Weniger Wolken führen zu sprunghaftem Anstieg der Erderwärmung
Die Erde verliert ihr Rückstrahlvermögen, weil bestimmte Wolken fehlen. Daher wird weniger Wärme zurück ins All reflektiert, so das Alfred-Wegener-Institut.
„2023 ist das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, mit globalen Temperaturen nahe der 1,5-°C-Grenze“, titelte der europäische Satellitendienst Copernicus am 9. Januar dieses Jahres. Schon im Dezember 2023 gab es erste Vorabmeldungen. Fast 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau (zwischen 1850 und 1900) zeigte die Grafik für den jährlichen Durchschnitt für 2023, ein Sprung von 0,3 °C gegenüber dem Vorjahr.
Die Ursachen dieses sprunghaften Anstiegs stellte Klimaforscherinnen und -forscher weltweit bisher vor ein Rätsel. Denn betrachtet man die Wirkung von menschengemachten Einflüssen, vom Wetterphänomen El Niño sowie von Naturereignissen, lässt sich zwar ein Großteil der Erwärmung nachvollziehen. Eine Lücke von etwa 0,2 °C konnte jedoch bisher nicht richtig erklärt werden. Das Einsetzen des Klimaphänomens El Niño, die erwartet langfristige Erwärmung durch anthropogene Treibhausgase, eine stärkere Sonnenaktivität, größere Mengen Wasserdampf aus einem Vulkanausbruch oder weniger Aerosolpartikel in der Atmosphäre – vieles stand zur Debatte, eine hinreichende Erklärung lieferte aber all das zusammen bisher nicht.
Sprunghafter Anstieg der Erdtemperatur 2023 stellt Klimaforschung bisher vor ein Rätsel
Jetzt hat ein Team des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), beschrieben, was die Ursache sein könnte: Unser Planet verliert sein Rückstrahlvermögen (Albedo), weil ihm bestimmte Wolken fehlen. Und wird weniger Wärmestrahlung zurück ins All reflektiert, bleibt die Energie hier. Es wird wärmer. „Die Frage nach der ‚Erklärungslücke‘ von 0,2 °C im Jahr 2023 ist aktuell eine der prominentesten Fragen der Klimaforschung“, so Helge Gößling, Hauptautor der Studie, die heute in Science erschien.
Um diese Lücke zu schließen, haben die Klimamodellierer des AWI und des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) Satellitendaten der Nasa sowie Reanalysedaten des ECMWF untersucht. Die Reanalyse von Daten kombiniert verschiedenste Beobachtungsdaten mit einem komplexen Wettermodell, um neue Erkenntnisse über vergangene Wetterereignisse zu gewinnen. „Diese Daten reichen teilweise bis ins Jahr 1940 zurück und ermöglichen eine detaillierte Analyse der Entwicklung des globalen Energiehaushalts und der Bewölkung in verschiedenen Höhen“, so das AWI in einer Mitteilung.
Sprunghafter Anstieg der Erdtemperatur korreliert mit sinkender Albedo
„Auffällig war, dass sowohl im Datensatz der Nasa als auch vom ECMWF 2023 als das Jahr mit der niedrigsten planetaren Albedo hervorsticht“, sagt Co-Autor Thomas Rackow vom ECMWF. Die planetare Albedo beschreibt den Anteil der Sonneneinstrahlung, der nach jeglicher Wechselwirkung mit der Atmosphäre und der Erdoberfläche ins Weltall zurück reflektiert wird.
„Wir konnten bereits in den letzten Jahren einen gewissen Rückgang erkennen. Die Daten legen nun nahe, dass die planetare Albedo 2023 so niedrig wie nie seit mindestens 1940 gewesen sein könnte“, so Rackow. Eine geringere Albedo unterstützt zumindest eine globale Erwärmung und, so das AWI, „kann die bisher fehlenden 0,2 °C erklären“. Nur: Warum ist die planetare Albedo so stark zurückgegangen, sodass sich eine Rekorderwärmung weltweit kurzfristig einstellte?
Weniger niedrige Wolken verringern die Rückstrahlkraft der Erde
Dass die Albedo der Erdoberfläche tendenziell abnimmt, sei laut AWI seit den 1970er-Jahren so. Schließlich schmelzen weltweit Schnee- und Eismassen an Land, deren weiße Flächen können Sonnenlicht reflektieren. Auch die Eismassen auf dem Meer gehen zurück. Oder Luftverschmutzung (Ruß) verdunkelt das Eis. Reicht aber nicht, so Gößling: „Die Analyse der Datensätze zeigt jedoch, dass der Rückgang der Oberflächenalbedo in den Polarregionen nur etwa 15 % zum jüngsten Rückgang der planetaren Albedo beigetragen hat“, erklärt Helge Gößling.
Generell hat nämlich das Reflexionsvermögen spürbar abgenommen, nicht nur in polaren Regionen. Wie sich das auswirkt, hat das AWI-Team um Gößling berechnet: Ohne die verringerte Reflexion seit Dezember 2020 wäre 2023 im Mittel etwa 0,23 °C kühler ausgefallen. Und aus der Reanalyse tüftelten die Forscher auch hervor, woran es liegt: In den nördlichen mittleren Breiten und den Tropen, vor allem über dem Atlantik, gibt es deutlich weniger niedrige Wolken. In mittleren oder hohen Höhen ist das nicht der Fall. „Auffallend ist, dass der östliche Nordatlantik, der einer der Haupttreiber für den jüngsten Anstieg der globalen Mitteltemperatur ist, nicht nur 2023 einen deutlichen Rückgang von niedrigen Wolken verzeichnete, sondern – wie fast der gesamte Atlantik – bereits in den letzten zehn Jahren“, so Gößling.
Was hat den Rückgang der niedrigen Wolken verursacht?
Warum aber fehlen die Wolken just in diesem Bereich? Dazu hat sich das AWI-Team die Voraussetzungen angeschaut, unter denen sich Wolken bilden. Wolken brauchen kleine Teilchen, auch Kondensationskeime genannt, um die herum sie sich bilden können. Just die durch den Menschen verursachten Verbrennungsprozesse sorgen für solche kleinen Teilchen dort, wo niedrige Wolken sich bilden: die Rede ist von Aerosolen und Rußpartikeln. Werden die weniger, dann gibt es weniger Kondensationskeime für Wolken in niedrigen Höhen. Hierzu dürften laut AWI „menschenverursachte Aerosole in der Atmosphäre, insbesondere durch strengere Auflagen beim Schiffsdiesel“ beigetragen haben. Auch hier gibt es eine doppelte Wirkung: Mehr Aerosole heißt mehr Wolken und damit eine höhere Albedo, aber die Teilchen reflektieren auch als solche Sonnenlicht.
Stimmt das mit dem Mechanismus, den die AWI-Forschenden da herausgetüftelt haben, dann hat das Folgen: „Sofern hinter dem Albedorückgang eine verstärkende Rückkopplung zwischen Erderwärmung und Wolken steckt, wie auch einige Klimamodelle nahelegen, müssen wir mit einer recht starken zukünftigen Erwärmung rechnen“, betont Gößling. „Wir könnten einer globalen Klimaerwärmung von über 1,5 °C bereits näher sein als bislang gedacht.“
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