Ahoi, Ingenieur!
Schiffsreisen gelten als Inbegriff bunter Urlaubsfreuden – wahlweise entspannend oder turbulent. Was sich hinter den Kulissen der Traumschiffe an Hightech und Hektik abspielt, darüber machen sich die wenigsten Reisenden Gedanken. Technische Neuerungen sind vor allem der Umwelt geschuldet. Die VDI nachrichten waren dabei, als sich die erst wenige Monate alte „Aidablu“ von Gran Canaria aus auf Kanarenrundfahrt begab.
Die Kulisse könnte kaum traumhafter sein: Bei 26 °C und wolkenlosem Himmel liegt das Kreuzfahrtschiff Aidablu vor Las Palmas, im Hafen der Kanareninsel Gran Canaria.
Vom Traumschiff in die Realität sind es nur wenige Meter, rund 30 Schritte die Gangway hinauf. An Bord bilden nicht ein smarter Kapitän und seine Offiziersmannschaft das Begrüßungskomitee, sondern ein streng dreinblickendes Sicherheitsteam. Wie einige Minuten zuvor am Flughafen checken zahlreiche Mitarbeiter die eintreffenden Passagiere, das Gepäck wird über Röntgenscanner inspiziert.
Vorbei der Traum vom Paradies auf hoher See? Keineswegs, denn damit haben die Passagiere die Strapazen einer langen Anreise hinter sich und die Freuden einer meist einwöchigen Kreuzfahrt rund um die Kanaren vor sich. Von dem, was sich hinter den Kulissen und den Schiebetüren auf den 14 Decks des 71 300 BRZ (Bruttoraumzahl) großen, 252 m langen und 32 m breiten Schiffsgiganten abspielt, bekommen die 2200 Gäste an Bord nichts mit.
Dabei lohnte sich das Eintauchen in die Parallelwelt, wo die meisten Mitglieder der 626-köpfigen Besatzung aus 17 Nationen ein Eigenleben gleich neben den Touristen führen. Während die Gäste sich auf Sonnendecks, in der großen Wellness-Oase oder in der einzigen Brauerei auf See erholen, ist die Besatzung bis zu sechs Monate lang sieben Tage in der Woche im Einsatz.
Kräftezehrend ist die Arbeit vor allem dort, wo die Hitze groß ist. Wie in der Wäscherei. Die zehn Mitarbeiter haben heute, am Tag, an dem die einen Passagiere abreisen, die anderen ankommen, alle Hände voll zu tun. „Am Wechseltag werden die Trommeln mit rund 11 t Wäsche gefüllt, darunter 7000 Poolhandtücher“, erläutert Hotel-Manager Eckart Redlich.
In Wäscherei und Küche sei, so Redlich, die Gefahr von Bränden am größten. Und im Maschinenraum, dem Herz der Aidablu. Hier hat Chefingenieur Klaus-Dieter Tkotsch das Sagen. Ein wortkarger Seebär mit kernigem Humor, der seit 42 Jahren zur See fährt, seit 1997 auf den Aida-Schiffen.
Tkotsch aber wird ernst, wenn es um die Aidablu geht, das jüngste Schiff der Flotte, das vor wenigen Monaten vom Stapel lief. „Es ist eines der modernsten Schiffe seiner Art weltweit“, weiß der Ingenieur, der in Warnemünde-Wustrow Schiffsbetriebstechnik studierte und dem heute auf der Aidablu 54 Mitarbeiter unterstehen, vom Klempner über den Techniker bis zum IT-Fachmann.
Tief im Inneren des Schiffes, in der Wache, kontrollieren Techniker und Ingenieure alle technischen Anlagen und Systeme, vor allem den diesel-elektrischen Hauptantrieb mit zwei parallel und unabhängig voneinander arbeitenden Antriebssträngen. Die Stromversorgung stellen vier Dieselgeneratoren mit einer Leistung von je 9000 kW sicher, die flexibel zu- und abgeschaltet werden. Es wird nur so viel Energie erzeugt, wie gerade benötigt wird. Der Silikonanstrich des Schiffsrumpfes tut sein Übriges: Er verringert den Wasserwiderstand und senkt somit den Treibstoffverbrauch. Auf der Rundreise um die Kanaren fährt die Aidablu mit der ökonomisch sinnvollen Geschwindigkeit von rund 14 Knoten, sie könnte bis zu 22 Knoten schaffen.
Das Automatisierungssystem sammelt Daten von 13 000 Messpunkten auf dem Schiff. Fast permanent flackert eine der roten Signalanzeigen auf. Kein Anlass für „Senior Ingenieur“ Eduard Porringa, in Hektik zu geraten. Das System meldet auch geringe Störungen, wie den Ausfall einer Heizung.
Der Niederländer ist als Mittler zwischen „Chief Engineer“ Klaus-Dieter Tkotsch und den Technikern der Wache die Ruhe in Person. „Als ich noch in Dubai für Wartung und Reparatur auf einem Baggerschiff verantwortlich war, passierte alle Nase lang etwas. Da gab es immer Probleme. Das ist hier anders.“
Auch wenn heute das meiste digital gesteuert werde, arbeite er immer noch – und deutet vom Wach- auf den Maschinenraum – gerne jenseits der Türe, dort, wo man schmutzig wird.
