Vulkan Tambora sorgte vor 200 Jahren für erste Klimakatastrophe der Neuzeit
Auf den Tag genau vor 200 Jahren, am 5. April 1815, ereignete sich auf der indonesischen Insel Sumbawa einer der folgenschwersten Vulkanausbrüche aller Zeiten. Der Tambora warf eine ganze Woche lang Gestein und Gas aus, bis er am 10. April explodierte. Diese Explosion bescherte Europa 1816 das Jahr ohne Sommer. Ingenieur.de schildert die damalige Katastrophe.
Am 5. April 1815, also vor genau 200 Jahren, begann die erste Klimakatastrophe der Neuzeit: Auf der östlich von Java liegenden Insel Sumbawa in Indonesien brach der Vulkan Tambora aus. Es war der größte bezeugte und beschriebene Vulkanausbruch seit Aufzeichnung der Geschichte. Das feurige Spektakel dauerte eine Woche und endete krachend: Am Abend des 10. April 1815 explodierte der Tambora und warf Magma, Gestein und Gas in gewaltigen Mengen aus.
Gas und Asche wurden bis auf eine Höhe von 43 Kilometern in die Stratosphäre geschleudert. Und von dort aus verbreiten sie sich in den nächsten Monaten praktisch über den gesamten Erdball – mit verheerenden Folgen.
60 Zentimeter mächtige Schicht aus Schlamm und Asche
Sir Stamford Raffles, Vizegouverneur der britischen Kolonie, schickte wenige Tage nach der Explosion eine Schiffsladung Reis in das Katastrophengebiet. Die Besatzung staunte, als sie die Insel erreichte. Vom ehemals ebenmäßigen, kegelförmigen Gipfel des Vulkans war nur ein breites, zerrissenes Hochplateau übrig. Die Dörfer waren zerstört, in den Straßen lagen tausende Tote. Schlamm und Asche bedeckte in einer 60 Zentimeter mächtigen Schicht den größten Teil der Insel, die Ernten waren dahin.
Owen Phillips, britischer Leutnant und Kommandant des Seglers, ließ sich von einem Überlebenden der Katastrophe die Ereignisse schildern. Er notierte danach: „Am 10. April brachen gegen 7 Uhr abends drei getrennte Feuersäulen nahe dem Tambora-Gipfel hervor, alle dem Anschein nach innerhalb des Kraterrandes; und nachdem jede von ihnen zu einer großen Höhen aufgestiegen war, vereinigten sich ihre oberen Enden in der Luft zu einer wild verschlungenen, unruhigen Spirale. Nach kurzer Zeit glich der ganze Berg einer Masse aus flüssigen Feuer, das sich in alle Richtungen ausbreitete.“
Tambora fast um die Hälfte geschrumpft
Vor dieser Explosion ragte der Tambora 4.300 Meter in den Himmel. Aktuell ist er nur noch 2850 Meter hoch, ein beispielloser Masseverlust. Geophysiker haben errechnet, dass die vom Tambora freigesetzte Energie etwa sechseinhalb Millionen Hiroshima-Bomben entspricht. Gut 150 Kubikkilometer Gestein schleuderte der Vulkan hinaus mit einem Gesamtgewicht von 140 Milliarden Tonnen. Die Insel Sumbawa war nach dieser Explosion eine Welt der totalen Zerstörung.
Die gewaltige Explosion löste vor Ort einen Tsunami aus, der gegen Mitternacht des 10. April 1815 die Küsten des östlichen Java verwüstete. Etwa 10.000 Menschen starben an den direkten Folgen der Explosion, sie erstickten, verbrannten, wurden von Lavabrocken erschlagen oder ertranken in den wütenden Fluten des Tsunamis. Weitere 80.000 bis 100.000 Menschen starben in den Wochen danach, sie verhungerten, weil ihre Felder unter gigantischen Aschemassen begraben waren oder fielen den grassierenden Seuchen zum Opfer.
