„Wachstum ist nicht gleichzusetzen mit Wohlstand“
Die weltgrößte Konferenz zum Thema ökologischer Ökonomie fand Anfang der Woche in Oldenburg und Bremen statt. Geleitet wurde sie von Bernd Siebenhüner. Der Oldenburger Hochschullehrer erläutert im Interview, dass Nachhaltigkeit nicht mit hohen Kosten verbunden sein muss – wohl aber mit einer anderen Form des Wirtschaftens und der Bedürfnisbefriedigung. Das Bruttoinlandsprodukt sei kein zeitgemäßer Maßstab für Wohlstand mehr.
VDI NACHRICHTEN: Herr Professor Siebenhüner, die weltweit größte Konferenz der bekanntesten ökologischen Ökonomen aus Forschung, Wirtschaft und Politik wird von den Universitäten in Oldenburg und Bremen veranstaltet. Sie leiten die Konferenz. „Nachhaltigkeit in Krisenzeiten voranbringen“, so lautet das Thema. Was prädestiniert beide Universitäten, eine solche Tagung auszurichten?
Siebenhüner: Diese Konferenz wird alle zwei Jahre weltweit abgehalten – diesmal in Europa. Die Wahl fiel auf Deutschland und hier bekamen die Universitäten Oldenburg und Bremen den Zuschlag. Stattfinden wird die Konferenz am Standort Oldenburg. Beide Universitäten betreiben bereits seit Langem Forschung und Lehre im Bereich Umwelt und haben einen hohen Bekanntheitsgrad in Deutschland – aber auch international – erlangt. Daher fiel die Wahl auf den Nordwesten.
Womit genau befassen sich ökologische Ökonomen und was versteht man unter nachhaltigem Wirtschaften?
Unter ökologischer Ökonomie hat man sich ein Wirtschaften im Rahmen ökologischer Systemgrenzen vorzustellen. D.h.: Wir müssen primär untersuchen, unter welcher Belastbarkeit die Ökosysteme ihre Leistungsfähigkeiten und Dienstleistungen noch aufrechterhalten können. Dabei richten sich die Blicke auf das Klima, die Bereitstellung von Nahrung, Energie und sonstige Ressourcen wie Luft und Wasser – alles was lebensnotwendig ist. Dann stellt sich die Frage, wie muss Wirtschaft ausgerichtet sein, dass sie in diesen Grenzen langfristig so funktionieren kann, dass sie menschliche Bedürfnisse befriedigt – nachhaltiges Wirtschaften also. Dies zeichnet sich durch dauerhafte Tragfähigkeit aus, schont somit die sie tragenden Ökosysteme und sichert so allen Menschen ein gutes Auskommen und Überleben.
Welche Themenkreise stehen im Einzelnen auf der Tagungsordnung ?
Die wichtigsten Themenkreise sind der Klimawandel und die Klimaanpassung sowie Maßnahmen dagegen auf globaler, aber auch regionaler und lokaler Ebene. Ferner wird eine Studie präsentiert, die sich mit den ökonomischen Werten der Ökosysteme und der Biodiversität sowie deren Schutz beschäftigt. In ihrer Bedeutung wird diese Studie von der Fachwelt mit dem 2006 erschienenen Stern-Report zur Ökonomie des Klimawandels gleichgesetzt. Zudem wird die Frage behandelt, wie kann Wirtschaften in industrialisierten Ländern ohne nennenswertes – vor allem materielles – Wachstum funktionieren? Ferner wird diskutiert, wie ökologische Ökonomie gelehrt werden kann und wie eine Wissenschaft aussehen muss, die auch einen Beitrag zu gesellschaftlichen Problemlösungen leisten kann.
Was ist das Ziel dieser Konferenz und die mögliche Botschaft an die Öffentlichkeit?
