„6-Tage-Rennen“ bei Daimler
In den weltweiten Aktivitäten des Geschäftsbereichs Daimler Trucks ist das Werk Mannheim das Kopfwerk der Fertigung schwerer Nutzfahrzeugmotoren. „Es arbeitet im Kundentakt“, sagte Hermann Doppler dieser Tage anlässlich der Präsentation der neuen Motorenfamilie Mercedes-Benz OM 47x in Mannheim vor der internationalen Presse. Doppler ist Leiter der weltweiten Lkw-Motorenproduktion und verantwortlich für das Mercedes-Benz-Werk Mannheim.
„Wir haben hier ein 6-Tage-Rennen“, sagte Doppler, denn nach Eingang des Auftrags muss in diesem Zeitraum ein Motor der neuen Generation von Mercedes-Benz sämtliche Fertigungsstufen vom flüssigen Eisen in der Gießerei über die Zerspanung bis zur Montage durchlaufen haben. Deshalb habe man dafür das System der „synchronen Fabrik“ gewählt. Das ist ein perfekt organisierter Produktionsablauf in Reihenfolgesynchronität (just in sequence), bei dem im Werk Mannheim die drei Fertigungsbereiche Gießerei, Zerspanung und Montage als Gesamtsystem „synchron“ auf einander abgestimmt sind.
Das Werk ist der Mittelpunkt des internationalen Verbunds der Motorenfertigung von Daimler Trucks. Dort werden alle Aggregate der neuen Motorengeneration von Mercedes-Benz gefertigt, ebenfalls die Aggregate für die Tochter Mitsubishi Fuso in Japan. Die ebenfalls zum Konzern gehörende Detroit Diesel Corp. in den USA verfügt über eine eigene Montage.
Das Werk Mannheim ist auf eine Jahresproduktion von insgesamt rd. 100 000 Motoren der neuen Baureihe ausgelegt. Im Unterschied zu anderen Motorenwerken ist die Gießerei dort voll in den Produktionsprozess integriert und arbeitet zum Teil mit patentierten Techniken. Dort handelt es sich laut Mercedes-Benz um eine Hightechfertigung und um das weltweit modernste Gusswerk mit der höchsten Produktivität und der niedrigsten Ausschussquote.
Die neue Motorenbaureihe entsteht im weltweiten Zusammenspiel: Nach dem Serienanlauf der OM 47x-Motoren für Mercedes-Benz fertigt das Werk Mannheim alle Zylinderköpfe, alle Nockenwellen, sämtliche Schwungräder sowie die Kurbelwellen für die Motoren von Mercedes-Benz und Fuso. Die Pleuel werden aus Investitions- und Kostengesichtspunkten zentral bei Detroit Diesel in den USA gefertigt.
Das Kurbelwellengehäuse besteht aus einem „Designerwerkstoff“, den die Fachleute der Mannheimer Gießerei gemeinsam mit Hochschulen entwickelten. Alle Kurbelwellengehäuse für die Motoren der neuen Daimler-Trucks-Baureihe von Mercedes-Benz und Detroit Diesel liefert die konzerneigene Gießerei Atlantis Foundries (Pty) Ltd. bei Kapstadt, Südafrika. Das Kurbelwellengehäuse will Mercedes-Benz im Zuge der Kapazitätserweiterung der Mannheimer Gießerei auch dort produzieren.
Über die Werkstoffspezifikation des „hochsteifen“ Kurbelwellengehäuses wollte Doppler keine Auskunft geben: „Sie ist geheim“. In Mannheim war lediglich zu erfahren, dass das Gusseisen mit Lamellengrafit als GJL 260 klassifiziert ist. Er erreicht laut dem Gießereichef Gilbert Sapin nahezu das hohe Festigkeitsniveau von Gusseisen mit Vermikulargrafit (GJV), aus dem der einteilige Zylinderkopf (GJV 400) besteht.
