Autohersteller können jährlich Milliarden € durch Teilnahme am CO2-Handel sparen
Bis zum Jahr 2020 soll die Autoindustrie, so eine Verordnung der EU, die durchschnittlichen CO2-Emissionen je Pkw ihrer Neuwagenflotte von 159 g/km in 2007 auf 95 g/km senken. Technisch ist das möglich, aber zu deutlich höheren Kosten als in anderen Industrien. Volkswirtschaftlich sinnvoller wäre es, die Automobilindustrie in den EU-weiten Handel mit CO2-Zertifikaten für emittierende Anlagen einzubeziehen, meinen Andreas E. Zielke von McKinsey und Wolf Friedrich Spieth von Freshfields im folgenden Beitrag.
Alle Automobilhersteller stehen derzeit vor der Aufgabe, die EU-Maßgaben der Pkw-CO2-Verordnung zu erfüllen. Dabei kreisen die Überlegungen um die Frage: Mit welcher Technologie und zu welchen Kosten lassen sich die Vorgaben zur CO2-Minderung von 159 g CO2/km im Jahr 2007 auf 95 g CO2/km in 2020 erfüllen?
Zur Vermeidung von CO2-Emissionen bietet sich zunächst an, konventionelle Fahrzeuge zu optimieren. Die verschiedenen technischen Optionen lassen sich in vier Pakete einteilen.
-Paket 1 umfasst eine leichte Gewichtsreduzierung, Rollwiderstand reduzierende Reifen sowie variablen Ventiltrieb und eine moderate Reibungsreduzierung im Ottomotor. Im Durchschnitt der europäischen Pkw-Segmente und Motorisierungen ist damit im Jahr 2020 eine Emissionsreduzierung von rund 19 g CO2/km gegenüber 2007 zu erwarten. Die Kosten dieses Optimierungsschritts betragen rund 240 €/Fahrzeug.
– Paket 2 beinhaltet über Paket 1 hinaus ein moderates Downsizing, eine stärkere Gewichtsreduzierung, elektrifizierte Nebenaggregate, optimierte Aerodynamik sowie ein Start-Stopp-System. In Kombination aus Paket 1 und 2 lässt sich eine Emissionsreduzierung von rund 32 g CO2/km erreichen, die durchschnittlichen Kosten liegen bei ca. 550 €/Fahrzeug.
-Im Paket 3 werden zusätzlich Leichtbau und Reibungsreduzierung voll ausgereizt sowie das Start-Stopp-System um Bremsenergierückgewinnung erweitert Ottomotoren arbeiten mit maximalem Ladedruck und schöpfen so das Downsizing-Potenzial voll aus. Hierdurch wird eine Gesamtreduzierung von 48 g CO2/km erreicht, die Mehrkosten steigen auf rund 1100 €/Fahrzeug.
-Paket 4 ergänzt die technischen Optimierungsschritte um homogene Direkteinspritzung bei Ottomotoren sowie optimierte Getriebe und erreicht so eine Gesamtersparnis von 54 g CO2/km zu Mehrkosten von ca. 1400 €/Fahrzeug.
Die durchschnittlichen CO2-Emissionen europäischer Neuwagen lassen sich durch die Optimierung des klassischen Antriebsstrangs somit auf insgesamt 105 g CO2/km reduzieren. Es fehlen also noch knapp 10 g CO2/km, die über die Optimierung klassischer Technologie nicht zu erreichen sind – neue Konzepte sind erforderlich.
Hier steht vor allem die graduelle Elektrifizierung im Fokus: Die bestehenden Konzepte – vom milden Hybrid über Vollhybrid bis zum batterieelektrischen Fahrzeug – bieten die erforderlichen Emissionsvermeidungspotenziale, um die CO2-Grenzwerte einzuhalten. Sie erfordern aber auch durchschnittliche Investitionen von zusätzlich rund 500 €/Fahrzeug, um die restlichen 10 g CO2/km einzusparen. Würden alle technischen Optimierungsschritte zur Erreichung der EU-Grenzwerte umgesetzt, dann kommen auf die Hersteller zusätzliche Herstellkosten von insgesamt 1900 €/Fahrzeug zu.
Setzt man die Mehrkosten für CO2-Technologien ins Verhältnis zu den erzielten Einsparungen, dann wird deutlich: Etwa die ersten 50 % der Emissionsvermeidung sind beim Pkw zu überschaubaren Zusatzkosten erreichbar, weitergehende Verbesserungen werden zunehmend teurer pro vermiedenem Gramm CO2 und zudem technisch deutlich herausfordernder.
Teuer erkauft: Die letzten
10 g CO2/km zur Normerfüllung
Jedes eingesparte Gramm CO2/km verursacht im ersten Maßnahmenpaket 13 €/gCO2 zusätzliche Herstellkosten, während im zweiten, dritten und vierten Maßnahmenpaket jeweils 24 €/g CO2, 47 €/g CO2 oder 51 €/g CO2 je km anfallen.
Neben den zusätzlichen Herstellkosten von 1900 € pro Fahrzeug erfordert CO2-Vermeidung aber auch Mehraufwand in Forschung und Entwicklung auf Herstellerseite. Da die Zahlungsbereitschaft der Autokäufer für die Einhaltung der abgesenkten Verbrauchsziele gering ist, resultieren die Aufwendungen der Hersteller mit großer Wahrscheinlichkeit in erheblichen Gewinneinbußen. Kumuliert belasten die technischen Optimierungsschritte zur Erreichung der Grenzwerte die deutsche Automobilindustrie zwischen 2008 und 2020 mit Mehrkosten von rund 115 Mrd. €.
