Bahn: Neue Antriebe sollen Strecken effizienter machen
Die Zahlen sind erstaunlich: 40 Prozent des Schienennetzes werden für nur zehn Prozent des gesamten Verkehrs genutzt. Und doch sind diese Nebenstrecken elementar für Pendler. Weil es hier oft an Oberleitungen mangelt, sollen neue Antriebe helfen – denn die Diesellok hat ausgedient.
Wer in diesen Tagen etwas über die Bahn schreibt, tut sich offenbar schwer, auf Metaphern und kleine Sprachspielchen zu verzichten. Die Versuchung ist einfach zu groß. Von „Mehrgleisigkeit“ ist dann die Rede, oder davon, dass „jetzt die Weichen gestellt“ werden. Nämlich für die Zukunft der Bahn. Auch wenn man als Pendler sehr leicht das (nicht immer ganz faire, weil sehr subjektive) Gefühl haben kann, dass das Konstrukt Bahn seit Jahren auf dem Abstellgleis verrottet (pardon, der musste sein), tut sich was. Die Deutsche Bahn investiert kräftig, 13,6 Milliarden Euro sollen in die Modernisierung der Infrastruktur fließen: Tauende Kilometer Gleise, gut 2000 Weichen, 140 Brücken und 800 Bahnhöfe sollen erneuert werden. Für diese Aufgabe will der Konzern allein in diesem Jahr 4.800 zusätzliche Ingenieure und andere Fachkräfte einstellen. Wohlgemerkt: Dabei geht es vornehmlich um die Erhaltung des Status Quo.
Aber auch die Weiterentwicklung rückt den Fokus, vor allem beim Thema alternative Antriebe. Bahnbetreiber und Zulieferer betonen nicht nur hierzulande, ein maßgeblicher Teil der Lösung der Klimakrise zu sein – dafür muss das System Bahn allerdings auch selbst effizienter und klimafreundlicher werden. Die Elektrifizierung der Bahn voranzutreiben, ist unumgänglich, da sind sich Expertinnen und Experten einig. Und die internationale Branche fährt hier eben – nun ja – mehrgleisig. Die gängigsten Optionen, an denen getüftelt wird: Antriebe per Batterie, Brennstoffzelle (Wasserstoff) oder Wasserstoffverbrennungsmotor. Live und in Farbe kann man die Ergebnisse der Tüftelei aktuell auf der Bahntechnikmesse Innotrans in Berlin sehen: Bis Freitag zeigen mehr als 2800 Aussteller neuartige Hybridloks, Multisystemloks und Zweikraftloks. Nach vier Jahren Pause öffnet an diesem Dienstag in Berlin wieder die Bahntechnik-Messe Innotrans.
Bahn: Auf 40 Prozent des Netzes laufen nur zehn Prozent des Verkehrs
61 Prozent des 33.000 Kilometer langen Streckennetzes in Deutschland sind bereits elektrifiziert, 90 Prozent des Bahnverkehrs laufen über diese Schienen. Erstaunlich: auf immerhin fast 40 Prozent des Gesamtnetzes verkehren entsprechend nur zehn Prozent des deutschlandweiten Bahnverkehrs. Gerade auf diesen Strecken lohne sich der Einsatz alternativer Antriebe, so Rüdiger Wendt vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI): „Antriebe mit Oberleitung sind im Bahnverkehr das Mittel der Wahl, weil sie am effizientesten sind. Doch überall da, wo es Lücken bei der Elektrifizierung gibt, bietet sich der Einsatz von Wasserstoffzügen und Batteriefahrzeugen an.“ Bei Batteriefahrzeugen werde der Fahrdraht direkt für die Versorgung des Antriebs verwendet, zeitgleich kann die Batterie sowohl während der Fahrt als auch im Stillstand geladen werden. Allerdings fehlt an großen Teilen dieser weniger befahrenen, aber dennoch notwendigen Strecken eben an Oberleitungen. Hier könnten Ladestationen verwendet werden, heißt es beim VDI. Aber: „Batteriefahrzeuge haben den Nachteil, dass die Reichweite begrenzt ist und die Ladezeit betrieblich sinnvoll und zuverlässig realisiert werden muss.“
Wasserstoffzüge als Alternative für längere Bahn-Strecken ohne Oberleitung
Bei längeren Abschnitten ohne Oberleitung seien deshalb Wasserstoff-Brennstoffzellenfahrzeuge vorteilhafter, erklärt Tobias Bregulla vom Fachausschuss Wasserstoff und Brennstoffzellen des VDI und des Verband der Elektrotechnik (VDE): „Bei dieser Technologie wird Wasserstoff mit Luftsauerstoff in elektrische Energie umgewandelt und diese dann für den Antrieb genutzt. Neben Wasser entsteht als Nebenprodukt Wärme, die energiesparend sogar zum Heizen des Fahrgastraums bei kühlen Temperaturen genutzt werden kann. Derzeit setzen die am Markt verfügbaren Fahrzeugmodelle auf komprimierten gasförmigen Wasserstoff und erzielen Reichweiten von bis zu 1.000 Kilometern.“
Aktuell präsentiert zum Beispiel Siemens auf der Innotrans einen solchen Zug mit Wasserstoff-Brennstoffzelle; die Deutsche Bahn testet das Modell bereits. Andere setzen auf Hybridsysteme, zum Beispiel Züge, die mit Strom aus der Oberleitung fahren, aber zur Not auch mit Diesel fahren können. Und Toyota hat gemeinsam mit Hitachi und JR East bereits 2020 einen Hybrid-Zug namens Hybari angekündigt, der mit Brennstoffzellen-Technologie angetrieben wird.
Gigantische Konkurrenz aus China
Die Stimmung in der Branche ist gut: Die Hersteller haben volle Auftragsbücher und erwarten Rekordumsätze. Der Weltmarkt werde pro Jahr um jeweils drei Prozent wachsen, heißt es bei der Union des Industries Ferroviaires Européennes (UNIFE), dem europäischen Verband der Eisenbahnindustrie. „Wenn jemand einen signifikanten Beitrag für Klimaschutz und die erforderliche Verkehrswende leisten kann, dann ist das unsere Branche“, sagt etwa der Geschäftsführer des Verbands der Bahnindustrie in Deutschland, Axel Schuppe. Wenngleich die internationale Konkurrenz groß ist, vor allem in China, wo der weltgrößte Schienenfahrzeughersteller CRRC sitzt. Vonseiten der Politik beziehungsweise der Bahnbetreiber wünscht sich die Branche deshalb bei Ausschreibungen mehr Qualitäts- und Umweltkriterien, wo sich europäische und deutsche Hersteller im Vergleich zu den ostasiatischen Unternehmen im Vorteil sehen.
Der bisweilen gepeinigte Pendler fragt sich unterdessen, wann die schöne neue Bahnwelt denn wohl Realität werden kann. „Das bleibt immer ein Prozess, fertig wird das nie“, so VDI-Experte Rüdiger Wendt. Aber immerhin wird es womöglich besser – darauf zu warten lohnt sich, und ans Warten ist man als Bahnkunde ja gewöhnt.
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