Der Lohner Porsche – seiner Zeit um über 100 Jahre voraus
Hybrid- und Allradantrieb, Radnabenmotor und Vierradbremse – der Lohner Porsche „Semper Vivus“ war bereits vor 125 Jahren seiner Zeit weit voraus.

Das erste Allradmobil der Welt - der Lohner Porsche, hier ein verbessertes Nachfolgemodell mit dem Verbrennungsmotor unter der Fronthaube.
Foto: Porsche AG
Eins ist sicher: Erzherzog Franz Ferdinand Carl Ludwig Joseph Maria von Österreich-Este war ein Pionier mit Mut zum Risiko. Österreich-Ungarns Thronfolger startete schließlich in das junge 20. Jahrhundert mittels eines Gefährtes in die Serpentinen der Tiroler Berge, das nur von echten Muskelmännern zu bändigen war. Der Habsburger gehörte damit zum erlauchten Kreis der nur 65 Besitzer eines Autos, das zu den visionärsten der Automobilgeschichte zählt; trotz dessen chronischer Abneigung zu Kurvenfahrten – oder vielleicht gerade deswegen.
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Der Lohner Porsche war seiner Zeit weit voraus
Zur Tücke mit dem Lenken gleich noch mehr. Zunächst aber: Herzlichen Glückwunsch zum 125. Geburtstag an den Lohner Porsche Semper Vivus. Kaum ein Fahrzeug war in der Geschichte wohl je seiner Zeit so weit voraus wie dieses 3,4 m kurze Gefährt, dessen Grundkonzept am 14. April 1900 im „Elektrizitätspalast“ auf der Pariser Weltausstellung Premiere feierte.
Was der gerade einmal 24-jährige Ferdinand Porsche da für den kaiserlich-königlichen Hoflieferanten Jacob Lohner & Co. aus Wien konstruiert hat, ist Basis für den ersten Hybridantrieb der Automobilgeschichte. Der bekämpft schon in der Frühzeit des Autos eine Urangst, die noch heute viele Möchtegern-Elektromobilisten vom Kauf so eines E-Fahrzeugs abhält: Die Ladepunkte sind rar gesät, die Ladezeiten lang, die Reichweite ist dennoch gering.
Als rein elektrisch angetriebener Wagen muss der Lohner bereits nach maximal 50 km wieder einen Stromanschluss finden. Und dann war geradezu buddhistische Geduld angesagt. Bis der 410 kg schwere Bleiakkumulator seine 44 Zellen vollgeladen hat, vergehen mehrere Tage.
Das weltweit erste Elektrofahrzeug mit Range-Extender
Aus diesem Grund hatte der E-Antrieb nach einem kurzen Hoch in der Frühzeit der Autogeschichte schon bald keine Chancen mehr gegen die aufkommenden Verbrenner – und Porsche die Idee, hinter den Vordersitzen des Lohner noch zwei Einzylinder-Benzin-Motoren von De Dion einzubauen.
Deren jeweils rund 2,5 kW treiben während der Fahrt einen Generator an. Die Batterie wird durch diesen Range-Extender also stetig aufgeladen. Und die Reichweite verlängert sich auf für damalige Zeiten beachtliche 200 km. Daher auch der Name „semper vivus“: der „immer Lebendige“.
Erhalten bleiben die Vorteile des E-Antriebs.
Der Porsche braucht keine Antriebswelle und vor allem kein Getriebe – genau diese anfällige und mühselig zu schaltende Mechanik war aber zu jener Zeit der Albtraum vieler Fahrer. Ein Gaspedal sucht der Mensch am Steuer übrigens auch vergebens. Für den Vortrieb dient ein rechts neben dem Fahrersitz stehender Hebel, der durch eine Kulisse geführt wird und drei Fahrstufen ermöglicht.
