AgustaWestland steht mit zivilem Kippflügler kurz vor Zulassung
Ein Zivilflugzeug, das Rotoren und Flügel kippt und senkrecht startet: Diesen Traum erfüllt sich Flugzeugbauer AgustaWestland, der mit dem BA 609 kurz vor der Zulassung steht. Prädestiniert ist der Luftkünstler für Sondereinsätze wie die Seenotrettung. 70 Bestellungen liegen bereits vor.
Bereits in ein bis zwei Jahren dürften die ersten zivilen Kippflügler des italienisch-britischen Typs BA 609 in Amerika und Europa zum kommerziellen Einsatz kommen. Bisher liegen AgustaWestland schon 70 Bestellungen vor. Mit ihrer Kapazität von sechs bis neun Passagieren eignen sie sich allerdings nur in Ausnahmefällen für Linienflugdienste. Umso größer aber ist ihr Potenzial für Sondereinsätze aller Art – etwa für die Seenotrettung weit draußen auf dem Meer.
Kippflügler sind Flugzeuge, die horizontal und vertikal starten und fliegen können. Möglich wird das durch Drehung des Flügels und der Motoren um 90 Grad. Sind die Motoren hochgedreht, dann startet und landet der Kippflügler hubschrauberartig. Werden der Flügel und Motoren nach dem Start wieder heruntergedreht, so treiben sie den Kippflügler wie ein ganz normales Propellerflugzeug an.
BA 609 kann mehr als doppelt so hoch steigen wie ein Hubschrauber, dessen Grenze meist bei 3000 Metern liegt. Möglich sind dank einer Kabine mit Druckausgleich Höhen bis 7600 Meter. Die BA 609 verfügt über eine maximale Reichweite von 1390 Kilometern und eine höchstzulässige Reisegeschwindigkeit von 509 km/h – auch diese Werte stellen Hubschrauber in den Schatten.
Angeboten wird eine neunsitzige Passagierversion, eine sechssitzige Version für Geschäftsreise und schließlich eine Variante namens Search & Rescue mit nur vier festen Sitzen, wohl aber einem Außenkran, der es ermöglicht, Menschen aus Seenot oder Verletzte aus Katastrophenzonen aus der Luft zu retten. Daneben wird eine Version für die Luftaufklärung und zur Überwachung von Grenzen und Fischereizonen angeboten.
Eine technische Schwierigkeit liegt darin, während der Drehung der Motoren und Flügel einen sicheren Flugzustand einzuhalten. Das hat die Entwicklung der bisher bekanntesten Kippflügler um Jahre verzögert. Eine andere Herausforderung ist es, eine aerodynamisch optimale Formgebung zu finden, um Geschwindigkeit und Reichweite zu maximieren.
Arbeit an Kippflüglern läuft seit Jahrzehnten
Die ersten Entwürfe für Kippflügler gehen in die 1930er Jahre zurück, als diese Idee sowohl in Amerika wie in Europa aufkam. Konkrete Arbeiten zum Bau eines Kippflüglers begannen 1942 in Deutschland, wo Focke unter der Bezeichnung FA269 ein solches Flugzeug in Angriff nahm. Fertig wurde es allerdings nicht mehr. Dann war der Krieg zu Ende und die Kippflügler-Entwicklung wurde zunächst in den USA und dann auch in Großbritannien fortgesetzt.
In Amerika entstand die Bell X-22, die mit vier kippbaren Rotoren ausgestattet war. Ihr folgten weitere Entwicklungen, die im Wesentlichen alle von Bell betrieben wurden – bis Bell diesen Flugzeugbereich schließlich mit Boeing gemeinsam vorantrieb. Erfolgreichstes Produkt aus diesen langen Vorarbeiten ist die V-22 Osprey, ein militärischer Kippflügler. Dieses Flugzeug hob 1989 erstmals ab. Bis zum Eintritt in den Truppendienst dauerte es aber noch bis 2007.
Die Osprey wird schon in mehr als 200 Exemplaren bei den U.S. Marines und bei der U.S. Air Force eingesetzt. Genutzt wird sie für Aufgaben, bei denen es darauf ankommt, Soldaten und Ausrüstung über längere Strecken schnell zu befördern und punktgenau abzusetzen – und später eventuell wieder aufzunehmen. Die Osprey kostet pro Stück fast 50 Millionen Euro, was den Export hemmt. Käufer ist trotz des hohen Preises allerdings die israelische Luftwaffe.
Rotodyne war extrem laut
In Großbritanien ging man anfangs einen technisch anderen Weg: Ingenieure bauten einen schweren Hubschrauber, der allerdings über eine richtige Tragfläche verfügte, an der zwei Motoren für den Horizontalflug befestigt waren. Diese Rotodyne der Flugzeugfabrik Fairey umschiffte das bekannte Kipp-Sicherheitsproblem dadurch, dass das Flugzeug als Hubschrauber startete und dann als normales Flugzeug weiterflog. Die Rotodyne war geschäftlich kein Erfolg – nicht zuletzt weil sie extrem laut war.
Dann aber gab es einen ganz anderen, neuen Anlauf zum Kippflüglerbau, zu dem sich Bell aus den USA und GKN aus Großbritannien zusammengetan hatten. Ziel war ein kommerzielles Flugzeug auf Basis der Osprey, das allerdings billiger als die militärische Maschine sein sollte. GKN verkaufte dann stufenweise den eigenen Hubschrauberbau an den italienischen Produzenten Agusta, der längst im Finmeccanica-Konzern beheimatet ist. Heute gibt es unter dem Namen AgustaWestland Hubschrauberproduktionsstätten sowohl in Großbritannien als auch in Italien.
Die Verbindung zu Bell wurde später freundschaftlich gelöst. Heute ist die so genannte BA609 ein italienisches Erzeugnis mit britischer Beteiligung. Die erste BA609 flog im Jahr 2003. Mit der Musterzulassung – nach schier unzähligen Modifikationen ähnlich wie zuvor bei der Osprey – wird nun noch für dieses Jahr gerechnet. Danach kann die Auslieferung der bestellten 70 Maschinen beginnen. Der endgültige Preis steht allerdings noch nicht fest.
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