Generell handele es sich bei der Gießerei in Mannheim um eine Hightechfertigung mit zum Teil patentierten Gussverfahren, so Sapin. Deutlich werde das u. a. in der vollautomatisierten Kernmacherei, wo erstmals Roboter die Pakete aus Sandkernen herstellen – „technisch eine große Herausforderung“. Verwendet werde dort „ein höchst reines, staubfreies Material“, so Sapin: „Die Sandkörner haben einen Durchmesser von 0,35 mm und die Toleranz der mittleren Sandkorngröße haben wir auf 0,02 mm begrenzt“, erklärte der Gießereichef. Auch werde das Mannheimer Sandsystem zu 90 % umweltschonend im Kreislauf gefahren.
Der einteilige Zylinderkopf der neuen Baureihe ist laut Sapin überhaupt der komplexeste in der Motorengröße und werde auch deshalb für alle Maschinen weltweit ausschließlich in Mannheim hergestellt. So seien z. B. Ölrücklauf- und Kühlwasserkanäle sowie Kraftstoffrücklaufleitungen im Zylinderkopf bereits eingegossen. Im Werk ist nahe der Gießerei die spanende Bearbeitung der Motorenkomponenten angesiedelt. Sie gehört mit 100 000 t Gussteilen Durchsatz im Jahr weltweit zu den größten Anlagen ihrer Art. Besonderen Wert wird auf die Sauberkeit in der gesamten Fertigung gelegt. Vor der jeweiligen Weiterverarbeitung werden alle Teile in unterschiedlichen Verfahren gereinigt. Selbst Gussteile wie das Kurbelgehäuse sind innen so sauber wie zugelieferte Kunststoffleitungen.
Die Größe der Staubpartikel muss kleiner sein als 1 µm – das Kopfhaar des Menschen ist etwa 100 µm dick = 0,1 mm. Ein eigenes Wasch- und Reinigungslabor überprüft und dokumentiert die sehr hohe Sauberkeit fortlaufend. Nach Hans Illig, dem Laborleiter im Werk, sei inzwischen sogar der „Illig-Faktor“ benannt worden – eine Formel für technische Sauberkeit von Werkstücken und seit Herbst 2010 als Maßeinheit in der Autoindustrie gültig.
„Die Motoren entstehen in der Montage fast unter Reinraum-Bedingungen“, erklärte Montageleiter Peter Schmid. Präzision und Sauberkeit seien zwei wesentliche Stichworte bei der Montage der neuen Motorengeneration. In der Halle 150, die 2007 errichtet worden sei, herrsche ständig ein leichter Überdruck, damit von außen kein Staub eindringen kann. Belieferung und Versand erfolgen über Schleusen außerhalb der eigentlichen Halle.
Die Motorenmontage sei nicht weniger ausgetüftelt als alles andere und von den Mitarbeitern in wesentlichen Punkten selbst gestaltet, so Schmid. Speziell habe man die Montage des einteiligen Zylinderkopfs automatisiert. Er wird in einer Station mit 36 Schrauben auf das Kurbelgehäuse montiert. Ein automatischer Mehrfachschrauber mit vier Spindeln zieht sie in definierter Reihenfolge mit einem vorgeschriebenen Drehmoment an. Ist der Zylinderkopf aufgesetzt, folgen Nockenwellen und die Kipphebel der Ventilbetätigung. Die Einstellung des Ventilspiels übernimmt ein Monteur an einer im Werk entwickelten Station.
Schmid erklärte, dass auch die Präzision und die Sauberkeit im Werk Mannheim dazu beigetragen haben, die Wartungsfreundlichkeit und Haltbarkeit der neuen Motoren zu erhöhen. Er verwies auf den Ölwechselintervall von 150 000 km und die Motorlebensdauer, die von 1 Mio. km auf 1,2 Mio. km heraufgesetzt wurde. W. PESTER
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