Abbruch ohne Gesundheitsschäden überstehen, wird die Baustelle nahezu täglich in Stichproben überwacht. Gemessen wird am Mann, in der Umgebung der Arbeiten oder in Personal- und Materialschleusen. Zudem gibt es einen Messcontainer, um ausgeschleuste Maschinen, Baumaterialien oder die Asbestfässer und Big-Bags zu prüfen. Vor allem aber gilt es, Faserverschleppungen vorzubeugen. Entsprechend aufwändig ist das Ausschleuse-Prozedere. Vor dem Verlassen des kontaminierten Bereichs gilt es, Stiefel und Schutzanzüge per Wasserschlauch von grobem Schmutz zu reinigen. Es folgt eine gefühlt fünfminütige Luftdusche in einer engen Dreikammer-Schleuse. Die gebläseunterstützte Maske bleibt dabei ebenso auf dem Kopf, wie bei dem nun folgenden Entkleiden. Denn um herauszukommen heißt es nun ausgiebig in einer Nassschleuse duschen.
Diese Prozedur wiederholt sich alle zwei Stunden. Nur so lange dürfen die Arbeiter mit Maske arbeiten, dann folgt eine 30-minütige Pause. Wer die Sanierung von Anfang bis Ende mitgemacht hat, ist auf rund 5000 Duschgänge gekommen. Wenigstens bei der Altlastensanierung ist es also wirklich sauber zugegangen. PETER TRECHOW
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