„Borgward baute Autos, weil er Spaß daran hatte“
Vor 50 Jahren ging die Bremer Borgward-Gruppe pleite. Die abenteuerlichen Umstände dieser Insolvenz erinnern an einen Wirtschafts-Krimi und nähren bis heute den Mythos um die längst verblichene Automarke Borgward.
Carl Friedrich Wilhelm Borgward (1890-1963) hatte schon vor dem Zweiten Weltkrieg Personenwagen und Nutzfahrzeuge gebaut, bevor er in den 50er-Jahren zum Inbegriff des Wirtschaftswunders wurde. Im März 1949 präsentierte der Ingenieur auf dem Genfer Salon den Hansa 1500, den ersten deutschen Pkw mit Pontonkarosserie und Blinkern statt Winkern für die Fahrtrichtungsanzeige. Ein Jahr später starteten die Konzerntöchter Lloyd und Goliath ihre ersten Nachkriegsmodelle: den winzigen Lloyd LP 300 mit kunststoffbezogener Sperrholzkarosserie (vom Volksmund ‚Leukoplastbomber‘ genannt) und den Mittelklasse-Zweitakter Goliath GP 700.
Einen Volltreffer landete Borgward, der als oberster Konstrukteur und Designer an allen Modellen stets selbst letzte Hand anlegte, mit der 1954 vorgestellten Isabella. Mit ihrem attraktiven Design und für die damalige Zeit weit überdurchschnittlichen Fahrleistungen – die 55 kW starke TS-Version war über 150 km/h schnell – avancierte sie in der Wirtschaftswunder-Ära zum bevorzugten Gefährt arrivierter Freiberufler wie Ärzte, Architekten oder Rechtsanwälte.
Ärzte, Architekten oder Rechtsanwälte fuhren Borgward in der Wirtschaftswunder-Ära
Am anderen Ende der sozialen Skala wurde der Lloyd zum Schrittmacher der Massenmotorisierung. Belächelt und verspottet – „Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd!“ – war er dennoch der Traum unzähliger Arbeiter und kleiner Angestellter. Zum Erfolg der Borgward-Gruppe hat dieser „Trabi West“ erheblich mehr beigetragen als verlustträchtige Prestigeobjekte wie der Sechszylinder Hansa 2400, der Hubschrauber „Kolibri“ oder eine projektierte Reiselimousine mit Aluminiumkarosserie. „Andere bauen Autos, um Gewinne zu machen“, so sein ehemaliger Nutzfahrzeug-Vertriebschef Hans Bertuleit, „Borgward baute Autos, weil er Spaß daran hatte.“
Die Blütezeit des Borgward-Konzerns dauerte von 1953 bis 1958. In diesem Zeitraum lagen die Fahrzeuge aus Bremen hinter Volkswagen und Opel auf dem dritten Platz der deutschen Neuzulassungen. Im Herbst 1960 brach der Absatz in Nordamerika, Borgwards wichtigstem Exportmarkt, ein. Der ein Jahr zuvor eingeführte Lloyd Arabella erwies sich als Verlustbringer und die Anlaufkosten für den neuen Oberklasse-Sechszylinder Borgward P 100 hatten ein gewaltiges Loch in die chronisch klammen Kassen gerissen. Die viel zu dünne Kapitaldecke des Konzerns war auch eine Folge von Carl Borgwards Eigensinn, der fremde Geldgeber ablehnte: „Banken und Versicherungen sind staatlich konzessionierte Betrüger!“
Wirtschaftssenator Karl Eggers erklärt Borgward am 30. Januar 1961 für zahlungsunfähig
Ende 1960 verbürgte sich der Bremer Senat aus Sorge um die mehr als 20 000 Arbeitsplätze für einen Überbrückungskredit von 30 Mio. DM. Mitte Januar beauftragte er dann den Münchner Wirtschaftsprüfer Johannes Semler, die Situation bei Borgward zu sondieren. Semler hatte nach Sanierungsaktivitäten bei Henschel und BMW einen umstrittenen Ruf: Einige hielten ihn für einen „Wunder-Sanierer“, der „Spiegel“ dagegen nannte ihn „Branchen-Totenvogel“. Dass er seit Februar 1960 Aufsichtsratsvorsitzender beim Konkurrenten BMW war, schien den Senat nicht zu stören. Der machte sich Semlers – falsche – Diagnose, Borgward sei nicht mehr kreditwürdig, zu eigen und stornierte die Auszahlung der dritten Rate. Am 30. Januar 1961 trat Wirtschaftssenator Karl Eggers vor die Presse und behauptete: „Borgward ist zahlungsunfähig!“ Der erfuhr davon abends vor dem Fernseher.
Nun nahm das Verhängnis seinen Lauf. Kunden stornierten ihre Aufträge, Zulieferer stellten die Lieferungen ein, Mitarbeiter kündigten. Am 4. Februar 1961 übertrug Borgward dem Land Bremen sein gesamtes Firmenvermögen von rund 150 Mio. DM. Sechs Tage später gründet der Senat mit 50 Mio. DM Grundkapital die Auffanggesellschaft ‚Borgward-Werke AG‘ – mit Semler als Aufsichtsratsvorsitzendem. Der gab an Händler und Lieferanten pathetische Durchhalteparolen aus und führte ergebnislose Verkaufsverhandlungen mit Volvo und Chrysler. Der damalige Senatspräsident Wilhelm Kaisen fällte Jahre später ein vernichtendes Urteil: „Dr. Semler erwies sich als eine Niete.“
Am 28. Juli 1961 beantragten die drei Firmen Borgward, Goliath und Lloyd Liquidationsvergleich, am 11. September 1961 wurde der Anschlusskonkurs eröffnet. Zwei Wochen später ging auch die erfolglose Auffanggesellschaft Borgward-Werke AG in Konkurs.
Antiquierte Konzernstruktur und chronische Unterkapitalisierung verantwortlich für Borgward-Konkurs
Wesentlich erfolgreicher als der dilettantische Sanierungsversuch des Bremer Senats verlief dank kompetenter Konkursverwalter die Abwicklung der drei Einzelfirmen Borgward, Goliath und Lloyd. Firmengebäude und Grundstücke wurden zügig verkauft: Borgward an Rheinstahl-Hanomag, Goliath an AEG und Lloyd an Siemens. Borgward Isabella und Lloyd Arabella wurden aus dem vorhandenen Teilebestand noch bis Mitte 1962 und Herbst 1963 weitergebaut. Auch die Ersatzteilfertigung lief weiter und brachte Geld in die Kassen, sodass Ende 1966 alle drei Teilfirmen die Ansprüche ihrer Gläubiger zu hundert Prozent befriedigen konnten – ein Novum in der deutschen Insolvenzgeschichte. Dieses Ergebnis gab der kursierenden Dolchstoßlegende – Borgward als Opfer politischer Intrigen – neue Nahrung. Wirtschaftsexperten waren allerdings schon damals überzeugt, dass die Pleite wegen der antiquierten Konzernstruktur und chronischen Unterkapitalisierung früher oder später unausweichlich gewesen wäre. Das unprofessionelle Vorgehen des Bremer Senats habe diesen Vorgang lediglich beschleunigt.
Der langjährige, kürzlich verstorbene Borgward-Werbeleiter Heinz Thomass sah das ebenso: „Borgward hatte den Karren bereits mit zwei Rädern in den Dreck gefahren, aber der Senat hat ihn dann mit allen vier Rädern vollends reingeschoben!“
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