Das Getriebe hat auch in Elektrofahrzeugen Zukunft
Für Hersteller von Getrieben und Kupplungen bringt die Elektromobilität Ungewissheit, wie lange ihre Kompetenz von der Automobilindustrie noch gefragt sein wird. Ähnliches gilt auch für Lieferanten aus der spanenden Metallverarbeitung. Ferit Küçükay, Professor für Fahrzeugtechnik, gibt Teilentwarnung. Aufgrund seiner Forschungen ist er überzeugt, dass Getriebe weiter gebraucht werden.
Leichtbau und Kosten gelten als zentrale Faktoren für den Erfolg oder Misserfolg von Elektrofahrzeugen. Günstig wäre es, wenn schwere, kostspielige Komponenten wegfallen. Ein oft genannter Streichkandidat: das Getriebe. Die Elastizität von Elektromotoren lässt es zu, darauf zu verzichten. Zum Rückwärtsfahren muss nur die Drehrichtung des Motors geändert werden.
Schlechte Zeiten also für Getriebehersteller und das zerspanende Gewerbe? – „Nein, das Getriebe wird uns auch in Verbindung mit Elektrofahrzeugen erhalten bleiben“, antwortet der Direktor des Braunschweiger Instituts für Fahrzeugtechnik, Prof. Ferit Küçükay. Er ist fest überzeugt, dass auch Stromer aus Gründen der Antriebseffizienz mehr als einen Gang haben werden.
Experte Küçükays erwartet Elektrofahrzeuge mit 2-Gang-Getriebe
Küçükays Institut hat in Simulationen die unterschiedlichsten Hybrid- und Elektroantriebskonfigurationen durchgespielt und dabei verschiedene Fahrstile und -zyklen, Fahrzeugtypen oder auch Beladungszustände zugrunde gelegt. Aufgrund der virtuellen Erfahrung, die in vielen Millionen Datensätzen einer Datenbank abgelegt ist, erwartet der Experte, dass die ersten Elektrofahrzeuge für den Massenmarkt 2-Gang-Getriebe haben werden. Auf lange Sicht erwartet er drei und mehr Gänge.
Der Grund liegt im Wirkungsgrad. Küçükay unterscheidet zwischen innerem und äußerem Wirkungsgrad von Getrieben. Während der innere von Einflüssen wie Zahn- und Lagerreibung oder dem Energiebedarf der Getriebe-Aktuatorik unterliegt, weist der äußere Wirkungsgrad über die Grenzen des Getriebes hinaus. „Die jeweiligen Übersetzungen haben großen Einfluss auf die Effizienz der Antriebsmaschine“, erklärt er. Sie sorgten unabhängig von der Art der Antriebsmaschine dafür, dass die Maschine seltener in ineffizienten Betriebspunkten arbeite. Wie viele Gänge bei einem Elektrofahrzeug sinnvoll sind, ist laut Küçükay Frage der Abwägung zwischen innerem und äußerem Wirkungsgrad.
Mehrgang-Getriebe sorgen für positive Energiebilanz
Mit der Zahl der Gänge steigen zwar Gewicht, Kosten und Bauraumbedarf. Doch diese Nachteile könne die effizientere Kraftübertragung überkompensieren. Unterm Strich ergebe sich eine positive Energiebilanz von Mehrganggetrieben. Ohnehin fällt das Mehrgewicht des Getriebes bei Stromern weniger ins Gewicht als bei Benzin- und Dieselfahrzeugen. Denn in einer Tank- bzw. Batterie-to-wheel-Betrachtung haben Elektroantriebe einen etwa 3,5-fach höheren Antriebswirkungsgrad. Dem bei Verbrennern üblichen Mehrverbrauch von circa 0,3 l auf 100 km je 100 kg Mehrgewicht entspräche bei Stromern demnach das Äquivalent von 0,086 l auf 100 km, was etwa 0,86 kWh entspricht.
Diesen Mehrverbrauch wiegt die optimierte Antriebsübersetzung auf. „Auch im Kennfeld von E-Motoren gibt es ja nicht überall den gleichen Wirkungsgrad“, so Küçükay. Ziel müsse es aber sein, Motoren so oft wie möglich im Optimalbereich laufen zu lassen, ob im urbanen Stop-and-go, auf der Autobahn oder an heftigen Steigungen, wo es an den Antriebsrädern durchaus Drehmomente von 2500 Nm brauche.
Alternative zum Getriebe ist das so genannte „Torque-Vectoring“, bei dem drehmomentstarken E-Motoren durch minutiöse Regelungstechnik jeweils die geforderte Leistung entlockt wird. Gerade wenn es sich dabei um Radnabenmotoren handelt, versprechen solche Ansätze große Designfreiheit und Effizienz. Allerdings ist die Systemauslegung der einzeln anzusteuernden Motoren kniffelig – und die Motoren selbst haben ihren Preis. Eine günstige Alternative: radnahe Elektromotoren, deren Leistung über ein bis zwei Getriebestufen übersetzt wird, um das Drehmoment am Rad per Gangwechsel punktuell steigern zu können.
Klare Vorteile für Mehrgang-Getriebe in Punkto Wirtschaftlichkeit
Küçükays Team hat solche Systemkonfigurationen ausführlich simuliert und dabei die Wirtschaftlichkeit analysiert. Ergebnis: Zentralmotoren mit Mehrganggetrieben haben klare Vorteile. Darum ist der Experte überzeugt, dass sie sich langfristig durchsetzen werden. Bei Radnabenmotoren sei der Regelaufwand selbst bei Geradeaus- und Kurvenfahrt hoch und in Verbindung mit Fahrerassistenzsystemen ungleich höher. Auch Nachteile wie die ungefederten Massen am Rad, die Schmutz-, Feuchtigkeits- und Temperaturproblematik sprächen dagegen, dass sich getriebelose Radnabenantriebe durchsetzen. „Die unbestrittenen Vorteile des Torque-Vectorings heben die Kosten- und Komplexitätsnachteile kaum auf“, resümiert er.
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