„Wir hatten mal einen Norweger, der kam mit der stark automatisierten Technik gar nicht klar“, erinnert sich Chefingenieur Tkotsch. Er könnte mehr Kollegen von der Sorte eines Eduard Porringa gebrauchen. „Den jungen Mitarbeitern, die heute zu uns kommen, fehlt zumeist die Praxiserfahrung. Früher war es üblich, zur See zu fahren und dann ein Studium draufzusatteln. Heute gehen die Leute auf die Uni und dann erst aufs Schiff. Klar, dass da was fehlt.“
Dieses Manko soll die „European Cruise Academy“ von Aida auffangen, auf der die nautischen und technischen Offiziere, leitende Ingenieure und Kapitäne von morgen ausgebildet werden. Dabei zählt nicht nur Fachwissen zu den Lehr- und Lerninhalten, sondern auch der Umgang mit Menschen. „Wir haben ja schließlich mit Menschen zu tun, nicht mit Fracht“, kommentiert Tkotsch kurz und trocken.
Das Interesse an Aida Cruises ist groß. Jährlich stellen sich insgesamt rund 14 000 Bewerber den Auswahlverfahren der Rostocker Reederei.
Der technisch orientierte Nachwuchs werde sich mit neuen Herausforderungen beschäftigen müssen, meint Tkotsch. Noch werden Schiffe wie die Aidablu mithilfe von Schweröl angetrieben. Warum in Zukunft nicht mit Brennstoffzellen oder Gas? Im Zuge steigender Umweltanforderungen seien solche Planspiele nachvollziehbar, allerdings müssten „dazu etwa im Falle von Gas die landseitigen Voraussetzungen geschaffen werden“.
Vorauseilend hat Aida Cruises große Teile seiner Flotte, die von der Meyer Werft in Papenburg gebaut wurden, bereits mit landseitigen Stromanschlüssen und einer Verkabelung zur Nachrüstung von Schalttafeln versehen. Als Übergangslösung sind „Dual-Fuel-Motoren“ geplant, die mit Öl, Diesel sowie mit Gas befeuert werden können, um eines Tages das schwefelhaltige Schweröl zu ersetzen, das ab 2020 verboten ist. In den Tanks der Aida befinden sich bis zu 2400 t Schweröl (Tagesverbrauch: 45 t).
Technologische Innovationen bieten sich nicht nur im Sinne der Umwelt an, sondern auch für die Wirtschaftlichkeit der Reedereien. In absehbarer Zeit wird auch die Schifffahrt Abgaben auf CO2-Emissionen zahlen müssen.
Zum Schutz der Meeresumwelt soll das internationale Marpol-Abkommen verschärft werden. Noch aber kann in vielen Gewässern fast jeder Schiffsmüll ins Meer gekippt werden. „Bei uns geht nichts über Bord“, so Philipp Neuhaus, der Umweltoffizier an Bord der Aidablu.
Der 32-jährige Schwabe hat als Facharbeiter bei Siemens angefangen, um an der FH Lübeck in Umweltingenieurwesen abzuschließen. Jetzt reicht sein Aufgabengebiet von der Altölentsorgung über die Wasseraufbereitung, die Schulung neuer Mitarbeiter bis zur Verarbeitung des Mülls und dessen Deklarierung in den Zielhäfen.
Mit schwäbischer Gründlichkeit überwacht Umweltmanager Neuhaus Abwassersystem und Müllrecycling, schließlich hat Aida Cruises einen guten Ruf als umweltbewusster Arbeitgeber mit mehrfacher Auszeichnung zu verteidigen. Deshalb schaut er seinen Kollegen auch in Bars, Restaurants und Küchen genau auf die Finger. „Ich muss auch die Hygienevorschriften kennen, darf aber nicht als wichtigtuender Kontrolleur auftreten. Das vermiest die Atmosphäre an Bord.“
Was noch brauchbar ist, wird genutzt. So wird das in den Klimaanlagen anfallende Kondensatwasser als Brauchwasser für die Wäscherei verwendet.
Das gesamte Abwasser wird mithilfe eines Membranverfahrens aufbereitet. Klärschlamm wie Speisereste werden entwässert, getrocknet und mit dem Restmüll in der bordeigenen Müllverbrennungsanlage verbrannt. Eine Recyclinganlage zerkleinert und presst Papier, Glas und Konserven. Der Reststoff wird im Hafen abgegeben.
Ein Labyrinth aus Treppen und Leitern ist vom Inneren des Schiffes bis auf die Brücke zurückzulegen. Oben thront Dr.-Ing. Friedhold Hoppert, Kapitän der Aidablu, der 1966 als „Lehrbursche zur See“ anfing und seit 1996 der 5000-köpfigen Aida-Belegschaft angehört.
Seitdem habe sich einiges geändert, Wesentliches ist geblieben. „Die Naturbedingungen sind die gleichen wie früher. Was aber stark an Bedeutung gewonnen hat, sind computergestützte Verfahren und Systeme wie GPS. Früher setzten sich die Schiffe bei Notfällen über Telegrafie in Verbindung. Heute koordinieren ,Rescue Coordination Center“ die Rettung der in Seenot geratenen Schiffe.“
Trotz aller Technik sei der Mensch keineswegs überflüssig. Ortet das elektronische System ein Objekt auf dem Meer, liegt immer noch das Fernglas bereit.
Die Zeit des Chefs ist knapp bemessen. Fest geregelte Arbeitszeiten kennt der Kapitän nicht. Hoppert bittet die neugierigen Gäste von der Brücke. Gleich geht die Fahrt in Richtung Fuerteventura weiter. WOLFGANG SCHMITZ
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