Ein Ziel ist es, auf die wechselseitige Bedingtheit ökologischer und ökonomischer Krisen aufmerksam zu machen. Wenn wir die Ökosysteme zerstören – Wälder vernichten, die landwirtschaftliche Leistungsfähigkeit zerstören – oder auch nur die Biodiversität stark einschränken, gefährden wir das Wirtschaften allgemein und z. B. die Nahrungsmittelproduktion im Besonderen. Diese Wechselwirkungen darzustellen, das sind die Kernbotschaften dieser Tagung.
Sie erwarten bis zu 800 Teilnehmer aus über 60 Ländern, die in mehr als 600 Vorträgen vier Tage lang das Thema Nachhaltigkeit beleuchten werden. Darunter sind viele international bekannte Größen aber ist eine solche Mammutkonferenz geeignet, zu klaren Aussagen und Ergebnissen zu gelangen?
Es ist in der Tat die Herausforderung an uns, die Tagung klar zu profilieren, denn große Konferenzen sind sicherlich dazu angetan, ein buntes, facettenreiches Bild abzugeben. Das gilt ganz besonders auch für den Bereich der ökologischen Ökonomie, die eine bunte, aus verschiedenen Perspektiven heraus arbeitende Wissenschaft ist. Aber ich bin optimistisch einige Kernbotschaften herausstellen zu können, da einige Themen jetzt sehr deutlich diskutiert werden. So steht die Wechselwirkung der Krisen seit zwei/drei Jahren auf der Agenda. Die jüngste Wirtschaftskrise hat dieses Thema sehr stark in den Vordergrund gerückt. Ebenso geht es verstärkt um die Einbindung ökologischer Elemente in die Krisenlösung im ökonomischen Bereich.
„Nachhaltigkeit in Krisenzeiten voranbringen“, dieses Thema könnte angesichts der Katastrophen in Asien und Osteuropa vom Zeitpunkt her nicht besser gewählt sein. Sind diese Katastrophen Ihrer Ansicht nach einwandfrei primär auf den Klimawandel zurückzuführen, den der Mensch zu verantworten hat?
Die Klimaforscher sind sehr vorsichtig, diese Katastrophen 1 : 1 auf den Klimawandel zurückzuführen. Sie betonen den Unterschied zwischen Klima und Wetter. Was wir jetzt beobachten sind Wetterereignisse. Starkregen und starker Monsunregen sind Wetterphänomene, also kurzfristige Ereignisse. Das Klima hingegen wirkt langfristig. Es ist das statistische Mittel des Wetters. Also wäre es verfrüht, die derzeitigen Ereignisse direkt nur auf den Klimawandel zurückzuführen. Dies kann man letztlich erst im längeren Trend zweifelsfrei erkennen.
Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten dürfte es besonders schwierig sein, Nachhaltigkeit voranzutreiben. Umweltschutz kostet Geld – und daran scheint es zu fehlen man will sparen. Wie wollen Sie bei der Politik Gehör finden?
Wir betonen stets, dass Umweltschutz nicht nur Geld kostet. Der Umweltschutz, wie er in den 70er- und 80er-Jahren betrieben wurde, war ganz klar mit zusätzlichen Kosten verbunden. Man setzte damals z. B. in Anlagen Filter ein, beließ aber alle Prozesse beim Alten. Für den Umweltschutz und die Nachhaltigkeit ist es aber wichtig, die Prozesse zu hinterfragen und zu ändern. Sind umweltbelastende Mobilität oder Produkte tatsächlich notwendig, bzw. sind nicht andere Einsatzstoffe im Sinne von Umweltschutz oder Nachhaltigkeit effektiver? So lautet heute die Frage. Umweltschutz und Nachhaltigkeit müssen also nicht unbedingt mit höheren Kosten verbunden sein – aber mit einer anderen Form des Wirtschaftens und der Bedürfnisbefriedigung.
Die Politik setzt auf Wachstum, weil sie meint, so die Krise überwinden zu können. Und gerade hat das Statistische Bundesamt für das erste Halbjahr 2010 ein überraschend starkes Wirtschaftswachstum festgestellt. Die Folge: Steuereinnahmen sprudeln und die Politiker sehen sich bestätigt. Wie beurteilen Sie das kräftige Wachstum?