Bis zu 100.000 Menschen starben an den Folgen der Explosion
Der Ausbruch des Tamboras erreicht auf dem achtstufigen Vulkanexplosivitätsindex die Stufe sieben. Zum Vergleich: Der Ausbruch des Vesuvs, der im Jahre 79 nach Christus die antiken Städte Pompeji, Herculaneium, Stablia und Oplontis verschüttete, erreicht auf dieser Skala nur eine fünf, genau wie der Ausbruch des Mount St. Helens im Jahr 1980 im US-Bundesstaat Washington. Und die Explosion des Krakatau 1883, der die gleichnamigen Insel fast vollständig zerstörte, erreichte die Stufe sechs. Die Explosion des Taupo in Neuseeland vor rund 26.500 Jahren führt diesen Index mit einer acht an.
Europa und Nordamerika erlebten als Folge des Vulkanausbruchs einen Klimawandel – drastisch, akut und dramatisch. Es sind geschätzte 200 Megatonnen Schwefelaerosol, die vom Mount Tambora in die Stratosphäre geblasen wurden. Die gewaltige Eruption führte zu einem in der Neuzeit einzigartigen Phänomen: 1816 schrieb als das „Jahr ohne Sommer“ Geschichte.
Auf dem Ausbruch des Tambora folgte das „Jahr ohne Sommer“
Am 8. Juni 1916 notierte die Quebec Gazette: „Die Häuser, die Straßen, die Plätze der Stadt sind vollständig mit Schnee bedeckt und dem ganzen umgebenden Land geht es genauso; es sieht aus wie Dezember.“
Auf 30 Zentimeter hatte sich die Schneedecke aufgetürmt. Auch die etwas südlicher an der Ostküste gelegenen Neuenglandstaaten ertranken förmlich im Schneetreiben. Mit dramatischen Folgen: Frischgeborene Schafe erfroren selbst im Stall, Tausende von Vögeln fielen einfach tot von den Bäumen. Der strenge Frost mitten im Hochsommer vernichtete die Ernten.
Manche machten Erfindung des Blitzableiters für Klimawandel verantwortlich
Den Zusammenhang zum Ausbruch des Taboras im Jahr davor stellte damals allerdings niemand her. Vielmehr vermutete die Wissenschaftsgilde, dass der plötzliche Klimawandel durch die verringerte Aktivität der Sonnenflecken verursacht worden sei. Oder sie machten das Vordringen arktischen Eises im Nordatlantik verantwortlich.
Eher esoterische Zeitgenossen machten niemand anderen als Benjamin Franklin, den Mitverfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, als Schuldigen aus. Seine Erfindung des Blitzableiters sorge dafür, so die steile These, dass sich die Erde in ihrem Inneren elektrisch aufheize und so ihr natürlicher Wärmefluss gestört sei.
Nach dem Vulkanausbruch wurde es bitterkalt in Westeuropa
In Westeuropa lagen im Sommer 1816 die mittleren Tagestemperaturen um ein bis zwei Grad Celsius unter den durchschnittlichen Temperaturen der Jahre 1810 bis 1819. Dieses Jahrzehnt ist ohnehin eines der kältesten zwischen 1800 und heute. Der Astrophysiker Wolfgang Rammacher hat sich die Mühe gemacht, die Messdaten von 15 europäischen Wetterstationen zwischen Mailand und Palermo im Süden und Edinburgh und St. Petersburg im Norden auszuwerten.
Der klare Befund: Fast überall war das Jahr 1816 im Mittel deutlich zu kalt. An manchen der Messorte war es sogar um zwei Grad kälter oder noch mehr, als die Mittelwerte der gesamten metereologischen Epoche von 1801 bis 1830. Paris schießt dabei den Vogel ab: In der französischen Metropole war 1816 der kälteste Sommer zwischen 1771 und 1990.
Der Himmel verdunkelte sich durch endlose Regenwolken
In Europa war es nicht der Schnee, der den Menschen zusetzte. Vielmehr verdunkelte sich der Himmel im Sommer 1816 durch endlose Regenwolken. Diese reichten von Skandinavien über Deutschland und die Schweiz bis nach Spanien. Beispiellose Überschwemmungen spülten Weinberge und Getreidefelder weg.
In praktisch allen Regionen des deutschen Sprachraumes kommt es zu schlimmen Missernten. Historiker sehen in den Jahren 1816 und 1817 die letzte wirklich gravierende Hungersnot in Europa, die schreckliche Hungerkatastrophe in Irland 30 Jahre später einmal ausgenommen.
