Gepanzerte Fahrzeuge 01.07.2011, 12:09 Uhr

Der Bedrohung immer einen Schuss voraus

Es passiert unerwartet schnell. Ein kurzer, dumpfer Einschlag, der nur gedämpft durch das Panzerglas der Besucherkabine dringt, dann ein Funkenregen.

Kleine Blitze sprühen in alle Richtungen. Das Projektil hat das Stahlblech, das weit hinten in dem Beschusskanal fixiert ist, nicht durchschlagen können.

Ein Monitor an der Wand nennt respektierliche Zahlen: Das Geschoss bewegte sich 818,33 m/s schnell und traf mit einer Energie von 3247,8 J auf. Als der Qualm verraucht, wird auf dem Stahl die leichte Einschlagdelle sichtbar.

Die Türen zum Beschusskanal öffnen sich wieder. Während der Tests sind sie automatisch verschlossen. „Sonst hätte sich der Schuss nicht auslösen lassen“, erzählt Oliver Hecht, während er den Einschuss begutachtet. Zufrieden reckt der junge Ingenieur den Daumen. „Versuch geglückt, Material standhaft.“

Das Geschäft mit der Sicherheit lebt von der Verschwiegenheit

Hecht ist einer von gut drei Dutzend Ingenieuren, die bei der IndiKar GmbH im sächsischen Wilkau-Haßlau arbeiten. Ihr Ziel: Automobile so sicher zu machen, dass ihre Insassen jede Art von Beschuss überstehen.

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„Worum es uns geht“, erläutert er, „ist die ballistische Härte dieses Panzerungselements.“ Worum es sich bei dem Teil genau handelt, verrät er nicht, genauso wenig wie den Kunden: „Über die spricht man nicht in unserem Metier.“ Denn das Geschäft mit der Sicherheit lebt nicht zuletzt auch von Verschwiegenheit.

Und von Sorgfalt und Präzision. Tagelang bepflastern Hecht und seine Kollegen die Automobilbauteile systematisch mit panzerbrechenden Hartkerngeschossen. Schon steht er wieder am Beschussgerät und richtet den Lauf neu aus: ein paar Millimeter nach links, eine Daumenbreite nach oben. Das Beschussgerät ist nicht viel mehr als ein dreh- und höhenverstellbarer Verfahrtisch, auf den sich unterschiedliche Gewehrläufe montieren lassen.

Minutiös werden die Bauteile beschossen, aus verschiedenen Entfernungen, wechselnden Winkeln, mit unterschiedlichen Kalibern. Gerade an potenziellen Schwachstellen der Automobilkarosserie wie Rundungen, Rändern oder Materialübergängen arbeiten sich Hecht und seine Kollegen planmäßig entlang, um zu prüfen, wie stark hier die Panzerung sein muss, wo sich aber auch Gewicht einsparen lässt.

Gepanzerte Fahrzeuge sollen nicht nur sicher sondern auch möglichst leicht sein

„Das ist halt der Trend“, sagt IndiKar- Geschäftsführer Ronald Gerschewski, der gerade von einem seinen immer zahlreicheren Kundengesprächen kommt. Steigende Materialkosten sowie ein möglichst wenig eingeschränktes Fahrverhalten erforderten selbst bei Panzerlimousinen eine gewisse „Leichtbauweise“. Zugleich erwarteten seine Abnehmer aber steigende Schutzeffekte: „Das Teufelszeug, das sich die Gangster dieser Welt wie auch die Munitionshersteller ausdenken, wird immer tückischer.“

„Wir sind eben deren Konterpart“, ergänzt Kfz-Ingenieur Meinhard Schröder. Nicht ohne Grund passe man alle zehn Jahre die Prüfnormen für Sonderschutzkomponenten, wie sie hier getestet werden, den wachsenden Gefährdungen an.

Schröder leitet den nagelneuen Beschusskanal in der ebenso neuen Fertigungshalle. Als einzige von bundesweit drei großen Spezialfirmen, die der Automobilindustrie fertigungsintegrierte Kits für den Sonderschutz maßschneidern, verfügen die Sachsen über solch eine Anlage, erklärt Schröder.

Ansonsten findet man diese nur bei staatlichen Beschussämtern, wo Jagd-, Sport- und Verteidigungswaffen sowie Munition geprüft werden.

Schröder, selbst Sportschütze, sitzt im Labor des Beschusskanals und dosiert hoch explosives Nitrozellulosepulver, sprich: Er bemisst die Treibladung der Patrone für den nächsten Schuss – „auf drei Stellen hinterm Komma“, sagt er, ohne von der elektronischen Waage aufzublicken. Andernfalls gäbe es keine sauberen Aussagen zur Belastbarkeit des Materials. „Gerade bei Grenzwertbeschuss ist das entscheidend.“

Auch die Entfernung vom Ziel ist streng geregelt durch staatliche Prüfrichtlinien. Und für jedes Kaliber und jede Waffenart kann er einen speziellen Lauf auf das Beschussgerät montieren – handgefertigt von einem fränkischen Büchsenmacher.