Zusätzlich ermöglicht das Hebelwerk noch Bremsen, eine Art Leerlauf und die Rückwärtsfahrt; dazu wird der Anker schlicht umgepolt. Und unter dem Fahrersitz sorgt eine Schaltwalze für die zentrale Steuerung der Fahrbefehle.
Der erste Radnabenmotor und der erste Allradantrieb der Welt
Neben der Kraft der zwei Herzen setzt die technische Meisterleistung auch beim Ziel von deren Leistung noch ein Ausrufezeichen: Die Motoren des Semper Vivus sitzen in den Radnaben der Vorderräder. Eine Technik, die gerade in diesen Tagen wieder eine Renaissance erlebt. Elektroautofirmen wie Rivian oder BMW entwickeln derartige Antriebe zur Serienreife für neue Generationen ihrer Fahrzeuge.
Die Münchener Spezialisten von Deep Drive haben etwa mit dem „RM 1500 Motor“ einen Radnabenantrieb entwickelt, der bis zu 1500 Nm Drehmoment und eine Spitzenleistung von 150 kW aufweist.
Von solchen Leistungen war Ferdinand Porsche vor 125 Jahren natürlich noch weit entfernt. Allerdings nicht von der Idee zum Baukastenmotor: Zusammen mit Ludwig Lohner konzipierte der Erfinder das Aggregat in drei Größen und Leistungsstufen mit bis zu 8,8 kW pro Rad – für Personenwagen, Omnibusse und schwere Lastwagen. Und sogar einen Allradantrieb mit vier Radnabenmotoren schickte das Duo auf die Rennstrecken.
Die erste Allradbremse überhaupt
Auch dabei offenbarte sich allerdings eine Tücke der Radnabentechnik: Die Motoren bringen massig Gewicht an die Achse. Die Chauffeure müssen im Semper Vivus etwa rund eine halbe Tonne bewegen, um die nächste Kurve zu meistern.
Abnehmer wie die Wiener Feuerwehr, Kraftdroschken-Fahrer oder eben der Habsburger Hof werden daher wohl im Fahrbetrieb so ihre Beschwerlichkeiten bei der Wendigkeit des Wagens erlebt haben. Bodybuilding eingebaut. Den Lohner Porsche bei Höchstgeschwindigkeit Tempo 32 km/h durch enge Kehren zu wuchten, erfordert schweißtreibenden Wagemut.
Allerdings verzögert der Hybride auch besser als die meisten Konkurrenten jener Tage. Denn der Semper Vivus besitzt auch die erste Vierradbremse der Automobilwelt. Neben der Elektrobremse an den Vorderrädern verzögern breite Lederbremsbänder bei Bedarf den Vortrieb der Vollgummi-Hinterräder. Eine Handbremse mit schmalen Lederbändern sorgt mit Sperrklinken an den Hinterrädern zudem dafür, dass auch beim Parken im Gefälle des Brennerpasses der Porsche sicher stehen bleibt.

Der originalgetreue Nachbau des Lohner Porsche steht heute als Teil der Sammlung des Porsche-Museums in Stuttgart.
Foto: picture alliance / SZ Photo/Jose Giribas
Ferdinand Porsche hätte es gefreut: 100 Jahre später feiern seine Ideen Renaissance
Erst in der Serienversion des Semper Vivus namens „Mixte“ wird sich seine Durchlaucht auf dem Rücksitz übrigens standesgemäß niedergelassen haben. Denn in diesem Nachfolger sitzt der Fonds-Passagier nicht mehr vor den Benzin-Motörchen, bei denen er ständig Gas und Zündung nachregeln muss.
Im Mixte arbeitet ein Vierzylindermotor unter der Fronthaube – und gibt ein Vorgefühl auf das, was folgte: die Alleinherrschaft des reinen Verbrenners. Erst zur Schwelle des 21. Jahrhunderts ist der Hybrid so richtig zurückgekehrt; Erfinder Ferdinand Porsche hätte es gefreut – und sicher auch den Pionier Franz Ferdinand.
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