Die Preise steigen binnen Monaten um das Drei- bis Vierfache
Die fatalen Ernteausfälle treiben natürlich die Preise in die Höhe. Alles, wirklich alles – Brot, Fleisch und auch Wein – wird im Jahr 1816 auf 1817 innerhalb von wenigen Monaten um das drei- bis vierfache teurer. Es ist eine Zeit des Schreckens: Arbeitslose und Krüppel ziehen durch die Gegend und betteln oder stehlen sich das Nötigste zusammen.
Es geht in diesem bitteren Jahr wirklich ans Eingemachte: Verzweifelt schlachten die hungernden Menschen Pferde, Katzen und Hunde, ja sie braten Ratten und lassen auch Aas nicht liegen. Die Wälder werden zu gedeckten Tischen der Not: Die Menschen sammeln Gras, Klee, Moos und Wurzeln, sie verkochen Brennnesseln und Vogelbeeren zu Gemüse.
Es gibt in dieser Zeit der Not aber auch eine Menge Solidarität. So gründen in einigen deutschen Städten wie etwa Düsseldorf, Elberfeld und Frankfurt reiche Bürger sogenannte Kornvereine. Diese importieren Getreide und stellen so die Grundversorgung der Bevölkerung mit Brot sicher.
Bombastische Spektakel am Morgen und am Abend
Der einzige echte Lichtblick in diesem düsteren Sommer von 1816 waren die wohl äußerst spektakulären Sonnenauf- und untergänge, die durch die vielen Aerosole in den oberen Luftschichten befeuert wurden. In den Zeiten des extremen Elends schafften die streuenden Aerosolteilchen eine nie gekannte Farbenpracht: Der Himmel präsentierte sich – wenn die Sonne mal schien – in allen Schattierungen von Rot, Orange und Violett, auch Blau- und Grüntöne mischten mit.
Wilhelm Turner, der englische Landschaftsmaler, dessen Schaffen gerade im Kinofilm „Mr. Turner – Meister des Lichts“ gewürdigt wird, bannte damals diese wunderbare Pracht auf Leinwand. Nicht nur einmal, immer wieder. Das Jahr ohne Sommer hat den Stil Turners über Jahrzehnte geprägt.
Karl Freiherr von Drais erfindet das Laufrad
Das badische Karlsruhe war vom Jahr ohne Sommer besonders betroffen. Und dort weckte die Wetterkatastrophe den Erfindergeist. Der deutsche Forstbeamte Karl Freiherr von Drais wurde 1816 durch die Pferdeknappheit und das Pferdesterben aufgrund der Ernteausfälle dazu angeregt, über eine völlig neue Form der Fortbewegung zu sinnieren. Heraus kam seine Laufmaschine, ein zweirädriges Gefährt: Die Draisine als Vorläufer des Fahrrades.
Die erste Fahrt mit seiner Erfindung machte Drais von Mannheim zum sieben Kilometer entfernten Relaishaus, gelegen im heutigen Mannheimer Stadtteil Rheingau. Am 12. Juni 1817 sauste Drais die Strecke in nur einer knappen Stunde hin und wieder zurück. Er schaffte damit auf seinem 22 Kilogramm schweren Gefährt eine mittlere Geschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde.
Der Cannstatter Wasen hat seine Wurzeln in der Vulkanexplosion
Es ist schon erstaunlich, in welch hintergründiger Art und Weise eine solche vollkommene Naturkatastrophe wie die Explosion des Tambora auf einer fernen Insel Indonesiens sogar Kulturgeschichte beeinflussen kann. Das zweitgrößte Volksfest der Welt, der Cannstatter Wasen bei Stuttgart, nahm seinen Anfang genau in eben diesem verheerenden Vulkanausbruch. Denn im Jahre 1818 wurde der Wasen als direkte Reaktion auf die furchtbare Hungersnot des Vorjahres gegründet.
Das „Landwirthschaftliche Fest zu Kannstadt“ war eine frühe Leistungsschau der Bauern und zugleich eine Agrarmesse. Es sollte die Bauern des Königreiches von nun an zu modernen Methoden in Ackerbau und Viehzucht anzuspornen. Damit solche Heimsuchungen in aller Zukunft vermieden werden. König Wilhelm I. höchstpersönlich wünschte in seiner Gründungsrede dieses Festes am 28. September 1818 auf den Wasen Kannstadts vor 30.000 Untertanen „Segen und Erholung“.
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