Automatisierte Schaltgetriebe legen in Nutzfahrzeugen einen Zahn zu
VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 9. 06, wop – Automatisierte Schaltgetriebe nehmen in Nutzfahrzeugen richtig Fahrt auf – 20 Jahre nach Einführung der elektronisch-pneumatischen Schaltung. Neben dem Komfort der einfachen kraftfreien Bedienung bietet sie die Sicherheit vor materialmordenden Schaltfehlern und Kupplungsstandzeiten von 1 Mio. km im Fernverkehrseinsatz.
Ergonomie heißt bei Nutzfahrzeuge ebenso wie bei Pkw zielgerichtete Automatisierung und Bedienungsvereinfachung. Dabei stehen die steigenden Bedürfnisse der Kunden meist im Vordergrund. So bieten automatisierte Schaltgetriebe (ASG) den Betriebswirtschaftlern die Plangröße, dass mit ASG von materialmordenden Schaltfehlern Abschied genommen werden kann. Auch die Verlängerung der Kupplungsstandzeiten – im Fernverkehr ist die 1-Mio.-km-Marke erreichbar – spart Kosten. Über den Ergonomiegewinn sprich Komforterhöhung, einfache, kraftfreie Bedienung, freut sich der Fahrer.
Da jedes Kilogramm Nutzlastgewinn zählt, dürfte Spediteure der Gewichtsvorteil von gut 50 kg durch den Entfall der Synchroneinrichtung freuen, wenn das Grundgetriebe des ASG gezielt für den Einsatz im automatisierten Schaltgetriebe konstruiert wurde.
Über die betriebswirtschaftlichen Aspekte hinaus macht der immer dichter werdende Verkehr jede Art der Fahrerentlastung eigentlich zur selbstverständlichen Verpflichtung – ist sie doch auch sicherheitsrelevant.
Der ersten Fremdkraftschaltung, die elektronisch-pneumatische Schaltung (EPS), mit der Mercedes-Benz seine schweren Lastwagen und Sattelzugmaschinen von 1986 an aufpreisfrei ausrüstete und damit der fortschreitenden Automatisierung der Lkw-Bedingung den entscheidenden Anstoß gab, folgten die schwedischen Hersteller Scania und Volvo. Inzwischen sind auch Iveco, MAN, Renault und DAF längst mit von der Partie.
Während DAF, Iveco und MAN durchweg auf die „AS-Tronic“ des unabhängigen Getriebeherstellers ZF setzen, fertigen Mercedes-Benz, Scania und Volvo ihre Getriebe selbst. In Renaults sind jetzt auch Volvo-Schaltboxen zu finden, denn die französische Lkw-Marke gehört seit 2002 zu Volvo Trucks.
Das neueste ASG am Markt ist das System „Powershift“ von Mercedes-Benz. Es ersetzt die auf einem mechanisch-synchronisierten 16-stufigen Schaltgetriebe basierende „Telligent-Schaltautomatik“, die seit 1996 als Sonderausstattung im Schwer-Lkw Actros angeboten wurde. Bautechnische Basis der neuen Großserien-Getriebe (G211-12 K und G281-12 K) sind die bisherigen 16-Gang-Synchrongetriebe.
Teilintegriert am Getriebegehäuse sind die pneumatischen Gangsteller für die drei Hauptgänge sowie die Vor- und Nachschaltgruppe, und natürlich der feinmotorisch agierende Druckluftsteller für das vollautomatisch-gefühlvolle Aus-, vor allem aber Einrücken der serienmäßigen Reibkupplung. Selbstverständlich sind die neuen Klauengetriebe für die Ausstattung mit Nebenantrieben wie der Einbindung des Voith-Sekundär-Retarders vorbereitet.
Powershift baut auf den Steuerungsparametern der Telligent-Schaltautomatik auf. Dazu zählt neben dem reinen Kupplungs- und Gangwechsel-Management vor allem die feine Sensierung der aktuellen Fahrzustände und ihrer Bewertung sowie deren Umsetzung in eine praxisgerechte Schaltstrategie. Für den Getrieberechner ist es wichtig, wie schwer das Fahrzeug gerade ist, in welchem topographischen Terrain es sich bewegt, und welche Fahrleistungswünsche der Fahrzeugführer gerade hegt.
Nach dem die Steuerungselektronik die Daten verarbeitet und sich kalibriert hat, erfolgen adaptive Anpassungen des Schaltprogramms nach variablen Schaltkennfeldern. Reaktive Strategien nennen das die Getriebetechniker und meinen damit das schnelle Reagieren auf plötzlich auftretende äußere Einflüsse.
Regeleingriffe von ABS oder vom Antischleudersystem ESP gehören dazu, aber auch der bisweilen schlupffördernde Einsatz des Sekundärretarders bei dynamisch niedriger Last auf der Antriebsachse. Auch die Regelung des Abstandsregeltempomaten (Telligent-Abstandsregelung) will im Antriebsstrang-Management verarbeitet sein.
Mit Einführung der „AS-Tronic“ von ZF, die ihren Ersteinsatz vor zehn Jahren als „Eurotronic“ bei Iveco erlebte, begann der – mit Ausnahme Scanias fast vollständig vollzogene – Abschied von der mechanischen Synchronvorrichtung aus den drei- oder vierstufigen Grundgetrieben. An ihre Stelle tritt die elektronische Synchronisierung.
Möglich werden derart automatisierte Vorgänge durch den massiven Einsatz von Steuerungselektronik und Aktoren. Sowohl Kupplung, Getriebe als auch die Motorregelung sind dem Rechner unterworfen. Letzteres in Gestalt einer elektronischen Dieselregelung. Im Zusammenspiel mit dem automatisierten Schaltgetriebe übernimmt die elektronische Einspritzregelung selbsttätig das dosierte Gasgeben und -wegnehmen während des Übersetzungswechsels.
Bei Volvo wurde das synchronisierte ASG „Geartronic“ durch das wesentlich modernere Schaltsystem „I-Shift“ ersetzt. Wie bei der AS-Tronic sind hier die Schaltstufen im Hauptgetriebe nicht mehr mechanisch zwangssynchronisiert. Besonders schnelle Übersetzungswechsel machten die schwedische Schaltbox zum Maßstab bei automatisierten Lkw-Schaltgetrieben. H.-J. WILDHAGE/WOP
Gewichtsersparnis von rund 50 kg erhöht die Nutzlast
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