Selbst panzerbrechende Langwaffen vom Kaliber 12,7 ließen sich hier simulieren, versichert Schröder. Hinzu kommen zwei Rohre für Splitterteile. „Eine heimtückische Sache“, sinniert er. Deshalb ist auch der Beschusskanal so stabil wie nur möglich: Stahlbeton, Panzerstahlplatten, Grobspanelemente und hochflexible Regupol-Platten, nehmen den abprallenden Splittern und Geschossen die Energie.

Wieder ertönt das Signal zum Verlassen des Kanals. Dann das dumpfe Plopp und der Funkenregen. Lichtschranken messen kurz vorm Aufprall die Geschwindigkeit des Projektils.

Geschäftsführer Gerschewski schaut sich die Daten an und wirkt zufrieden. „So lässt sich die Einschlagenergie ermitteln und eine genaue Aussage treffen, ob der Stahl noch dicker werden muss oder gar verringert werden kann.“

Der 41-Jährige hat IndiKar mitaufgebaut. Nach dem Kfz-Studium in Zwickau arbeitete er im Motorradwerk Zschopau, dann bei Sachsenring. Als es mit Sachsenring bergab ging, wagte er mit 25 Spezialisten den Neustart und gründete IndiKar.

Gepanzerte Fahrzeuge: IndiKarist ist eine feste Größe in diesem verschwiegenen Metier

Längst ist das Unternehmen eine feste Größe in diesem verschwiegenen Metier. Im deutschen Nobelmarkensegment kommt man nicht mehr an ihnen vorbei. Auf der neuen Beschussanlage des Hauses lassen sich selbst komplette Autos von allen Seiten unter Feuer nehmen, selbst das Dach kann beschossen werden.

„Die eigene Beschussanlage ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil“, sagt Gerschewski. Sicher könne man viel am Rechner simulieren, doch beim Beschuss spielten Faktoren eine Rolle, die sich nicht alle theoretisch beurteilen ließen. Zusätzlich zu diesen Tests liefern Untersuchungen im hauseigenen Materiallabor Informationen über Härteverläufe und Gefügeanalysen.

IndiKar hat noch Großes vor. Gerschewski verlässt den Beschusskanal, der wie ein kleiner Hochsicherheitstrakt gesichert ist und steht in einer großen fast leeren Halle. Hier sollen bald geschützte Lkw-Fahrerkabinen entwickelt werden. An der Tür steht ein Transporter mit 60 mm starkem Glas. Schwere Projektile haben hier schon eingeschlagen, ohne Erfolg.

Die Werkstatt im Nebengebäude erinnert auf den ersten Blick an typischen Prototypenbau: Werkzeugbänke, Messgeräte, Prüfgeräte, Modelle. Auf den zweiten Blick könnte es ein Hollywoodstudio sein, in dem ein Al-Capone-Streifen entsteht. Denn auch hier ist manche schwarze Karosse schwer gezeichnet durch Treffersalven.

„Die Integration von Panzerungen in die Karosserie ist das Schwierigste“

Daneben aufgeschnittene Karosserieteile und nackte Fahrzeugrahmen, aber auch ganz normale Limousinen. „Von wegen normal“, lacht Gerschewski, auch sie sind gepanzert, nur man sieht es kaum.“ Denn die Einbußen durch Panzerung sollen so gering wie möglich und so wenig wie möglich sichtbar sein. Denn wer so etwas kaufe, wolle nicht nur kein Allerweltsauto, sondern präpariere den Wagen auch noch mit reichlich Bordservice und Kommunikationselektronik. „Ihn dann auch noch kugelsicher zu machen, das ist die Kunst.“ Wie schwer das ist, zeigt schon die Materialvielfalt in einem Panzerungs-Kit. Allein 20 verschiedene Stähle finden sich hier. Sie müssen so verklebt, verschraubt und verschweißt werden, „dass keine Toleranzen entstehen, die die Insassen gefährden könnten“, sagt Gerschewski.

Doch Stahl ist es nicht allein, die meisten Panzerungen sind Composites. Die spröde Härte von Panzerstahl oder auch Keramik paare sich ideal mit den Eigenschaften von Faserverbundstoffen, etwa Polyethylen: „Erst das nimmt Geschossen die Wucht.“

Die Sachsen sehen sich als Systemlieferant. Denn sie fertigen selbst entwickelte Schutzkomponenten – komplett montiert – in Kleinserien. Der Abnehmer integriert sie direkt in seine Fertigungslinie. „Die Integration von Panzerungen in die Karosserie ist das Schwierigste – teuer und aufwendig.“ Doch Gerschewski und sein Team kennen die Bedürfnisse der Automobilindustrie und wissen damit umzugehen.

Zurück in der Beschussanlage tönt wieder das Warnsignal, dann das Plopp und der Funkenregen. „Jeder Schuss“, so Gerschewski, „hilft uns, ein bisschen näher heranzukommen an unser Ziel – das ideale Bauteil für jeden Einsatz.“

 

Ein Beitrag von:

  • Harald Lachmann

    Harald Lachmann ist diplomierter Journalist, arbeitete zuletzt als Ressortleiter Politik, und schreibt heute als freier Autor und Korrespondent für Tages-, Fach- sowie Wirtschaftszeitungen.

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