Bei den technischen Lösungen auf Fahrzeugebene werden die Ressourcen zum Erreichen der CO2-Grenzwerte jedoch nicht optimal eingesetzt. Im Vergleich wird deutlich, dass die Vermeidungskosten der Automobilindustrie um ein Vielfaches höher sind als in anderen Industrien. So lag der Preis für ein Zertifikat über ein Emissionsrecht von einer Tonne CO2 in den letzten zwölf Monaten relativ konstant zwischen 12 € und 15 €. Für die dritte Handelsperiode von 2013 bis 2020 wird mit einem Zertifikatpreis von rund 30 € bis 50 € gerechnet. Wie Berechnungen zeigen, liegt der äquivalente Wert für die Vermeidungskosten in der Automobilindustrie mit ca. 130 € bis 150 €/t CO2 rund drei- bis fünfmal so hoch.
Die Nebenrechnung zeigt: Ein europäischer Pkw legt in Europa im Laufe seiner Nutzung 160 000 km bis 180 000 km zurück. Die durchschnittlichen spezifischen Emissionen von 159 g CO2/km (Stand 2007) bewirken damit einen Gesamtausstoß von 25 t bis 29 t CO2 pro Pkw in seiner Gesamtlaufzeit. Wird das Ziel von 95 g CO2/km erreicht, sinkt der Gesamtausstoß auf 15 t bis 17 t CO2 pro Pkw über seine gesamte Laufzeit. Diese Zahlen beruhen auf Normverbräuchen gemäß NEFZ. Der reale Verbrauch liegt in aller Regel höher. Unter Annahme eines Mehrverbrauchs von 25 % ergibt sich bei Erfüllung der CO2-Grenzwerte der EU eine tatsächliche CO2-Vermeidung pro Pkw von 12,5 t bis 15 t CO2. Bei Vermeidungskosten in Höhe von 1900 €/Fahrzeug ergibt sich dafür ein Kostensatz von 130 € bis 150 €/t CO2.
Warum sollte die Erweiterung des CO2-Zertifikatehandels der EU ab 2013 die Autoindustrie ausschließen?
Die deutlich höheren CO2-Vermeidungskosten beim Pkw als bei anderen Industrien führen volkswirtschaftlich betrachtet zu einer massiven Fehlzuordnung von Ressourcen: Ein vertretbarer Aufpreis für die Vermeidung von 12,5 t bis 15 t CO2 – pro Pkw während seiner Gesamtlaufzeit – läge bei 380 € bis 750 € je Pkw. Somit werden pro Fahrzeug 1150 € bis 1520 € ineffizient eingesetzt.
Für 2020 werden im EU-27-Raum rund 18 Mio. Neuzulassungen erwartet. Damit ergäbe sich eine Fehlzuordnung von 21 Mrd. € bis 27 Mrd. € pro Jahr. Würde dieser Betrag – vermittelt über den Zertifikatehandel – für die jeweils effizientesten Vermeidungsmaßnahmen aufgewendet, so könnten bei einem Preis von 50 €/t CO2 das Äquivalent von etwa 23 t bis 30 t CO2 pro Fahrzeug (!) eingespart werden. Hochgerechnet auf den Gesamtabsatz in 2020 käme ein Reduktionspotenzial von 420 Mio. t bis 540 Mio. t CO2 zusammen. Das entspricht 65 % bis 80 % der Emissionen des gesamten Pkw-Sektors der EU-27 in Höhe von ca. 800 Mio. t. Das europäische Emissionshandelssystem ETS bietet einen nahe liegenden Ausweg. Der EU-weite Handel mit CO2-Emissionszertifikaten zwischen Industrien stellt sicher, dass CO2-Vermeidung jeweils dort stattfindet, wo die geringsten Vermeidungskosten anfallen.
Teilnahme am EU-Emissionshandelssystem ist eine Alternative zur technischen Vermeidungsstrategie.
Die Teilnahme am Emissionshandel würde der Autoindustrie Differenzierungschancen eröffnen. Bei freigestellter Teilnahme könnten die Hersteller frei entscheiden, bis zu welchem Grad sie zur Erreichung der unveränderten Reduktionsziele auf technische Mittel setzen – um für die dann noch verbleibenden CO2-Emissionen, die nicht auf wirtschaftlich vertretbarem Weg reduziert werden können, Zertifikate zuzukaufen.
Jeder Hersteller könnte seinen Umgang mit der CO2-Vermeidung zur weiteren Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb nutzen und so seine Marktposition stärken.
Eine solche Teilnahme ist technisch und rechtlich möglich. So hat schon der Sachverständigenrat im Jahr 2007 die damals von der EU-Kommission beratene Teilnahme des Autosektors an der ersten Phase des ETS für „sinnvoll“ befunden.
In der Zwischenzeit hat das ETS seine Kinderkrankheiten überwunden und in der 2013 anlaufenden Phase 3 werden zusätzliche Industriezweige, zum Beispiel die Petrochemie und Aluminiumherstellung, in das ETS aufgenommen. Warum nicht auch der Automobilsektor? Für die Aufnahme des Automobilsektors besteht ökonomisch aller Anlass, es gibt keine prinzipiellen Hürden aus rechtlicher Sicht und es bietet sich mit der ohnehin anstehenden Erweiterung eine gute Gelegenheit.
A. E. ZIELKE, W. F. SPIETH
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