Auf dem Weg zum intelligenten Güterverkehr
Schneller als erwartet erholt sich der weltweite Güterverkehr von den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise. In den kommenden Jahren wird er noch deutlich zunehmen – darüber waren sich die Experten auf der 63. IAA Nutzfahrzeuge in Hannover einig. Zugleich wird auch Deutschlands Bedeutung als Transitland für Transporte wachsen – ganz besonders auf der West-Ost-Achse von den „ARA-Häfen“ Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen in die Wachstumsmärkte Osteuropas.
Wie sich das absehbare Mehr an Güterverkehr effizient und umweltverträglich bewältigen lässt, welchen Einfluss die Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationssystemen (IuK) auf die Logistik haben wird und wie die Transportsysteme von morgen aussehen, ließ die EU-Kommission in der Studie „Intelligent Cargo Systems“ untersuchen. Auf der 63. IAA Nutzfahrzeuge vom 23. bis 30. September in Hannover wurde die vom Karlsruher Verkehrsplanungsunternehmen PTV erarbeitete Studie vorgestellt. Zwei Zukunftsszenarien sind darin beschrieben: ein realitätsnahes, auf das Jahr 2020 bezogenes, und ein visionäres für das Jahr 2035.
Trend Nr. 1 ist, wie PTV-Projektleiter Marcel Huschebeck erläuterte, die Entwicklung von vernetzten Transportsystemen. Zur Steuerung von Transport-, Lager- und Umschlagprozessen bedienen sich Unternehmen zunehmend der RFID-Technologie (Radiofrequenzidentifikation), um Container auf ihrem Weg rund um den Globus schon jetzt lückenlos verfolgen zu können.
Ein praktisches Beispiel dafür, wie sich Transportkosten senken lassen, wenn im Lieferverkehr die Logistikeffizienz durch eine optimierte Beladung der Fahrzeuge in Verbindung mit einer dynamischen Tourenplanung und -steuerung gesteigert wird, schilderte Boris Paul, „Smart-Truck“Projektleiter von DHL Express, dem Paket- und Kurierdienst der Deutschen Post, Bonn. Bei dem Projekt hatte das Unternehmen im Frühjahr 2009 für die Paketzustellung in der Berliner Innenstadt zwei entsprechend ausgerüstete Kleintransporter eingesetzt – und damit gute Erfahrungen gemacht.
Traditionell sei die Routenplanung der Expressfahrer „eher statisch“, erläuterte Paul. Sie orientiere sich an Postleitzahlen und Zustellbezirken. Beim Test wurden Pakete und Päckchen mit Funketiketten und GPS-Ortsmarken versehen. Anhand dieser Daten errechneten die Bordcomputer optimale Routen. Optimal bedeutet, dass die Streckenführung permanent aktualisiert wird. Dabei berücksichtigt das System sowohl Echtzeit-Informationen über die aktuelle Verkehrslage, etwa zu Staus, oder Umleitungen, als auch neue Abholaufträge. Ein Ampelsystem zeigt dem Fahrer an, ob er die richtige oder eine falsche Sendung gegriffen hat.
Die Erwartungen seien „weit übertroffen“ worden, berichtete Paul. Bei den Tourenkilometern habe die Ersparnis mehr als 10 % betragen. Positiv zu Buche schlagen neben den daraus resultierenden Einsparungen an Kraftstoff, Zeit und Geld die Reduzierung der Kohlendioxidemissionen (CO2). Inzwischen sind 14 Smart Trucks in Berlin und Brandenburg unterwegs, noch in diesem Jahr soll ein weiterer Feldversuch in Köln anlaufen.
In zehn Jahren, so das Szenario 2020 der PTV-Studie, sollen Planungs- und Steuerungssysteme flächendeckend im Einsatz sein, dynamische Datenquellen genutzt werden sowie Standardformate und -schnittstellen sich für die gesamte Transportkette durchgesetzt haben.
Das Szenario 2035 beschreibt eine autonome Transportwirtschaft, in der sich die Güter selbst den optimalen Weg durch das vorhandene Transportnetzwerk suchen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Erst einmal will die Hürde „EU-einheitliche Standards“ genommen werden.
Die EU-Kommission werde die notwendige Koordinierungsarbeit vorantreiben, kündigte Wolfgang Hoefs von der Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien – IKT für den Verkehr der EU-Kommission in Hannover an. Als größte Herausforderungen sieht der Experte dabei die Komplexität und Dimension, die hohe Fragmentierung des Marktes und den Investitionsbedarf an. Das „Weißbuch Verkehr“, das derzeit in Brüssel erarbeitet werde, soll die strategische Planungsgrundlage für die zukünftige europäische Verkehrspolitik bilden und noch in diesem Jahr vorgelegt werden.
ANNE SCHNELLER/Si
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