Ambivalent. Zunächst sind die Ursachen des Wachstums zu hinterfragen. Sie beruhen wesentlich auf der starken Nachfrage aus dem Ausland – insbesondere aus den Schwellenländern und resultieren weniger aus der Binnennachfrage. Damit wird das Phänomen nicht primär hierzulande generiert. Aber davon abgesehen ist die Wachstumsproblematik an sich eine besondere Herausforderung für Industriegesellschaften. Die oft erhoffte Entkopplung von wirtschaftlichem Wachstum und Ressourcen-, Energie- und Umweltverbrauch ist in den letzten 20 Jahren selten gelungen. Die Frage ist, können wir uns das ewig leisten, denn wir stoßen in vielen Bereichen an Grenzen, wie z. B. beim Öl. Aber auch im Bereich vieler Metalle ist das Ende der Verfügbarkeit absehbar. Hier müssen wir Lösungen diskutieren, die auch mit weniger Wachstum zusammenhängen. Die Wachstumsproblematik steht daher auch im Mittelpunkt unserer Tagung.
Vorherrschend ist die Meinung, dass wirtschaftliches Wachstum zur Steigerung der Einkommen führt und die Menschen glücklicher macht und allein deshalb Wachstum als eines der wichtigsten ökonomischen Ziele anzusehen ist.
Diese Ansicht ist überholt. Heute belegen Untersuchungen und Statistiken weltweit, dass Wachstum nicht gleichzusetzen ist mit Zufriedenheit und empfundenem Wohlstand. Höhere Einkommen führen danach bei der Bevölkerung der Industriestaaten nicht zu mehr Glück und Zufriedenheit.
Eine Wirtschaft ohne Wachstum. Wie soll das gehen?
Auf diese große Frage haben wir in der Tat noch keine guten Antworten. Vorbilder und Beispiele fehlen. Aber hieran wird mit Hochdruck gearbeitet. Die Finanzwirtschaft ist auf Wachstum ausgerichtet und unser Rentensystem sowie das Steuersystem sind ebenfalls vom Wachstum abhängig. Zu klären ist daher, wie kann eine Wirtschaft nachhaltig stabil bleiben und die Bedürfnisse der Menschen befriedigen?
Also kein Wachstum um des Wachstums willen. Gibt es dafür Ansatzpunkte?
Durchaus, so wird als ein Ansatzpunkt die Veränderung der Messsysteme diskutiert. Eine entsprechende Kommission wurde u. a. vom französischen Präsidenten Sarkozy einberufen und diskutiert alternative Messinstrumente, die sich nicht allein am Bruttoinlandsprodukt orientieren, sondern auch Faktoren wie z. B. Zufriedenheit mit einbeziehen. Damit soll gemessen werden, was die Menschen tatsächlich interessiert. Damit hätte man einen ersten Ansatzpunkt, um zu einer Umorientierung zu gelangen.
Aber scheinbar bietet die Krise auch Chancen für grünes Wachstum: So hat die Bundesregierung in ihr erstes Konjunkturprogramm auch Gelder für Gebäudesanierungen und Initiativen für bessere Effizienzstandards zur Verfügung gestellt.
Das ist richtig, aber hier hat Deutschland auch sehr viel Aufholbedarf. Die ökologische Gebäudesanierung bietet noch erhebliche Möglichkeiten für grünes Wachstum. Sie müssen genutzt werden. Das ist in großen Teilen der Wirtschaft noch nicht möglich, hier müssen noch Lösungen für mehr Nachhaltigkeit gefunden werden. Aber wir müssen uns auch mit Schrumpfungsprozessen auseinandersetzen, z. B. in der Atomwirtschaft.
Was sollte die Bundesregierung mehr tun, um nicht nur die Wirtschaft voranzubringen, sondern auch das Bemühen um Klima und Umwelt?
