Abschied auf Raten: Zustimmung zu Stuttgart 21 bröckelt
Die Zukunft des Tiefbahnhofs Stuttgart 21 wird immer ungewisser. Angesichts steigender Kostenrisiken mahnen Fachleute aus dem Verkehrsministerium jetzt den Ausstieg aus dem Projekt an.
Klar, kleinmachen geht immer: „Es handelt sich um Einzelmeinungen aus der unteren Ebene meines Ministeriums“, nuschelte Verkehrsminister Peter Ramsauer am 5. Februar in die Fernsehkameras der öffentlich-rechtlichen Sender und erteilte einer Abkehr vom wohl umstrittensten Bahnhofsbau der Republik eine klare Absage: „Alles Quatsch.“ Die Einzelmeinung aus der unteren Ebene des Verkehrsministeriums hat es allerdings in sich und liest sich so. „Die Argumente, eine weitere Finanzierung nicht abzulehnen, sind zu schwach.“ Knackpunkt ist die Wirtschaftlichkeit, mit der der Tiefbahnhof für die Deutsche Bahn zu betreiben wäre. Seit Dezember ist dem Aufsichtsrat der Bahn bekannt, dass möglicherweise 2,3 Milliarden Euro zusätzliche Kosten für den Bau des Prestigeprojektes anfallen können. Aber ab zirka 1,8 Milliarden Euro Mehrkosten werde eine „negative Kapitalverzinsung“ bei Stuttgart 21 erreicht, heißt in der Einzelmeinung.
Faktisch herrscht bei Stuttgart 21 ein Baustopp
Es steht also spitz auf Kopf für den Tiefbahnhof und zwar wörtlich. Die unteren Chargen des Verkehrsministeriums drängen jetzt darauf, dass die Weiterführung des Kopfbahnhofes „mit der erforderlichen Detailtiefe analysiert werden“ müsse. Es gehe jetzt darum, „angesichts der abnehmenden Unterschiede zwischen den Varianten die Kosten für Ausstieg bzw. Alternativen ausreichend tief zu kalkulieren.“ Faktisch herrscht bei Stuttgart 21 derzeit ein Baustopp. Denn das Ministerium betont, dass „derzeit keine finanziellen Baufreigaben für Stuttgart 21 erteilt werden“. Der Grund: Die Freigabe von Bundesmitteln sei „an die Sicherung der Gesamtfinanzierung gebunden.“ Und genau diese Gesamtfinanzierung sei wegen der Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro nicht mehr gesichert. Die untere Ebene des Verkehrsministeriums wirft der DB-Spitze sogar explizit falsche Aussagen in diesem Punkt vor.
Unabhängig vom faktischen Baustopp wird Stuttgart 21 deutlich später fertig als geplant. Das Verkehrsministerium hat aus den bekannten Angaben der Deutschen Bahn einen „zusätzlichen Verzug von 32 Monaten“ errechnet und folgert: „Die Inbetriebnahme würde sich von 2021 auf 2024 verschieben.“ Der Konzern hat also offenbar gegenüber dem Bund schon drastische weitere Verzögerungen zugegeben. Fest steht: Bisher ist nur ein kleiner Teil der Planfeststellungsverfahren zu Stuttgart 21 abgeschlossen. Und diese beendeten Verfahren haben bis zu vier Jahre länger gedauert, als vom Konzern geplant. Der Tiefbahnhof in der baden-württembergischen Landeshauptstadt hat damit den so schön nach Zukunft klingenden Namen nicht mehr verdient: Stuttgart 21 verkommt derzeit zu Stuttgart 24, vielleicht auch zu Stuttgart 25 oder gar zu Stuttgart 30. Alles scheint möglich beim Planungschaos der Bahn.
Bundesregierung muss ihrer Kontrollpflicht nachkommen
Fakt ist: Noch ist die Bundesregierung Eigentümer der Deutschen Bahn AG, der Börsengang ist aufgrund des schlechten wirtschaftlichen Umfeldes immer wieder verschoben worden. Und so hat die Bundesregierung auch die Pflicht, über ihre Sitze im Aufsichtsrat der Bahn ihre Kontrollfunktion wahrzunehmen. Seitdem die Deutsche Bahn den Aufsichtsrat am 12. Dezember offiziell darüber informiert hat, dass bei Stuttgart 21 zusätzliche Kostenrisiken von 2,3 Milliarden Euro schlummern, scheinen zumindest die unteren Ebenen der Ministerien aus ihren Kontroll-Tiefschlaf aufgewacht zu sein. Sie haben herausgefunden, dass laut eines aktuellen Gutachten der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers der Infrastrukturvorstand der Bahn die Kostenrisiken bereits seit Juli 2012 kannte, somit gut vier Monate vor der öffentlichen Information seitens der Bahn.
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass der Aufsichtsrat seit Sommer 2012 einige millionenschwere Anstellungsverträge von Vorständen der Deutschen Bahn verlängert hat, über die er in Kenntnis der dramatischen Kostenexplosion möglicherweise anders entschieden hätte. Das Papier aus der unteren Ebene des Verkehrsministeriums weist auf diesen Zusammenhang ziemlich deutlich hin: „Bei rechtzeitiger Information durch den Vorstand hätte der Aufsichtsrat diese Information zudem bei seinen Entscheidungen über Vertragsverlängerungen berücksichtigen können.“
Aktienrecht kommt ins Spiel
Doch es geht um mehr als um einige vielleicht anrüchige Personalentscheidungen. Letztlich greift bei der Kostenfrage für den Tiefbahnhof schlicht das Aktienrecht. Und die Mitglieder des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn sind nach eben diesem Aktienrecht haftbar, wenn dem Bahnhofsprojekt eine negative Eigenkapitalverzinsung droht, es sich also nicht mehr rechnet. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, Vorsitzender des Bundesverkehrsausschusses bringt es auf den Punkt: „Ein Aufsichtsrat darf keiner Entscheidung zustimmen, die die Eigenkapitalbasis des Unternehmens, das er beaufsichtigt, mutwillig beschädigt.“ Laut der Grünen-Fraktionschefin Renate Künast ist jetzt auch ein deutliches Wort der Bundeskanzlerin gefragt: „Sonst erleben wir ein zweites finanzielles Desaster wie beim Berliner Flughafen BER.“ Und das kann doch nun wirklich niemand wollen.
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