Weltkulturerbe wird Opfer des Klimawandels
136 der 720 Stätten des UNESCO Weltkulturerbes werden in den Fluten der Ozeane versinken, wenn die globale Durchschnittstemperatur auf der Erde um drei Grad Celsius ansteigt. Das haben Klimaforscher jetzt ausgerechnet. Es geht um so bedeutende Stätten wie die historische Altstadt von Lübeck, um den Mont-Saint-Michel in Frankreich und das Opernhaus in Sydney.
Es ist ein sehr weiter Blick in die Zukunft, die die beiden Forscher Anders Levermann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Ben Marzeion von der Universität Innsbruck jetzt im Fachjournal Environmental Research Letters veröffentlich haben: Die Wissenschaftler haben für einen Zeitraum von 2000 Jahren den zu erwartenden Meeresspiegelanstieg am Computer modelliert und untersucht, in welchen Regionen Weltkulturstätten in den kommenden Jahrhunderten gefährdet sind. Die Langfrist-Prognose zeigt, dass die historischen Altstädte von Lübeck, Wismar und Stralsund ebenso im Wasser untergehen werden wie die von Brügge, Neapel, Istanbul und St. Petersburg.
„136 Standorte würden dann auf lange Sicht unter dem Meeresspiegel liegen“
„Wenn wir den Klimawandel nicht begrenzen, werden die Archäologen der Zukunft einen großen Teil unseres Kulturerbes in den Meeren suchen müssen“, betont Ben Marzeion von der Universität Innsbruck. Klettert die globale Durchschnittstemperatur in den kommenden 2000 Jahren um ein Grad Celsius, so sind es weltweit 40 Kulturstätten, die im Wasser untergehen. Bei einem Temperaturanstieg von drei Grad Celsius könnte sogar rund ein Fünftel der aktuell 720 Weltkulturstätten gefährdet sein. „136 Standorte würden dann auf lange Sicht unter dem Meeresspiegel liegen“, präzisiert Marzeion. „Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass Gezeiten und Sturmfluten schon sehr viel früher Folgen für diese Kulturstätten haben könnte.“
Zwölf Länder verlieren die Hälfte ihrer Landesfläche
Die Klimaforscher stellten bei ihrer Zukunftsprognose fest, dass bei einer globalen Erwärmung um drei Grad Celsius bereits bis zu zwölf Länder mehr als die Hälfte ihrer derzeitigen Landfläche verlieren könnten. Weitere 30 Länder würden rund ein Zehntel ihrer Fläche einbüßen. „Davon sind besonders Inselstaaten in Pazifik und Karibik betroffen, aber auch die Malediven und die Seychellen“, sagt Anders Levermann vom PIK. „Ein Großteil der Menschen wird diese Inseln langfristig wohl verlassen müssen, und damit könnte auch ein Großteil ihrer Kultur über kurz oder lang verloren gehen“, ergänzt Marzeion.
Laut Analyse leben sieben Prozent der heutigen Weltbevölkerung in Regionen, die bei einem globalen Temperaturanstieg um drei Grad ohne entsprechende Gegenmaßnahmen letztendlich unter dem Meeresspiegel liegen werden. „Würde dieser Meeresspiegelanstieg heute passieren, wären mehr als 600 Millionen Menschen betroffen und müssten sich eine neue Heimat suchen“, betont Marzeion.
Um zuverlässige Prognosen erstellen zu können, berücksichtigen die Klimaforscher auch den regional unterschiedlichen Anstieg der Meere. „Wenn große Eismassen abschmelzen und das Wasser sich über die Meere verteilt, beeinflusst das auch das Gravitationsfeld der Erde“, sagt Anders Levermann. „Regional kann der Meeresspiegelanstieg deshalb sehr unterschiedlich ausfallen.“ Die Wissenschaftler haben daher den zukünftigen Anstieg des Meeresspiegels für alle Weltregionen berechnet und die Prognosen mit den heutigen küstennahen Siedlungsgebieten und den Standorten des Weltkulturerbes verglichen.
„Unsere Analyse zeigt, wie ernstzunehmend die langfristigen Folgen für unser kulturelles Erbe sind, wenn wir den Klimawandel nicht begrenzen“, so Levermann. Ohne Gegenmaßnahmen könne sich die Durchschnittstemperatur auf der Erde um fünf Grad erhöhen.
Berechnung der Folgen der Eisschmelze in Grönland und der Antarktis schwierig
Genaue Vorhersagen sind schwierig. Denn erst kommt die höhere Temperatur, dann reagieren zeitverzögert über viele Jahre die Weltmeere. Besonders schwierig ist der Umgang mit den abschmelzenden Eismassen in Grönland und der Antarktis. Ein Vergleich mit einem simplen Eiswürfel verdeutlicht das kalkulatorische Problem. Holt man einen Eiswürfel aus dem Gefrierfach und legt ihn vor sich auf den Tisch, so ist gewiss, dass er schmelzen wird. Wie lange es genau dauert, bis er ganz zu Wasser geworden ist, lässt sich schwer abschätzen.
„Gegen den Klimawandel können wir keine Kriege führen“
Im riesigen Ozean potenziert sich das Problem. Erhöht sich die globale Temperatur, dehnt sich das Meerwasser nach und nach aus. Zuerst erwärmt sich dabei nur die Oberfläche. Mit der Zeit allerdings dringt die Wärme in tiefere Schichten ein. „Die Ozeane sind bis zu 10.000 Meter tief“, sagt Levermann. „Die Wärme, die an der Oberfläche entsteht, vermischt sich langsam.“ In den vergangenen 100 Jahren ist der Meeresspiegel im globalen Durchschnitt um 20 Zentimeter gestiegen. Wird es irgendwann einmal wirklich durchschnittlich fünf Grad wärmer auf der Erde, so könnte der Meeresspiegel über zehn Meter ansteigen. „Gegen den Klimawandel können wir keine Kriege führen, wir können ihn nur eindämmen“, warnt Levermann.
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