Eine der wichtigsten Forderungen ist der Abbau schädlicher Subventionen. Ich denke an Subventionen, die sich im Bereich der Landwirtschaft negativ auf die Ökosysteme oder in der Kohlewirtschaft schädigend auf das Klima auswirken. Im Interesse des Gemeinwohls ist zu überlegen, wie diese Gelder im Sinne nachhaltigen Wirtschaftens eingesetzt werden können – z. B. im Bereich erneuerbarer Energien.
Eigentlich sollte der Bundesregierung ein stärkeres Engagement für die Umwelt nicht sonderlich schwer fallen, schließlich hat sie die die Bevölkerung auf ihrer Seite: Nach Umfragen des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid würden sich drei Viertel der Bundesbürger mit einem geringeren Zuwachs an materiellem Wohlstand abfinden, wenn die Umwelt für künftige Generationen besser erhalten und die Staatsverschuldung gesenkt werden könnte.
Das klingt ermutigend. Allerdings ist bei solchen Umfragen stets zu fragen, wie das tatsächliche Verhalten aussieht, wenn es konkret wird. Die Umsetzung in unser alltägliches Handeln stellt daher eine besondere Herausforderung für uns dar. Wichtig ist neben der Verantwortung eines jeden Einzelnen, entsprechende politische Strömungen und staatliche Entscheidungen zu bekommen, die in die gewünschte Richtung zielen. Wir müssen entsprechende Angebote machen, darüber diskutieren und dafür sorgen, dass Menschen dies auch von sich aus weiterhin tun.
Gibt es Länder, die wesentlich mehr als die Bundesrepublik für nachhaltiges Wirtschaften tun?
Vereinzelt. Die skandinavischen Länder sind in Teilbereichen – wie z. B. ökologischen Produktstandards – führend. Einige Länder wie Großbritannien sind beim Klimaschutz erfolgreicher. Und wir dürfen das Gros der Entwicklungsländer nicht übersehen, die deutlich weniger Ressourcen nutzen und pro Kopf deutlich weniger Energie verbrauchen. Dieser Vergleich mag merkwürdig anmuten. Aber es ist doch – mit Blick auf die noch zur Verfügung stehenden Ressourcen und die endlichen herkömmlichen Energiequellen – die Frage, wie weit das westliche Wirtschaftsmodell weltweit umsetzbar ist. Es zeigt sich sehr deutlich, dass unser Planet nicht im Stande sein wird, die gesamte Weltbevölkerung mit Ressourcen und Energien in dem Maße zu versorgen, wie sie bisher von den Industrieländern – also 20 % der Bevölkerung – in Anspruch genommen wurden.
Wie könnte man Staaten wie die USA und China – immerhin die beiden stärksten Wirtschaftsnationen – dazu bringen, sensibler auf Umweltschutzerfordernisse zu reagieren?
Die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko hat weite Teile der amerikanischen Bevölkerung für Fragen der Ölförderung, aber auch der Ölnutzung sensibilisiert. Präsident Obama versucht zudem, ein Klimaschutzprogramm durch den Kongress zu bringen, was aber von den konservativen Kräften derzeit noch blockiert wird. Von außen lassen die USA erfahrungsgemäß nur wenig auf sich einwirken. Aber sie lassen sich durchaus von den Erfolgen grüner Märkte beeindrucken. So stießen die alternativen Energien in den USA auf großes Interesse, weil die Amerikaner nicht von wesentlichen technischen Entwicklungen abgekoppelt werden wollen. Auch den Chinesen ist mittlerweile klar, dass sie den sehr energie- und ressourcenintensiven Pfad, den sie bisher eingeschlagen hatten, aus Gründen der Endlichkeit dieser Quellen in Zukunft nicht weitergehen können. Das Land der Mitte setzt bereits heute verstärkt auf Sonnenenergie und Fotovoltaik.
DIETER W. HEUMANN
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